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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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damals der preußischen Kirche geschenkt werden; erhielten ja in der That
unter der Regierung Friedrich Wilhelm III. die Generalsuperintendenten Bi¬
schofstitel, wurde doch sogar Borowski mit der Erzbischofswürde geschmückt.
Schleiermacher freilich wollte nicht einen neuen Titel, sondern ein neues Amt
geschaffen wissen. Es ist richtig, Schleiermacher wünschte eine Theilnahme
der Laien am Kirchenregimente, aber auch in der Schrift über die Synodal¬
verfassung von 1817 ist er sehr erfreut über die Aussicht auf Bildung von
clericalen Synoden, die bei der Leitung der Kirche mitwirken sollten. Wir
müssen immer bedenken, daß es Schleiermacher in erster Linie nicht darauf
ankam, das Recht der Laien im Unterschied vom Clerus zur Geltung zu
bringen, sondern vielmehr die Kirche den damals in der That erdrückenden
Umarmungen des Staats zu entziehen. Sein Kampf galt der Selbstständig-
keit der Kirche, hatte ihre Gestaltung zu einem würdevollen, bewußt in sich
ruhenden Organismus sich als Ziel gestellt. Konnte dies erreicht werden,
dann mochten andre Mängel vorläufig in den Kauf genommen werden. Und
war dieser regierende Clerus, da er ja aus der Gemeindewahl hervorgegangen
war, nicht selbst eine mittelbare Vertretung der Gemeinden?

Es ist nicht schwer die Schwächen dieser Verfassung zu bezeichnen. Die
Laien sind nur zur Gemeinderegierung, nicht zur Regierung der Kreise und
Provinzen hinzugezogen; es fehlt eine periodische Vertretung der Provinz in
einer größeren beschließenden und berathenden Versammlung, der Gemeinde¬
geist der Kirchenprovinz kann sich nicht zur Geltung bringen, er ist in die
engen Grenzen des Kreises gebannt; es fehlt an einem ständigen und einem
periodischen Centralorgan, das die einzelnen Kirchenprovinzen zu einem grö¬
ßeren Ganzen vereinigte und vor particularistischer Verengung der Anschauung
bewahrte. Und auch das soll nicht geleugnet werden, daß die Bedingungen,
an welche die Ausübung des kirchlichen Stimmrechts geknüpft ist, wohl an¬
ders gefaßt werden sollten.

Es kann aber auch nicht schwer fallen, die Vorzüge dieser Verfassung zu
erkennen. Der schwedischen nachgebildet, sichert sie der Kirche Selbstständigkeit
und Freiheit, eingegliedert in den Organismus des Staats wirkt sie kräftig
auf das Volksleben, ohne eine wesentliche Einbuße an ihren Rechten zu leiden.
Einige Ehrenrechte, die sie dem Landesherrn einräumt, werden ihr reichlich er¬
setzt. Und vor allem die einzelnen Gemeinden, das tragende Fundament des
kirchlichen Baues, haben Freiheit und Selbstständigkeit gewonnen. Schleier¬
macher kämpfte für die Selbstständigkeit der Kirche gegenüber oder besser im
Staat. Diese Aufgabe ist auch jetzt noch nicht gelöst, der Kampf wird immer
noch fortgesetzt, aber eine neue Aufgabe ist hinzugetreten, die Herstellung einer
Verfassung, in der auch auf den höheren und höchsten Stufen der Regierung


damals der preußischen Kirche geschenkt werden; erhielten ja in der That
unter der Regierung Friedrich Wilhelm III. die Generalsuperintendenten Bi¬
schofstitel, wurde doch sogar Borowski mit der Erzbischofswürde geschmückt.
Schleiermacher freilich wollte nicht einen neuen Titel, sondern ein neues Amt
geschaffen wissen. Es ist richtig, Schleiermacher wünschte eine Theilnahme
der Laien am Kirchenregimente, aber auch in der Schrift über die Synodal¬
verfassung von 1817 ist er sehr erfreut über die Aussicht auf Bildung von
clericalen Synoden, die bei der Leitung der Kirche mitwirken sollten. Wir
müssen immer bedenken, daß es Schleiermacher in erster Linie nicht darauf
ankam, das Recht der Laien im Unterschied vom Clerus zur Geltung zu
bringen, sondern vielmehr die Kirche den damals in der That erdrückenden
Umarmungen des Staats zu entziehen. Sein Kampf galt der Selbstständig-
keit der Kirche, hatte ihre Gestaltung zu einem würdevollen, bewußt in sich
ruhenden Organismus sich als Ziel gestellt. Konnte dies erreicht werden,
dann mochten andre Mängel vorläufig in den Kauf genommen werden. Und
war dieser regierende Clerus, da er ja aus der Gemeindewahl hervorgegangen
war, nicht selbst eine mittelbare Vertretung der Gemeinden?

Es ist nicht schwer die Schwächen dieser Verfassung zu bezeichnen. Die
Laien sind nur zur Gemeinderegierung, nicht zur Regierung der Kreise und
Provinzen hinzugezogen; es fehlt eine periodische Vertretung der Provinz in
einer größeren beschließenden und berathenden Versammlung, der Gemeinde¬
geist der Kirchenprovinz kann sich nicht zur Geltung bringen, er ist in die
engen Grenzen des Kreises gebannt; es fehlt an einem ständigen und einem
periodischen Centralorgan, das die einzelnen Kirchenprovinzen zu einem grö¬
ßeren Ganzen vereinigte und vor particularistischer Verengung der Anschauung
bewahrte. Und auch das soll nicht geleugnet werden, daß die Bedingungen,
an welche die Ausübung des kirchlichen Stimmrechts geknüpft ist, wohl an¬
ders gefaßt werden sollten.

Es kann aber auch nicht schwer fallen, die Vorzüge dieser Verfassung zu
erkennen. Der schwedischen nachgebildet, sichert sie der Kirche Selbstständigkeit
und Freiheit, eingegliedert in den Organismus des Staats wirkt sie kräftig
auf das Volksleben, ohne eine wesentliche Einbuße an ihren Rechten zu leiden.
Einige Ehrenrechte, die sie dem Landesherrn einräumt, werden ihr reichlich er¬
setzt. Und vor allem die einzelnen Gemeinden, das tragende Fundament des
kirchlichen Baues, haben Freiheit und Selbstständigkeit gewonnen. Schleier¬
macher kämpfte für die Selbstständigkeit der Kirche gegenüber oder besser im
Staat. Diese Aufgabe ist auch jetzt noch nicht gelöst, der Kampf wird immer
noch fortgesetzt, aber eine neue Aufgabe ist hinzugetreten, die Herstellung einer
Verfassung, in der auch auf den höheren und höchsten Stufen der Regierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/498>, abgerufen am 22.12.2024.