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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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nicht, daß an dem alten doctrinären Seil, an dem sie ziehen, das trojanische
Roß ihnen in die Mauern folgt. Euer Dr. Gerstner von Würzburg hat in dieser
Hinsicht nicht etwa ein Monopol. Es gibt bei uns ihrer noch genug, die
denken wie er.

Es giebt allerdings Lagen im politischen Leben, wo man irre werden
kann an der Nichtigkeit des eigenen Strebens; noch öfter solche, wo man in
politischen Vorgängen fremder Staaten selbst mit Hülfe der dortigen Presse
sich nicht zurechtfindet. In solchen Fällen habe ich immer das Mittel probat
gefunden, zu prüfen, was die Feinde freiheitlicher moderner Culturentwicklung
oder die Feinde der nationalen Consolidation der betreffenden Staaten über
die zweifelhafte Maßregel äußerten. Geberdeten sie sich wüst, hatten sie einen
rechtschaffenen Zorn, so war man gewiß auf dem richtigen Wege. spendeten
sie dagegen Lob, boten sie sich gar als Begleiter nach demselben Ziele an, so
war man sehr auf Abwege gerathen. Besonders lohnend ist in solchen Zwei¬
felsfällen ein Blick auf das Barometer der guten Laune der Ultramontanen,
der französischen Chauvins und der österreichischen und preußischen Feudalpartei.
Diese Wetterbeobachtung ist uns Schweizern namentlich nützlich gewesen bei
Prüfung der Politik Bismarck vom Gasteiner Vertrag an bis zum heutigen
Tage. Sie ist uns abermals von großem Werthe bei Prüfung Eures Jesuiten¬
gesetzes. Auch ernste und sehr achtungswerthe Stimmen deutscher Politik und
Preßorgane -- neben den komischen Figuren -- haben in doppelter Hinsicht
Euer Gesetz getadelt. Es sei ein Ausnahmegesetz -- und dennoch wirkungslos.
Man gebe die Freiheit hin -- für einen Scheinerfolg.

Wie urtheilen dagegen die Jesuiten selbst? Wie ihre Freunde in Paris,
Wien, Rom und auch in Berlin -- im Bureau der Kreuzzeitung? Sie könnten
unmittelbar vor dem jüngsten Tag, dem Ende aller Dinge, nicht röthlicher
thun. Sie verfluchen durch den Mund des Papstes Deutschland, segnen durch
denselben Mund stellenweise unsre Schweiz -- natürlich mit dem geistlichen
Vorbehalt, daß dieser Segen nur den Revisionsgegnern zu Gute kommt, was
uns sehr beruhigt -- in Paris klagen die Chauvins, in Wien "das Vater¬
land", in Berlin "die Kreuzzeitung" über den Verfall deutscher Freiheit, über
die grenzenlose Vergewaltigung edler Staatsbürger! Das giebt uns trostreiche
Antwort auf alle denkbaren Zweifel: Ihr seid auf dem rechten Wege! Ihr
habt ihnen durch Euer Gesetz so tief ins Fleisch geschnitten, wie kein Staat
zuvor, sonst würden sie Euch zu Eurer Milde und Hochherzigkeit Glück wün¬
schen. Und das wäre ungut.

Das ist auch die übereinstimmende Ansicht unsrer gesammten liberalen
Presse, von der wir besonders das Votum des "Bund", der "Schweizer Grenz¬
post" und der "Neuen Zürcher-Zeitung" hervorheben. Namentlich die letztere
weist in einem auch in Deutschland sehr bemerkten Artikel mit guten Worten


nicht, daß an dem alten doctrinären Seil, an dem sie ziehen, das trojanische
Roß ihnen in die Mauern folgt. Euer Dr. Gerstner von Würzburg hat in dieser
Hinsicht nicht etwa ein Monopol. Es gibt bei uns ihrer noch genug, die
denken wie er.

Es giebt allerdings Lagen im politischen Leben, wo man irre werden
kann an der Nichtigkeit des eigenen Strebens; noch öfter solche, wo man in
politischen Vorgängen fremder Staaten selbst mit Hülfe der dortigen Presse
sich nicht zurechtfindet. In solchen Fällen habe ich immer das Mittel probat
gefunden, zu prüfen, was die Feinde freiheitlicher moderner Culturentwicklung
oder die Feinde der nationalen Consolidation der betreffenden Staaten über
die zweifelhafte Maßregel äußerten. Geberdeten sie sich wüst, hatten sie einen
rechtschaffenen Zorn, so war man gewiß auf dem richtigen Wege. spendeten
sie dagegen Lob, boten sie sich gar als Begleiter nach demselben Ziele an, so
war man sehr auf Abwege gerathen. Besonders lohnend ist in solchen Zwei¬
felsfällen ein Blick auf das Barometer der guten Laune der Ultramontanen,
der französischen Chauvins und der österreichischen und preußischen Feudalpartei.
Diese Wetterbeobachtung ist uns Schweizern namentlich nützlich gewesen bei
Prüfung der Politik Bismarck vom Gasteiner Vertrag an bis zum heutigen
Tage. Sie ist uns abermals von großem Werthe bei Prüfung Eures Jesuiten¬
gesetzes. Auch ernste und sehr achtungswerthe Stimmen deutscher Politik und
Preßorgane — neben den komischen Figuren — haben in doppelter Hinsicht
Euer Gesetz getadelt. Es sei ein Ausnahmegesetz — und dennoch wirkungslos.
Man gebe die Freiheit hin — für einen Scheinerfolg.

Wie urtheilen dagegen die Jesuiten selbst? Wie ihre Freunde in Paris,
Wien, Rom und auch in Berlin — im Bureau der Kreuzzeitung? Sie könnten
unmittelbar vor dem jüngsten Tag, dem Ende aller Dinge, nicht röthlicher
thun. Sie verfluchen durch den Mund des Papstes Deutschland, segnen durch
denselben Mund stellenweise unsre Schweiz — natürlich mit dem geistlichen
Vorbehalt, daß dieser Segen nur den Revisionsgegnern zu Gute kommt, was
uns sehr beruhigt — in Paris klagen die Chauvins, in Wien „das Vater¬
land", in Berlin „die Kreuzzeitung" über den Verfall deutscher Freiheit, über
die grenzenlose Vergewaltigung edler Staatsbürger! Das giebt uns trostreiche
Antwort auf alle denkbaren Zweifel: Ihr seid auf dem rechten Wege! Ihr
habt ihnen durch Euer Gesetz so tief ins Fleisch geschnitten, wie kein Staat
zuvor, sonst würden sie Euch zu Eurer Milde und Hochherzigkeit Glück wün¬
schen. Und das wäre ungut.

Das ist auch die übereinstimmende Ansicht unsrer gesammten liberalen
Presse, von der wir besonders das Votum des „Bund", der „Schweizer Grenz¬
post" und der „Neuen Zürcher-Zeitung" hervorheben. Namentlich die letztere
weist in einem auch in Deutschland sehr bemerkten Artikel mit guten Worten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/87>, abgerufen am 22.12.2024.