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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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in Uebereilung; denn als die Regierung, um für die Zukunft solchen scanda-
lösen Richtersprüchen vorzubeugen, die militärischen Theilnehmer an politischen
Verbrechen dem bürgerlichen Richter entziehen und vor das Kriegsgericht stellen
wollte, da lehnte die Kammer den dahin gehenden Gesetzesvorschlag ab. Da¬
mit wurden Eidbruch und Verschwörung gewissermaßen als B ürge rqualitä-
ten der Soldaten anerkannt, und es war kein Wunder, wenn sich das Atten¬
tat von Straßburg zu Boulogne wiederholte. -- Die Rückführung der Asche
Napoleon's und die Vorbereitungen zu ihrer feierlichen Beisetzung im Jnvali-
dendom (ein großer Fehler der Juliregierung) schienen die Napoleonte-
gende neu belebt zu haben. Dies erachtete Louis Napoleon als einen günsti¬
gen Augenblick, um sich abermals den Truppen als Prätendent der Kaiser¬
krone vorzustellen. Einige bedeutende Offiziere, namentlich der Marschall
Clauzel, der Befehlshaber von Vincennes und der General Magnam sollen
ihm ihren Beistand zugesagt haben, und in seiner unmittelbaren Umgebung
befanden sich der General Montholon nebst den Straßburger Complicen : Oberst
Vaudrey, Parquin und Perfigny. Ein Lieutenant Aldenize holte zu Boulogne
die Mannschaft seines (des 42. Rgts.) aus den Betten und versammelte sie
auf dem Kasernenhof, wo ihnen Louis Napoleon's Reden einige Zeichen des
Beifalls erpreßten. Man weiß, wie das tolle Unternehmen endete. Der kleine
Hut, der Degen von Austerlitz, der lebendige Adler boten den Journalen
treffliche Zielscheiben ihres Witzes; immerhin aber hatte die burleske Jnsceni-
rung dieser Komödie einen ernsten Hintergrund. Ein im Voraus aufgesetztes
Decret des Prätendenten ernannte den Marschall Clauzel zum Oberbefehls¬
haber aller französischen Truppen, den General Pajol zum Kommandanten
von Paris, und der damalige Cabinetschef, Herr Thiers, war zum Chef der
provisorischen Regierung ernannt, "eine Wahl, die zwar keineswegs auf ir¬
gend eine Mitwissenschaft dieses Mannes schließen ließ, die aber jedenfalls
von einer richtigen Beurtheilung der Persönlichkeit von Thiers zeugte."")

Größere Ereignisse ließen den Gefangenen von Herr bald vergessen. Die
Quadrupelallianz, welche die Großmächte am Is. Juli 1840 schlossen
und in welcher sie mit Ausschluß Frankreichs die türkisch-ägyptische Frage
schlichteten, zeigte die Jsolirung der Juli-Regierung und verletzte das Selbst¬
gefühl der eitlen Nation in tiefster Seele. Man schäumte vor Wuth. Der
König "wollte die Jakobinermütze aufsetzen"; das Organ der Bourgeoisie, das
"Journal des Debats" verlangte sofortige Genugthuung; überall erklang der
Ruf nach Waffen, und schnell war man einig, daß der zu beginnende Krieg
nicht nur den Interessen Mehmet Ali's, sondern namentlich denen Frankreichs
dienen, daß es ein Krieg der Propaganda, der Eroberung werden müsse, bei



') v. Nochau n. a. O. (18S8.)

in Uebereilung; denn als die Regierung, um für die Zukunft solchen scanda-
lösen Richtersprüchen vorzubeugen, die militärischen Theilnehmer an politischen
Verbrechen dem bürgerlichen Richter entziehen und vor das Kriegsgericht stellen
wollte, da lehnte die Kammer den dahin gehenden Gesetzesvorschlag ab. Da¬
mit wurden Eidbruch und Verschwörung gewissermaßen als B ürge rqualitä-
ten der Soldaten anerkannt, und es war kein Wunder, wenn sich das Atten¬
tat von Straßburg zu Boulogne wiederholte. — Die Rückführung der Asche
Napoleon's und die Vorbereitungen zu ihrer feierlichen Beisetzung im Jnvali-
dendom (ein großer Fehler der Juliregierung) schienen die Napoleonte-
gende neu belebt zu haben. Dies erachtete Louis Napoleon als einen günsti¬
gen Augenblick, um sich abermals den Truppen als Prätendent der Kaiser¬
krone vorzustellen. Einige bedeutende Offiziere, namentlich der Marschall
Clauzel, der Befehlshaber von Vincennes und der General Magnam sollen
ihm ihren Beistand zugesagt haben, und in seiner unmittelbaren Umgebung
befanden sich der General Montholon nebst den Straßburger Complicen : Oberst
Vaudrey, Parquin und Perfigny. Ein Lieutenant Aldenize holte zu Boulogne
die Mannschaft seines (des 42. Rgts.) aus den Betten und versammelte sie
auf dem Kasernenhof, wo ihnen Louis Napoleon's Reden einige Zeichen des
Beifalls erpreßten. Man weiß, wie das tolle Unternehmen endete. Der kleine
Hut, der Degen von Austerlitz, der lebendige Adler boten den Journalen
treffliche Zielscheiben ihres Witzes; immerhin aber hatte die burleske Jnsceni-
rung dieser Komödie einen ernsten Hintergrund. Ein im Voraus aufgesetztes
Decret des Prätendenten ernannte den Marschall Clauzel zum Oberbefehls¬
haber aller französischen Truppen, den General Pajol zum Kommandanten
von Paris, und der damalige Cabinetschef, Herr Thiers, war zum Chef der
provisorischen Regierung ernannt, „eine Wahl, die zwar keineswegs auf ir¬
gend eine Mitwissenschaft dieses Mannes schließen ließ, die aber jedenfalls
von einer richtigen Beurtheilung der Persönlichkeit von Thiers zeugte."")

Größere Ereignisse ließen den Gefangenen von Herr bald vergessen. Die
Quadrupelallianz, welche die Großmächte am Is. Juli 1840 schlossen
und in welcher sie mit Ausschluß Frankreichs die türkisch-ägyptische Frage
schlichteten, zeigte die Jsolirung der Juli-Regierung und verletzte das Selbst¬
gefühl der eitlen Nation in tiefster Seele. Man schäumte vor Wuth. Der
König „wollte die Jakobinermütze aufsetzen"; das Organ der Bourgeoisie, das
„Journal des Debats" verlangte sofortige Genugthuung; überall erklang der
Ruf nach Waffen, und schnell war man einig, daß der zu beginnende Krieg
nicht nur den Interessen Mehmet Ali's, sondern namentlich denen Frankreichs
dienen, daß es ein Krieg der Propaganda, der Eroberung werden müsse, bei



') v. Nochau n. a. O. (18S8.)
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[0504] in Uebereilung; denn als die Regierung, um für die Zukunft solchen scanda- lösen Richtersprüchen vorzubeugen, die militärischen Theilnehmer an politischen Verbrechen dem bürgerlichen Richter entziehen und vor das Kriegsgericht stellen wollte, da lehnte die Kammer den dahin gehenden Gesetzesvorschlag ab. Da¬ mit wurden Eidbruch und Verschwörung gewissermaßen als B ürge rqualitä- ten der Soldaten anerkannt, und es war kein Wunder, wenn sich das Atten¬ tat von Straßburg zu Boulogne wiederholte. — Die Rückführung der Asche Napoleon's und die Vorbereitungen zu ihrer feierlichen Beisetzung im Jnvali- dendom (ein großer Fehler der Juliregierung) schienen die Napoleonte- gende neu belebt zu haben. Dies erachtete Louis Napoleon als einen günsti¬ gen Augenblick, um sich abermals den Truppen als Prätendent der Kaiser¬ krone vorzustellen. Einige bedeutende Offiziere, namentlich der Marschall Clauzel, der Befehlshaber von Vincennes und der General Magnam sollen ihm ihren Beistand zugesagt haben, und in seiner unmittelbaren Umgebung befanden sich der General Montholon nebst den Straßburger Complicen : Oberst Vaudrey, Parquin und Perfigny. Ein Lieutenant Aldenize holte zu Boulogne die Mannschaft seines (des 42. Rgts.) aus den Betten und versammelte sie auf dem Kasernenhof, wo ihnen Louis Napoleon's Reden einige Zeichen des Beifalls erpreßten. Man weiß, wie das tolle Unternehmen endete. Der kleine Hut, der Degen von Austerlitz, der lebendige Adler boten den Journalen treffliche Zielscheiben ihres Witzes; immerhin aber hatte die burleske Jnsceni- rung dieser Komödie einen ernsten Hintergrund. Ein im Voraus aufgesetztes Decret des Prätendenten ernannte den Marschall Clauzel zum Oberbefehls¬ haber aller französischen Truppen, den General Pajol zum Kommandanten von Paris, und der damalige Cabinetschef, Herr Thiers, war zum Chef der provisorischen Regierung ernannt, „eine Wahl, die zwar keineswegs auf ir¬ gend eine Mitwissenschaft dieses Mannes schließen ließ, die aber jedenfalls von einer richtigen Beurtheilung der Persönlichkeit von Thiers zeugte."") Größere Ereignisse ließen den Gefangenen von Herr bald vergessen. Die Quadrupelallianz, welche die Großmächte am Is. Juli 1840 schlossen und in welcher sie mit Ausschluß Frankreichs die türkisch-ägyptische Frage schlichteten, zeigte die Jsolirung der Juli-Regierung und verletzte das Selbst¬ gefühl der eitlen Nation in tiefster Seele. Man schäumte vor Wuth. Der König „wollte die Jakobinermütze aufsetzen"; das Organ der Bourgeoisie, das „Journal des Debats" verlangte sofortige Genugthuung; überall erklang der Ruf nach Waffen, und schnell war man einig, daß der zu beginnende Krieg nicht nur den Interessen Mehmet Ali's, sondern namentlich denen Frankreichs dienen, daß es ein Krieg der Propaganda, der Eroberung werden müsse, bei ') v. Nochau n. a. O. (18S8.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/504>, abgerufen am 03.07.2024.