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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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halben Jahrtausend das dänische Nationalbewußtsein sich dadurch geschädigt
gefühlt hätte.

'Naturgemäß straft sich ein solches ungeberdiges Wüthen gegen die Ver¬
nunft der Dinge und Thatsachen selbst am meisten. Sollte es den puristischen
Danomanen gelingen, alle Germanismen ihrer Sprache in Acht zu erklären,
so würde es ihnen unmöglich sein, auch nur einen geifernden Leitartikel gegen
Deutschland und die Deutschen zu Stande zu bringen, geschweige denn ein
ganzes Buch. Aber schon jetzt mag die sichtbare Dürftigkeit der Production
im Bereich der nordischen schönen Literatur, verglichen mit dem glänzenden
Reichthum einer früheren Periode, in welcher die freiesten Wechselwirkungen
mit Deutschland ihr zu gute kamen, als die natürliche Folge einer künstlich ge¬
schaffenen Jsolirung und Verstockung gelten.

Auch in diesem Bereiche können wir Deutsche den Excessen pseudonatio¬
naler Schwärmerei mit Gemüthsruhe zusehen. Unsere eigene Literatur leidet
nicht darunter, wenn es in Kopenhagen nicht mehr angebracht ist, öffentlich
deutsche Bücher zu kaufen und zu lesen -- im geheimen geschieht es nach wie
vor -- oder wenn es die dänischen Herren von der Feder für eine Sünde
gegen den heiligen Geist halten, deutsch zu schreiben. Unsere eigenen Hülfs¬
mittel sind hier wie überall so unermeßlich ausgiebig, daß wir keiner fremden
Freiwilligen bedürfen. Auch sind wir großmüthig und gebildet genug, um
nicht durch eigene Albernheiten die der andern wett machen zu wollen. Man
producire nur erst etwas wirklich oder auch nur leidlich Gutes in Kopenhagen,
und man wird sehen, daß wir es mit unbefangenster Anerkennung aufnehmen
und uns selbst an den unvermeidlichen Gehässigkeiten gegen uns, die so noth¬
wendig wie Papier und Lettern zu einem dänischen Buche der Jetztzeit gehören,
nicht ärgern. Unsere Gutmüthigkeit lehrt uns, verzogene Kinder nachsichtig
behandeln, obgleich der praktische Verstand einen andern Rath giebt. Aber
dieser kommt bei uns doch niemals gegen das Herz auf, das ist einmal unsere
Schwäche oder Stärke, an der zweitausend Jahre zwischen den härtesten Mühl¬
steinen der Weltgeschichte nichts geändert haben. Wie die schöne Literatur,
so hat auch nicht einmal die Wissenschaft sich von den komischen Prätensionen
nationaler Selbstwüchsigkeit frei zu halten versucht und wäre es auch nur in
soweit, daß so ziemlich jedes dänische wissenschaftliche Werk der letzten Jahr¬
zehnte, gleichviel ob über die Teling-Sprache oder die Anatomie des Gehirnes,
eine bestimmte Anzahl von Sottisen und Insulten gegen Deutschland, speciell
die deutsche Wissenschaft enthalten muß. notorisch ist nun einmal der Einfluß
der schon durch ihre äußere Massenhaftigkeit so imposanten deutschen Wissen¬
schaft: nach feststehenden Naturgesetzen bringt dieser gewaltige Körper seine
Nachbarn in die Stellung von Trabanten. Das ist nun einmal nicht zu
ändern. Für den Trabanten wäre es jedenfalls am vortheilhaftesten, wenn er


halben Jahrtausend das dänische Nationalbewußtsein sich dadurch geschädigt
gefühlt hätte.

'Naturgemäß straft sich ein solches ungeberdiges Wüthen gegen die Ver¬
nunft der Dinge und Thatsachen selbst am meisten. Sollte es den puristischen
Danomanen gelingen, alle Germanismen ihrer Sprache in Acht zu erklären,
so würde es ihnen unmöglich sein, auch nur einen geifernden Leitartikel gegen
Deutschland und die Deutschen zu Stande zu bringen, geschweige denn ein
ganzes Buch. Aber schon jetzt mag die sichtbare Dürftigkeit der Production
im Bereich der nordischen schönen Literatur, verglichen mit dem glänzenden
Reichthum einer früheren Periode, in welcher die freiesten Wechselwirkungen
mit Deutschland ihr zu gute kamen, als die natürliche Folge einer künstlich ge¬
schaffenen Jsolirung und Verstockung gelten.

Auch in diesem Bereiche können wir Deutsche den Excessen pseudonatio¬
naler Schwärmerei mit Gemüthsruhe zusehen. Unsere eigene Literatur leidet
nicht darunter, wenn es in Kopenhagen nicht mehr angebracht ist, öffentlich
deutsche Bücher zu kaufen und zu lesen — im geheimen geschieht es nach wie
vor — oder wenn es die dänischen Herren von der Feder für eine Sünde
gegen den heiligen Geist halten, deutsch zu schreiben. Unsere eigenen Hülfs¬
mittel sind hier wie überall so unermeßlich ausgiebig, daß wir keiner fremden
Freiwilligen bedürfen. Auch sind wir großmüthig und gebildet genug, um
nicht durch eigene Albernheiten die der andern wett machen zu wollen. Man
producire nur erst etwas wirklich oder auch nur leidlich Gutes in Kopenhagen,
und man wird sehen, daß wir es mit unbefangenster Anerkennung aufnehmen
und uns selbst an den unvermeidlichen Gehässigkeiten gegen uns, die so noth¬
wendig wie Papier und Lettern zu einem dänischen Buche der Jetztzeit gehören,
nicht ärgern. Unsere Gutmüthigkeit lehrt uns, verzogene Kinder nachsichtig
behandeln, obgleich der praktische Verstand einen andern Rath giebt. Aber
dieser kommt bei uns doch niemals gegen das Herz auf, das ist einmal unsere
Schwäche oder Stärke, an der zweitausend Jahre zwischen den härtesten Mühl¬
steinen der Weltgeschichte nichts geändert haben. Wie die schöne Literatur,
so hat auch nicht einmal die Wissenschaft sich von den komischen Prätensionen
nationaler Selbstwüchsigkeit frei zu halten versucht und wäre es auch nur in
soweit, daß so ziemlich jedes dänische wissenschaftliche Werk der letzten Jahr¬
zehnte, gleichviel ob über die Teling-Sprache oder die Anatomie des Gehirnes,
eine bestimmte Anzahl von Sottisen und Insulten gegen Deutschland, speciell
die deutsche Wissenschaft enthalten muß. notorisch ist nun einmal der Einfluß
der schon durch ihre äußere Massenhaftigkeit so imposanten deutschen Wissen¬
schaft: nach feststehenden Naturgesetzen bringt dieser gewaltige Körper seine
Nachbarn in die Stellung von Trabanten. Das ist nun einmal nicht zu
ändern. Für den Trabanten wäre es jedenfalls am vortheilhaftesten, wenn er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/92>, abgerufen am 22.07.2024.