Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Kämpfe in Algier eine Schule der Barbarei, die nur allzuoft den fran¬
zösischen Namen durch unaussprechliche Gräuel schändete und deren Rückwir¬
kung auf Frankreich selbst in der Folgegeschichte mit Händen zu greifen ist. --
Gleich bei Beginn der Expedition wurde in der Ausrüstung des Hauptquar¬
tiers ein übertriebener Luxus entfaltet. "Man will in Afrika", schrieb der
National, "mit imposanter Pracht ans Land steigen und wünscht Ruhm zu
erwerben, ohne die Bequemlichkeiten von Paris vermissen zu dürfen. Dies
war nicht die Art, mit welcher der junge Held vorging, der-Malta im Vor¬
beiflug einnahm und in einigen Stunden bei Alexandria landete. Maß und
Sparsamkeit sind die Kennzeichen vollendeter Praxis und wahrer Geschicklich-
keit!" -- Maß und Sparsamkeit -- als wenn diese Eigenschaften in der
Schule Napoleon's zu lernen gewesen wären.

Als in Folge der Juli-Revolution Bourmont das Commando an Clauzel
abgegeben, war der Scandal über die Unehrlichkeit der Heeresverwaltung und
die Unterschlagungen bei Wegnahme des algierischen Schatzes so groß, daß
der erste Tagesbefehl an das siegreiche Heer nach einer kurzen Lobesphrase
sogleich ankündigte, daß eine Commission niedergesetzt sei, um die Diebstähle
zu untersuchen, welche die allgemeine Stimme der afrikanischen Armee zum
Vorwurf mache. Natürlich war der Erfolg dieser Untersuchung Null. Die
unfindbaren Urheber der Unterschlagungen wurden durch Tagesbefehl "den
Gewissensbissen überlassen, die sie schon jetzt verfolgten und unaufhörlich ver¬
folgen würden".*)

Die Neigung der Franzosen, in besonders schwierigen Verhältnissen fremde
Truppen für sich fechten zu lassen, äußerte sich nicht nur in der Vorschiebung
der Fremdenlegion bei kritischen Kämpfen, sondern auch durch Formation
eingeborener afrikanischer Bataillone unter dem Namen derZuaven, welcher
von einem unabhängigen höchst kriegerischen Kabylenstamme, den "Zuauas"
stammt, die nach Art der Schweizer ihre Dienste den barbareskischen Mächten
zu verkaufen pflegten und nun mit anderen Eingeborenen, von glänzenden
Bedingungen angezogen, in so großer Zahl zu den französischen Lagern ström¬
ten, daß sofort zwei Bataillons errichtet werden konnten. Französische Offi-
ciere und Unterofficiere wurden ihnen zugetheilt, und bald lockte die bunte
orientalische Uniform auch andere Franzosen, namentlich abenteuernde Pariser
zum Eintritt, die man gern aufnahm, weil die nationale Reinerhaltung der



Heim! Geschichte der Kriege in Algier. Königsbg, 1861. -- Was man sich unterein¬
ander zutraute und wie man sich behandelte, geht aus dem Umstände hervor, daß die Offiziere
der Armee, welche nach Frankreich zurückkehrten, zu Toulon und Marseille den schnödesten Nach¬
forschungen ausgesetzt wurden, ja daß man so weit ging, den Leichnam des Sohnes Bour.
mont's, welcher im Erbbegräbnis, seiner Väter beigesetzt werden sollte, nach Schätzen zu unter¬
suchen.

die Kämpfe in Algier eine Schule der Barbarei, die nur allzuoft den fran¬
zösischen Namen durch unaussprechliche Gräuel schändete und deren Rückwir¬
kung auf Frankreich selbst in der Folgegeschichte mit Händen zu greifen ist. —
Gleich bei Beginn der Expedition wurde in der Ausrüstung des Hauptquar¬
tiers ein übertriebener Luxus entfaltet. „Man will in Afrika", schrieb der
National, „mit imposanter Pracht ans Land steigen und wünscht Ruhm zu
erwerben, ohne die Bequemlichkeiten von Paris vermissen zu dürfen. Dies
war nicht die Art, mit welcher der junge Held vorging, der-Malta im Vor¬
beiflug einnahm und in einigen Stunden bei Alexandria landete. Maß und
Sparsamkeit sind die Kennzeichen vollendeter Praxis und wahrer Geschicklich-
keit!" — Maß und Sparsamkeit — als wenn diese Eigenschaften in der
Schule Napoleon's zu lernen gewesen wären.

Als in Folge der Juli-Revolution Bourmont das Commando an Clauzel
abgegeben, war der Scandal über die Unehrlichkeit der Heeresverwaltung und
die Unterschlagungen bei Wegnahme des algierischen Schatzes so groß, daß
der erste Tagesbefehl an das siegreiche Heer nach einer kurzen Lobesphrase
sogleich ankündigte, daß eine Commission niedergesetzt sei, um die Diebstähle
zu untersuchen, welche die allgemeine Stimme der afrikanischen Armee zum
Vorwurf mache. Natürlich war der Erfolg dieser Untersuchung Null. Die
unfindbaren Urheber der Unterschlagungen wurden durch Tagesbefehl „den
Gewissensbissen überlassen, die sie schon jetzt verfolgten und unaufhörlich ver¬
folgen würden".*)

Die Neigung der Franzosen, in besonders schwierigen Verhältnissen fremde
Truppen für sich fechten zu lassen, äußerte sich nicht nur in der Vorschiebung
der Fremdenlegion bei kritischen Kämpfen, sondern auch durch Formation
eingeborener afrikanischer Bataillone unter dem Namen derZuaven, welcher
von einem unabhängigen höchst kriegerischen Kabylenstamme, den „Zuauas"
stammt, die nach Art der Schweizer ihre Dienste den barbareskischen Mächten
zu verkaufen pflegten und nun mit anderen Eingeborenen, von glänzenden
Bedingungen angezogen, in so großer Zahl zu den französischen Lagern ström¬
ten, daß sofort zwei Bataillons errichtet werden konnten. Französische Offi-
ciere und Unterofficiere wurden ihnen zugetheilt, und bald lockte die bunte
orientalische Uniform auch andere Franzosen, namentlich abenteuernde Pariser
zum Eintritt, die man gern aufnahm, weil die nationale Reinerhaltung der



Heim! Geschichte der Kriege in Algier. Königsbg, 1861. — Was man sich unterein¬
ander zutraute und wie man sich behandelte, geht aus dem Umstände hervor, daß die Offiziere
der Armee, welche nach Frankreich zurückkehrten, zu Toulon und Marseille den schnödesten Nach¬
forschungen ausgesetzt wurden, ja daß man so weit ging, den Leichnam des Sohnes Bour.
mont's, welcher im Erbbegräbnis, seiner Väter beigesetzt werden sollte, nach Schätzen zu unter¬
suchen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0500" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128428"/>
          <p xml:id="ID_1663" prev="#ID_1662"> die Kämpfe in Algier eine Schule der Barbarei, die nur allzuoft den fran¬<lb/>
zösischen Namen durch unaussprechliche Gräuel schändete und deren Rückwir¬<lb/>
kung auf Frankreich selbst in der Folgegeschichte mit Händen zu greifen ist. &#x2014;<lb/>
Gleich bei Beginn der Expedition wurde in der Ausrüstung des Hauptquar¬<lb/>
tiers ein übertriebener Luxus entfaltet. &#x201E;Man will in Afrika", schrieb der<lb/>
National, &#x201E;mit imposanter Pracht ans Land steigen und wünscht Ruhm zu<lb/>
erwerben, ohne die Bequemlichkeiten von Paris vermissen zu dürfen. Dies<lb/>
war nicht die Art, mit welcher der junge Held vorging, der-Malta im Vor¬<lb/>
beiflug einnahm und in einigen Stunden bei Alexandria landete. Maß und<lb/>
Sparsamkeit sind die Kennzeichen vollendeter Praxis und wahrer Geschicklich-<lb/>
keit!" &#x2014; Maß und Sparsamkeit &#x2014; als wenn diese Eigenschaften in der<lb/>
Schule Napoleon's zu lernen gewesen wären.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1664"> Als in Folge der Juli-Revolution Bourmont das Commando an Clauzel<lb/>
abgegeben, war der Scandal über die Unehrlichkeit der Heeresverwaltung und<lb/>
die Unterschlagungen bei Wegnahme des algierischen Schatzes so groß, daß<lb/>
der erste Tagesbefehl an das siegreiche Heer nach einer kurzen Lobesphrase<lb/>
sogleich ankündigte, daß eine Commission niedergesetzt sei, um die Diebstähle<lb/>
zu untersuchen, welche die allgemeine Stimme der afrikanischen Armee zum<lb/>
Vorwurf mache. Natürlich war der Erfolg dieser Untersuchung Null. Die<lb/>
unfindbaren Urheber der Unterschlagungen wurden durch Tagesbefehl &#x201E;den<lb/>
Gewissensbissen überlassen, die sie schon jetzt verfolgten und unaufhörlich ver¬<lb/>
folgen würden".*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1665" next="#ID_1666"> Die Neigung der Franzosen, in besonders schwierigen Verhältnissen fremde<lb/>
Truppen für sich fechten zu lassen, äußerte sich nicht nur in der Vorschiebung<lb/>
der Fremdenlegion bei kritischen Kämpfen, sondern auch durch Formation<lb/>
eingeborener afrikanischer Bataillone unter dem Namen derZuaven, welcher<lb/>
von einem unabhängigen höchst kriegerischen Kabylenstamme, den &#x201E;Zuauas"<lb/>
stammt, die nach Art der Schweizer ihre Dienste den barbareskischen Mächten<lb/>
zu verkaufen pflegten und nun mit anderen Eingeborenen, von glänzenden<lb/>
Bedingungen angezogen, in so großer Zahl zu den französischen Lagern ström¬<lb/>
ten, daß sofort zwei Bataillons errichtet werden konnten. Französische Offi-<lb/>
ciere und Unterofficiere wurden ihnen zugetheilt, und bald lockte die bunte<lb/>
orientalische Uniform auch andere Franzosen, namentlich abenteuernde Pariser<lb/>
zum Eintritt, die man gern aufnahm, weil die nationale Reinerhaltung der</p><lb/>
          <note xml:id="FID_160" place="foot"> Heim! Geschichte der Kriege in Algier. Königsbg, 1861. &#x2014; Was man sich unterein¬<lb/>
ander zutraute und wie man sich behandelte, geht aus dem Umstände hervor, daß die Offiziere<lb/>
der Armee, welche nach Frankreich zurückkehrten, zu Toulon und Marseille den schnödesten Nach¬<lb/>
forschungen ausgesetzt wurden, ja daß man so weit ging, den Leichnam des Sohnes Bour.<lb/>
mont's, welcher im Erbbegräbnis, seiner Väter beigesetzt werden sollte, nach Schätzen zu unter¬<lb/>
suchen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0500] die Kämpfe in Algier eine Schule der Barbarei, die nur allzuoft den fran¬ zösischen Namen durch unaussprechliche Gräuel schändete und deren Rückwir¬ kung auf Frankreich selbst in der Folgegeschichte mit Händen zu greifen ist. — Gleich bei Beginn der Expedition wurde in der Ausrüstung des Hauptquar¬ tiers ein übertriebener Luxus entfaltet. „Man will in Afrika", schrieb der National, „mit imposanter Pracht ans Land steigen und wünscht Ruhm zu erwerben, ohne die Bequemlichkeiten von Paris vermissen zu dürfen. Dies war nicht die Art, mit welcher der junge Held vorging, der-Malta im Vor¬ beiflug einnahm und in einigen Stunden bei Alexandria landete. Maß und Sparsamkeit sind die Kennzeichen vollendeter Praxis und wahrer Geschicklich- keit!" — Maß und Sparsamkeit — als wenn diese Eigenschaften in der Schule Napoleon's zu lernen gewesen wären. Als in Folge der Juli-Revolution Bourmont das Commando an Clauzel abgegeben, war der Scandal über die Unehrlichkeit der Heeresverwaltung und die Unterschlagungen bei Wegnahme des algierischen Schatzes so groß, daß der erste Tagesbefehl an das siegreiche Heer nach einer kurzen Lobesphrase sogleich ankündigte, daß eine Commission niedergesetzt sei, um die Diebstähle zu untersuchen, welche die allgemeine Stimme der afrikanischen Armee zum Vorwurf mache. Natürlich war der Erfolg dieser Untersuchung Null. Die unfindbaren Urheber der Unterschlagungen wurden durch Tagesbefehl „den Gewissensbissen überlassen, die sie schon jetzt verfolgten und unaufhörlich ver¬ folgen würden".*) Die Neigung der Franzosen, in besonders schwierigen Verhältnissen fremde Truppen für sich fechten zu lassen, äußerte sich nicht nur in der Vorschiebung der Fremdenlegion bei kritischen Kämpfen, sondern auch durch Formation eingeborener afrikanischer Bataillone unter dem Namen derZuaven, welcher von einem unabhängigen höchst kriegerischen Kabylenstamme, den „Zuauas" stammt, die nach Art der Schweizer ihre Dienste den barbareskischen Mächten zu verkaufen pflegten und nun mit anderen Eingeborenen, von glänzenden Bedingungen angezogen, in so großer Zahl zu den französischen Lagern ström¬ ten, daß sofort zwei Bataillons errichtet werden konnten. Französische Offi- ciere und Unterofficiere wurden ihnen zugetheilt, und bald lockte die bunte orientalische Uniform auch andere Franzosen, namentlich abenteuernde Pariser zum Eintritt, die man gern aufnahm, weil die nationale Reinerhaltung der Heim! Geschichte der Kriege in Algier. Königsbg, 1861. — Was man sich unterein¬ ander zutraute und wie man sich behandelte, geht aus dem Umstände hervor, daß die Offiziere der Armee, welche nach Frankreich zurückkehrten, zu Toulon und Marseille den schnödesten Nach¬ forschungen ausgesetzt wurden, ja daß man so weit ging, den Leichnam des Sohnes Bour. mont's, welcher im Erbbegräbnis, seiner Väter beigesetzt werden sollte, nach Schätzen zu unter¬ suchen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/500
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/500>, abgerufen am 29.06.2024.