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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Betracht zieht, obwohl er doch eigentlich den gegenwärtigenZustand der Consistorien
bezeichnet; nämlich die Gemeinden wählen die Geistlichen -- denn wie be¬
schränkt auch oft das Wahlrecht der Gemeinden ist, so haben sie doch immer
das Recht der Ablehnung, wenn der Candidat gewissen Ansprüchen nicht ge¬
nügt -- aber das Consistorium hat kein den Landesherrn bindendes Votum,
dann wäre nach Schleiermacher's Voraussetzungen das Consistorium wohl eine
Repräsentation der Kirche, aber nur eine berathende. Sie übte einen moralischen
aber keinen rechtlichen Einfluß. Und man dürfte dann sagen, das Staats¬
oberhaupt regiere die Kirche, lasse aber die kirchlichen Angelegenheiten vorher
durch ein technisch dazu gebildetes Kollegium berathen. Und so wäre eigent¬
lich kein Unterschied zwischen der Stellung des Landesherrn zu kirchlichen
und bürgerlichen Fragen. Die Kirche wäre nur eine Branche des allgemeinen
öffentlichen Lebens, das der Staat umfaßt. Darin hat Schleiermacher gewiß
Recht, daß, wenn durch die Consistorien eine Repräsentation der Kirche ge¬
geben sein soll, dessen Beschlüssen eine bindende Kraft zukommen muß, nicht
bloß nach unten, sondern auch nach oben, daß ihnen wenigstens das Recht
eines entscheidenden Veto zustehen muß. -- Wenn nun Schleiermacher den
Werth der Consistorialverfassung bestimmt, so ist es keinem Zweifel unterworfen,
daß er die letzten beiden Gestaltungen vor Augen hat, nicht aber die erste,
die auch die Wirklichkeit seiner Zeit ihm nicht vor Augen stellen konnte, die
meines Wissens überhaupt nie eristirt hat, sondern nur die ideale Gestaltung
dieser Regierungsform, eine mögliche Zukunftsordnung darstellt. Er hat also
die gegenwärtige Consistorialverfassung vor Augen, die nach seinen Voraus¬
setzungen keine Vertretung der Kirche bildet. Und gegen diese hegt er ernste
Bedenken. Zuvörderst findet er, daß auf diese Weise die Kirche Schwankungen
ausgesetzt ist, die nicht aus der inneren Entwicklung der Kirche selbst, sondern
aus der individuell-persönlichen Ueberzeugung der einander folgenden Landes¬
herren hervorgehen. Und der Gegensatz der Grundsätze, die Friedrich II. und
Friedrich Wilhelm II. zu Ausgangspuncten der Kirchenregierung nahmen, ist
ihm ein unwiderleglicher Beweis dafür. Andere Bedenken, die er hegt, be¬
ziehen sich auf Verhältnisse, die gegenwärtig in Preußen wenigstens nicht mehr
bestehen, und die daher nicht mit dem Wesen der Consistorialverfassung noth¬
wendig verbunden sind. Sie ruhen auf dem Princip territorialistischer Kir¬
chenregierung und werden nur da, wo dieses besteht, allerdings immer noch
ihre Gültigkeit behalten. Sie wurzeln in der gänzlichen Vermischung des
kirchlichen und bürgerlichen Gebiets, in der Behandlung des ersten durch über¬
wiegend weltliche Beamte, in der Werthschätzung der Geistlichen als Staats¬
diener, so daß der Gegensatz von Clerus und Laien im Begriff des Unter¬
thanen aufgehoben wird. Dann führt der Clerus aus, was ihm aufgetragen
worden, und die Laien sind es, an denen er es ausführt. Aber wie gesagt, das


Betracht zieht, obwohl er doch eigentlich den gegenwärtigenZustand der Consistorien
bezeichnet; nämlich die Gemeinden wählen die Geistlichen — denn wie be¬
schränkt auch oft das Wahlrecht der Gemeinden ist, so haben sie doch immer
das Recht der Ablehnung, wenn der Candidat gewissen Ansprüchen nicht ge¬
nügt — aber das Consistorium hat kein den Landesherrn bindendes Votum,
dann wäre nach Schleiermacher's Voraussetzungen das Consistorium wohl eine
Repräsentation der Kirche, aber nur eine berathende. Sie übte einen moralischen
aber keinen rechtlichen Einfluß. Und man dürfte dann sagen, das Staats¬
oberhaupt regiere die Kirche, lasse aber die kirchlichen Angelegenheiten vorher
durch ein technisch dazu gebildetes Kollegium berathen. Und so wäre eigent¬
lich kein Unterschied zwischen der Stellung des Landesherrn zu kirchlichen
und bürgerlichen Fragen. Die Kirche wäre nur eine Branche des allgemeinen
öffentlichen Lebens, das der Staat umfaßt. Darin hat Schleiermacher gewiß
Recht, daß, wenn durch die Consistorien eine Repräsentation der Kirche ge¬
geben sein soll, dessen Beschlüssen eine bindende Kraft zukommen muß, nicht
bloß nach unten, sondern auch nach oben, daß ihnen wenigstens das Recht
eines entscheidenden Veto zustehen muß. — Wenn nun Schleiermacher den
Werth der Consistorialverfassung bestimmt, so ist es keinem Zweifel unterworfen,
daß er die letzten beiden Gestaltungen vor Augen hat, nicht aber die erste,
die auch die Wirklichkeit seiner Zeit ihm nicht vor Augen stellen konnte, die
meines Wissens überhaupt nie eristirt hat, sondern nur die ideale Gestaltung
dieser Regierungsform, eine mögliche Zukunftsordnung darstellt. Er hat also
die gegenwärtige Consistorialverfassung vor Augen, die nach seinen Voraus¬
setzungen keine Vertretung der Kirche bildet. Und gegen diese hegt er ernste
Bedenken. Zuvörderst findet er, daß auf diese Weise die Kirche Schwankungen
ausgesetzt ist, die nicht aus der inneren Entwicklung der Kirche selbst, sondern
aus der individuell-persönlichen Ueberzeugung der einander folgenden Landes¬
herren hervorgehen. Und der Gegensatz der Grundsätze, die Friedrich II. und
Friedrich Wilhelm II. zu Ausgangspuncten der Kirchenregierung nahmen, ist
ihm ein unwiderleglicher Beweis dafür. Andere Bedenken, die er hegt, be¬
ziehen sich auf Verhältnisse, die gegenwärtig in Preußen wenigstens nicht mehr
bestehen, und die daher nicht mit dem Wesen der Consistorialverfassung noth¬
wendig verbunden sind. Sie ruhen auf dem Princip territorialistischer Kir¬
chenregierung und werden nur da, wo dieses besteht, allerdings immer noch
ihre Gültigkeit behalten. Sie wurzeln in der gänzlichen Vermischung des
kirchlichen und bürgerlichen Gebiets, in der Behandlung des ersten durch über¬
wiegend weltliche Beamte, in der Werthschätzung der Geistlichen als Staats¬
diener, so daß der Gegensatz von Clerus und Laien im Begriff des Unter¬
thanen aufgehoben wird. Dann führt der Clerus aus, was ihm aufgetragen
worden, und die Laien sind es, an denen er es ausführt. Aber wie gesagt, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/486>, abgerufen am 03.07.2024.