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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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sind Fehler, die nicht im Wesen der Consistorialverfassung liegen, wenn sie
sich auch leicht aus ihr entwickeln können. Wir gehen daher nicht näher auf
sie ein. Aber wir können es begreifen, daß sich Schleiermacher's eine tiefe
Verstimmung gegen die Consistorialverfassung bemächtigte, und daß, wenn er
auch in den akademischen Vorlesungen über praktische Theologie in objectivster
Weise sich über sie geäußert und sie einer idealen Umbildung für fähig
erachtet hat, er bei Gelegenheiten, die ihm die Gefährlichkeit der
Consistorial - Verfassung vor Augen zu stellen schienen, sie energisch
bekämpft, ja gänzlich verworfen hat. So sagt er in der Schrift
über das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten, die er unter dem
Pseudonym Pacificus Sincerus 1827 herausgegeben hat: "Soviel ist
zunächst gewiß, daß mit einer bloßen Reinigung und Verbesserung der Con¬
sistorialverfassung so gut als nichts zu gewinnen ist. Sie kann sich doch von
der Aehnlichkeit mit den administrativen Staatsbehörden nicht los machen,
und es ruht, wie die Erfahrung der ganzen Periode seit der Reformation
sattsam beweiset, der Unsegen auf ihr, daß das ganze Kirchenregiment in die
Formen der Staatsverwaltung gegen seine Natur gezwängt wird." Und er
sieht in der Consistorialverfassung daher "nur einen Durchgangspunkt, auf
welchem sich die evangelische Kirche in den mehrsten Ländern für ihr wahres
Wohl schon allzulange verweilt hat."*) Und in dem Gespräch, das Schleier¬
macher 1827 veröffentlichte, ist ihm das Consistorialsystem so bedenklich er¬
schienen, die Kämpfe über die Einführung der neuen Agende haben ihn so
verstimmt, die Gewißheit, daß die in Aussicht gestellte synodale Verfassung der
Kirche doch nicht verliehen werde, hat ihn mit einer solchen Hoffnungslosig¬
keit erfüllt, daß er den Gedanken eines Austritts aus der Landeskirche ernst¬
lich erwägt und die Gründung evangelischer Freikirchen nach Analogie der
Brüdergemeinde, auf dem Fundament der heiligen Schrift, des apostolischen
Symbols und der Augsburgischen Confession, wenn er auch die verpflichtende
Kraft dieser Bekenntnisse sehr beschränkt, in Aussicht nimmt.**) So wenig




-) W. 1. Abthlg. 51. Bd. S. 527-28.
") a. a. O. S. öl": Was nun weiter das Bekenntniß der Lehre betrifft, so erklären wir
zuerst und vor allem, daß wir mit der evangelischen Kirche die heilige Schrift für die einzige
Richtschnur des Glaubens und der Lehre erklären, und daß unsere Täuflinge und Confirmanden
auch das sogenannte apostolische Symbolum wiederholen sollen, mit Bezug auf den Unterricht,
der ihnen darüber ertheilt ist. Ferner, daß wir der augsburgischen Confession, so weit auch
unsere reformirten Mitglieder sie annehmen können, in allem dem veitretcn, was sie gegen die
damaligen Mißbräuche und Irrlehren der katholischen Kirche feststellt, ohne jedoch auch alle
diejenigen Sätze anzunehmen, welche dort auf die Autorität der Kirchenversammlungen aufge¬
stellt sind, dem späterhin die Reformatoren selbst, diesen in Glaubenssachen keine Autorität bei¬
gelegt haben, und das Forschen in der Schrift bei uns im Vertrauen auf das Wort Christi,
daß seine Sänger durch seinen Geist in alle Wahrheit sollen geleitet werden, immer frei

sind Fehler, die nicht im Wesen der Consistorialverfassung liegen, wenn sie
sich auch leicht aus ihr entwickeln können. Wir gehen daher nicht näher auf
sie ein. Aber wir können es begreifen, daß sich Schleiermacher's eine tiefe
Verstimmung gegen die Consistorialverfassung bemächtigte, und daß, wenn er
auch in den akademischen Vorlesungen über praktische Theologie in objectivster
Weise sich über sie geäußert und sie einer idealen Umbildung für fähig
erachtet hat, er bei Gelegenheiten, die ihm die Gefährlichkeit der
Consistorial - Verfassung vor Augen zu stellen schienen, sie energisch
bekämpft, ja gänzlich verworfen hat. So sagt er in der Schrift
über das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten, die er unter dem
Pseudonym Pacificus Sincerus 1827 herausgegeben hat: „Soviel ist
zunächst gewiß, daß mit einer bloßen Reinigung und Verbesserung der Con¬
sistorialverfassung so gut als nichts zu gewinnen ist. Sie kann sich doch von
der Aehnlichkeit mit den administrativen Staatsbehörden nicht los machen,
und es ruht, wie die Erfahrung der ganzen Periode seit der Reformation
sattsam beweiset, der Unsegen auf ihr, daß das ganze Kirchenregiment in die
Formen der Staatsverwaltung gegen seine Natur gezwängt wird." Und er
sieht in der Consistorialverfassung daher „nur einen Durchgangspunkt, auf
welchem sich die evangelische Kirche in den mehrsten Ländern für ihr wahres
Wohl schon allzulange verweilt hat."*) Und in dem Gespräch, das Schleier¬
macher 1827 veröffentlichte, ist ihm das Consistorialsystem so bedenklich er¬
schienen, die Kämpfe über die Einführung der neuen Agende haben ihn so
verstimmt, die Gewißheit, daß die in Aussicht gestellte synodale Verfassung der
Kirche doch nicht verliehen werde, hat ihn mit einer solchen Hoffnungslosig¬
keit erfüllt, daß er den Gedanken eines Austritts aus der Landeskirche ernst¬
lich erwägt und die Gründung evangelischer Freikirchen nach Analogie der
Brüdergemeinde, auf dem Fundament der heiligen Schrift, des apostolischen
Symbols und der Augsburgischen Confession, wenn er auch die verpflichtende
Kraft dieser Bekenntnisse sehr beschränkt, in Aussicht nimmt.**) So wenig




-) W. 1. Abthlg. 51. Bd. S. 527-28.
") a. a. O. S. öl»: Was nun weiter das Bekenntniß der Lehre betrifft, so erklären wir
zuerst und vor allem, daß wir mit der evangelischen Kirche die heilige Schrift für die einzige
Richtschnur des Glaubens und der Lehre erklären, und daß unsere Täuflinge und Confirmanden
auch das sogenannte apostolische Symbolum wiederholen sollen, mit Bezug auf den Unterricht,
der ihnen darüber ertheilt ist. Ferner, daß wir der augsburgischen Confession, so weit auch
unsere reformirten Mitglieder sie annehmen können, in allem dem veitretcn, was sie gegen die
damaligen Mißbräuche und Irrlehren der katholischen Kirche feststellt, ohne jedoch auch alle
diejenigen Sätze anzunehmen, welche dort auf die Autorität der Kirchenversammlungen aufge¬
stellt sind, dem späterhin die Reformatoren selbst, diesen in Glaubenssachen keine Autorität bei¬
gelegt haben, und das Forschen in der Schrift bei uns im Vertrauen auf das Wort Christi,
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[0487] sind Fehler, die nicht im Wesen der Consistorialverfassung liegen, wenn sie sich auch leicht aus ihr entwickeln können. Wir gehen daher nicht näher auf sie ein. Aber wir können es begreifen, daß sich Schleiermacher's eine tiefe Verstimmung gegen die Consistorialverfassung bemächtigte, und daß, wenn er auch in den akademischen Vorlesungen über praktische Theologie in objectivster Weise sich über sie geäußert und sie einer idealen Umbildung für fähig erachtet hat, er bei Gelegenheiten, die ihm die Gefährlichkeit der Consistorial - Verfassung vor Augen zu stellen schienen, sie energisch bekämpft, ja gänzlich verworfen hat. So sagt er in der Schrift über das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten, die er unter dem Pseudonym Pacificus Sincerus 1827 herausgegeben hat: „Soviel ist zunächst gewiß, daß mit einer bloßen Reinigung und Verbesserung der Con¬ sistorialverfassung so gut als nichts zu gewinnen ist. Sie kann sich doch von der Aehnlichkeit mit den administrativen Staatsbehörden nicht los machen, und es ruht, wie die Erfahrung der ganzen Periode seit der Reformation sattsam beweiset, der Unsegen auf ihr, daß das ganze Kirchenregiment in die Formen der Staatsverwaltung gegen seine Natur gezwängt wird." Und er sieht in der Consistorialverfassung daher „nur einen Durchgangspunkt, auf welchem sich die evangelische Kirche in den mehrsten Ländern für ihr wahres Wohl schon allzulange verweilt hat."*) Und in dem Gespräch, das Schleier¬ macher 1827 veröffentlichte, ist ihm das Consistorialsystem so bedenklich er¬ schienen, die Kämpfe über die Einführung der neuen Agende haben ihn so verstimmt, die Gewißheit, daß die in Aussicht gestellte synodale Verfassung der Kirche doch nicht verliehen werde, hat ihn mit einer solchen Hoffnungslosig¬ keit erfüllt, daß er den Gedanken eines Austritts aus der Landeskirche ernst¬ lich erwägt und die Gründung evangelischer Freikirchen nach Analogie der Brüdergemeinde, auf dem Fundament der heiligen Schrift, des apostolischen Symbols und der Augsburgischen Confession, wenn er auch die verpflichtende Kraft dieser Bekenntnisse sehr beschränkt, in Aussicht nimmt.**) So wenig -) W. 1. Abthlg. 51. Bd. S. 527-28. ") a. a. O. S. öl»: Was nun weiter das Bekenntniß der Lehre betrifft, so erklären wir zuerst und vor allem, daß wir mit der evangelischen Kirche die heilige Schrift für die einzige Richtschnur des Glaubens und der Lehre erklären, und daß unsere Täuflinge und Confirmanden auch das sogenannte apostolische Symbolum wiederholen sollen, mit Bezug auf den Unterricht, der ihnen darüber ertheilt ist. Ferner, daß wir der augsburgischen Confession, so weit auch unsere reformirten Mitglieder sie annehmen können, in allem dem veitretcn, was sie gegen die damaligen Mißbräuche und Irrlehren der katholischen Kirche feststellt, ohne jedoch auch alle diejenigen Sätze anzunehmen, welche dort auf die Autorität der Kirchenversammlungen aufge¬ stellt sind, dem späterhin die Reformatoren selbst, diesen in Glaubenssachen keine Autorität bei¬ gelegt haben, und das Forschen in der Schrift bei uns im Vertrauen auf das Wort Christi, daß seine Sänger durch seinen Geist in alle Wahrheit sollen geleitet werden, immer frei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/487>, abgerufen am 22.12.2024.