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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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als vollkommen unabhängig und als Organe der öffentlichen Meinung auf¬
treten und bei jeder Gelegenheit darauf pochen, auch zum Schein hin und
wieder etwas in Opposition machen, um dem Publicum einzureden, daß sich
die Sache wirklich so verhalte.

Ein nicht unbeträchtlicher Theil der Presse steht im Dienste der Regierung
und fälscht durch den Schein der Unabhängigkeit das öffentliche Urtheil. So
herrschtauch auf diesem Gebiete eine vollständige Corruption. Das bethörte Publi-
eum glaubt, es habe nur mit völlig unabhängigen Blättern zu thun, es
liest in einer ganzen Reihe von Zeitungen dieselben Ausführungen und läßt
sich daher einreden, daß die Darlegung dieser Blätter dem allgemeinen Wunsche
der Bevölkerung entspringt, während es diese Einstimmigkeit doch nur dem
Einfluß der Preßbureaus zu danken hat. Dazu kommt, daß alle großen und
kleineren Blätter in der Provinz, so wie viele Blätter des Auslands gleichfalls
aus dem Preßbureau gespeist werden und daß dadurch fast eine an Ein¬
stimmigkeit grenzende Betrachtung der Regierungspolitik erzeugt wird. Diese
Manipulation ist allerdings nicht ohne bedeutende Kosten auszuführen; denn
so ehrlich sich auch die Blätter anstellen, welche ihrer Ueberzeugung zu Liebe die
Sache der Negierung führen, so ist es doch nur zu bekannt, daß die Regierung
bedeutende Summen für diese Secundirung ihrer Politik zahlen muß. Daher
kommt es denn auch, daß nicht bloß die Eigenthümer und Chefredacteure,
die freilich auch noch andere unlautere Quellen haben, sondern auch die Mit¬
arbeiter solcher "unabhängigen" Zeitungen, die aus reinem Ueberzeugungseifer
für jede Maßregel der Regierung in die Schranken treten, in kurzer Zeit mit
großen Glücksgütern gesegnet werden, und unter die Zahl der Kapitalisten
gehen. Es ist ja übrigens eine allbekannte Thatsache, daß je mehr jemand
mit seiner Ueberzeugung prunkt, er desto weniger Ueberzeugung zu haben pflegt,
und das kann man auf die Wiener Journalistik ganz besonders anwenden.
Die allgemeine österreichische Korruption tritt auch auf diesem Gebiete auf
das grellste hervor. Nirgends wird das Wuchergeschäft großartiger und unver¬
schämter betrieben, wie auf diesem Felde. Wer am meisten zahlen kann, der
hat mich, das ist der eigentliche Motor der Ueberzeugungstreue bei den
meisten Federbetten in Oesterreich. Daher sind denn auch die auffallenden
und ganz unmotivirten Schwenkungen der Blätter zu erklären. In dem spe¬
ciellen Fall nun, wo es sich um die Haltung jener officiösen Blätter bei der
Beurtheilung der deutschen Angelegenheiten handelt, darf nicht übersehen werden,
daß schon seit einigen Monaten sich ein leiser Wechsel vorbereitet hat, der jetzt
nicht mehr zu vertuschen ist und der immer stärker hervortritt. Es sind zu¬
nächst die Nationalliberalen und die Unificationsbestrebungen, welche aufs Korn
genommen werden und in echt drastischer Weise zur Verurtheilung kommen; dann
fallen aber auch Seitenhiebe auf die Preußische Regierung und die Zustände


als vollkommen unabhängig und als Organe der öffentlichen Meinung auf¬
treten und bei jeder Gelegenheit darauf pochen, auch zum Schein hin und
wieder etwas in Opposition machen, um dem Publicum einzureden, daß sich
die Sache wirklich so verhalte.

Ein nicht unbeträchtlicher Theil der Presse steht im Dienste der Regierung
und fälscht durch den Schein der Unabhängigkeit das öffentliche Urtheil. So
herrschtauch auf diesem Gebiete eine vollständige Corruption. Das bethörte Publi-
eum glaubt, es habe nur mit völlig unabhängigen Blättern zu thun, es
liest in einer ganzen Reihe von Zeitungen dieselben Ausführungen und läßt
sich daher einreden, daß die Darlegung dieser Blätter dem allgemeinen Wunsche
der Bevölkerung entspringt, während es diese Einstimmigkeit doch nur dem
Einfluß der Preßbureaus zu danken hat. Dazu kommt, daß alle großen und
kleineren Blätter in der Provinz, so wie viele Blätter des Auslands gleichfalls
aus dem Preßbureau gespeist werden und daß dadurch fast eine an Ein¬
stimmigkeit grenzende Betrachtung der Regierungspolitik erzeugt wird. Diese
Manipulation ist allerdings nicht ohne bedeutende Kosten auszuführen; denn
so ehrlich sich auch die Blätter anstellen, welche ihrer Ueberzeugung zu Liebe die
Sache der Negierung führen, so ist es doch nur zu bekannt, daß die Regierung
bedeutende Summen für diese Secundirung ihrer Politik zahlen muß. Daher
kommt es denn auch, daß nicht bloß die Eigenthümer und Chefredacteure,
die freilich auch noch andere unlautere Quellen haben, sondern auch die Mit¬
arbeiter solcher „unabhängigen" Zeitungen, die aus reinem Ueberzeugungseifer
für jede Maßregel der Regierung in die Schranken treten, in kurzer Zeit mit
großen Glücksgütern gesegnet werden, und unter die Zahl der Kapitalisten
gehen. Es ist ja übrigens eine allbekannte Thatsache, daß je mehr jemand
mit seiner Ueberzeugung prunkt, er desto weniger Ueberzeugung zu haben pflegt,
und das kann man auf die Wiener Journalistik ganz besonders anwenden.
Die allgemeine österreichische Korruption tritt auch auf diesem Gebiete auf
das grellste hervor. Nirgends wird das Wuchergeschäft großartiger und unver¬
schämter betrieben, wie auf diesem Felde. Wer am meisten zahlen kann, der
hat mich, das ist der eigentliche Motor der Ueberzeugungstreue bei den
meisten Federbetten in Oesterreich. Daher sind denn auch die auffallenden
und ganz unmotivirten Schwenkungen der Blätter zu erklären. In dem spe¬
ciellen Fall nun, wo es sich um die Haltung jener officiösen Blätter bei der
Beurtheilung der deutschen Angelegenheiten handelt, darf nicht übersehen werden,
daß schon seit einigen Monaten sich ein leiser Wechsel vorbereitet hat, der jetzt
nicht mehr zu vertuschen ist und der immer stärker hervortritt. Es sind zu¬
nächst die Nationalliberalen und die Unificationsbestrebungen, welche aufs Korn
genommen werden und in echt drastischer Weise zur Verurtheilung kommen; dann
fallen aber auch Seitenhiebe auf die Preußische Regierung und die Zustände


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/80>, abgerufen am 22.12.2024.