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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Stimme. So wollte in Sachsen der Kurfürst nicht selbst einschreiten, und
folgte nur der Bitte der Reformatoren, die aber, da sie keine legitimen Ver¬
treter der Gemeinden waren, genau genommen damit einen revolutionären
Weg beschütten. Wurde dagegen der Landesherr nicht Protestant, so entstand
ein Kirchenregiment in der Form des Zusammentretens von Gemeinden, und
wieder waren es Einzelne, welche diese beriefen, die wir aber ebenfalls als
Repräsentanten der öffentlichen Stimmung betrachten müssen. So bildeten sich
von vornherein zwei geschichtliche Formen des Kirchenregiments, das eine von
unten auf errichtet, das andere durch Uebertragung an die bürgerlichen Be¬
hörden entstanden. Daß diese Kirchen sich nun auf ein Gebiet erstreckten
und nicht die Gemeindecomplexe mehrerer Staaten umfaßten, dafür ist eine
innere im Wesen der evangelischen Kirche begründete Ursache nicht vorhanden.
Aber war durch die Reformatoren ein Regiment des Landesherrn begründet,
so fiel bei consistorialer Verfassung dies mit dem Centrum des Staats zu¬
sammen, so war es bei episcopaler Organisation mit den staatlichen Ord¬
nungen eng verbunden. Aber gesetzt auch, es hätte sich eine presbyterial-
synodale Verfassung gebildet, würde eine katholische Regierung geduldet haben,
daß ein Kirchenregiment aus einem evangelischen Lande in ihr Territorium
hinübergriffe? Anders würde allerdings die Sachlage werden, wenn alle evan¬
gelischen Kirchen eine solche Verfassung besäßen und durch Männer sich ver¬
treten ließen, die zugleich Mitglieder der höchsten Versammlungen des Staates
wären! Denn in diesem Falle würden nur Beschlüsse gesaßt werden, welche
den Gesetzen und Interessen der einzelnen Staaten nicht zuwider laufen könnten.
Aber wäre ein solches Kirchenregiment etwas wünschenswerthes? Schleier¬
macher verneint diese Frage, da es ein schwerfälliges unbehülfliches Ding sein
müßte. Jedoch will er keineswegs ein Zusammentreten der einzelnen Regie¬
rungen zum Behuf gemeinsamer Maßregeln ausgeschlossen wissen, obwohl er
als das Werthvollste nur eine freiere Circulation der Güter betrachtet, die den
einzelnen Kirchen zukommen. Darauf wird also die evangelische Kirche ver¬
zichten können, ein sie als Ganzes umfassendes Regiment zu errichten. Ihre
Einheit ist eine geistige, die freilich nicht in der Anerkennung eines gemein¬
samen Glaubensbekenntnisses zu suchen ist, denn hier sind ja auch in einzelnen
Ländern Aenderungen möglich, sondern vielmehr in einem Princip, des Wieder-
anknüpfens an die ursprüngliche christliche Kirche. Das ist eine geistige Ein¬
heit mit lebendiger Wirksamkeit, die stärker ist als alle Formen. Ein römisch
katholischer Christ würde freilich über diese Einheit lachen, indem er dies eben
ein ewiges Durcheinander nennt, es^würde ihm nur als Aggregat erscheinen.
Aber wir könnten den Katholiken vorwerfen, daß das geistige Leben des
Protestantismus eine Einheit sei, der Katholicismus aber nur ein mechanisches
Fortwirken eines ehemals Gewesenen, Beschlüsse der Kirche voriger Lebens-


Stimme. So wollte in Sachsen der Kurfürst nicht selbst einschreiten, und
folgte nur der Bitte der Reformatoren, die aber, da sie keine legitimen Ver¬
treter der Gemeinden waren, genau genommen damit einen revolutionären
Weg beschütten. Wurde dagegen der Landesherr nicht Protestant, so entstand
ein Kirchenregiment in der Form des Zusammentretens von Gemeinden, und
wieder waren es Einzelne, welche diese beriefen, die wir aber ebenfalls als
Repräsentanten der öffentlichen Stimmung betrachten müssen. So bildeten sich
von vornherein zwei geschichtliche Formen des Kirchenregiments, das eine von
unten auf errichtet, das andere durch Uebertragung an die bürgerlichen Be¬
hörden entstanden. Daß diese Kirchen sich nun auf ein Gebiet erstreckten
und nicht die Gemeindecomplexe mehrerer Staaten umfaßten, dafür ist eine
innere im Wesen der evangelischen Kirche begründete Ursache nicht vorhanden.
Aber war durch die Reformatoren ein Regiment des Landesherrn begründet,
so fiel bei consistorialer Verfassung dies mit dem Centrum des Staats zu¬
sammen, so war es bei episcopaler Organisation mit den staatlichen Ord¬
nungen eng verbunden. Aber gesetzt auch, es hätte sich eine presbyterial-
synodale Verfassung gebildet, würde eine katholische Regierung geduldet haben,
daß ein Kirchenregiment aus einem evangelischen Lande in ihr Territorium
hinübergriffe? Anders würde allerdings die Sachlage werden, wenn alle evan¬
gelischen Kirchen eine solche Verfassung besäßen und durch Männer sich ver¬
treten ließen, die zugleich Mitglieder der höchsten Versammlungen des Staates
wären! Denn in diesem Falle würden nur Beschlüsse gesaßt werden, welche
den Gesetzen und Interessen der einzelnen Staaten nicht zuwider laufen könnten.
Aber wäre ein solches Kirchenregiment etwas wünschenswerthes? Schleier¬
macher verneint diese Frage, da es ein schwerfälliges unbehülfliches Ding sein
müßte. Jedoch will er keineswegs ein Zusammentreten der einzelnen Regie¬
rungen zum Behuf gemeinsamer Maßregeln ausgeschlossen wissen, obwohl er
als das Werthvollste nur eine freiere Circulation der Güter betrachtet, die den
einzelnen Kirchen zukommen. Darauf wird also die evangelische Kirche ver¬
zichten können, ein sie als Ganzes umfassendes Regiment zu errichten. Ihre
Einheit ist eine geistige, die freilich nicht in der Anerkennung eines gemein¬
samen Glaubensbekenntnisses zu suchen ist, denn hier sind ja auch in einzelnen
Ländern Aenderungen möglich, sondern vielmehr in einem Princip, des Wieder-
anknüpfens an die ursprüngliche christliche Kirche. Das ist eine geistige Ein¬
heit mit lebendiger Wirksamkeit, die stärker ist als alle Formen. Ein römisch
katholischer Christ würde freilich über diese Einheit lachen, indem er dies eben
ein ewiges Durcheinander nennt, es^würde ihm nur als Aggregat erscheinen.
Aber wir könnten den Katholiken vorwerfen, daß das geistige Leben des
Protestantismus eine Einheit sei, der Katholicismus aber nur ein mechanisches
Fortwirken eines ehemals Gewesenen, Beschlüsse der Kirche voriger Lebens-


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[0484] Stimme. So wollte in Sachsen der Kurfürst nicht selbst einschreiten, und folgte nur der Bitte der Reformatoren, die aber, da sie keine legitimen Ver¬ treter der Gemeinden waren, genau genommen damit einen revolutionären Weg beschütten. Wurde dagegen der Landesherr nicht Protestant, so entstand ein Kirchenregiment in der Form des Zusammentretens von Gemeinden, und wieder waren es Einzelne, welche diese beriefen, die wir aber ebenfalls als Repräsentanten der öffentlichen Stimmung betrachten müssen. So bildeten sich von vornherein zwei geschichtliche Formen des Kirchenregiments, das eine von unten auf errichtet, das andere durch Uebertragung an die bürgerlichen Be¬ hörden entstanden. Daß diese Kirchen sich nun auf ein Gebiet erstreckten und nicht die Gemeindecomplexe mehrerer Staaten umfaßten, dafür ist eine innere im Wesen der evangelischen Kirche begründete Ursache nicht vorhanden. Aber war durch die Reformatoren ein Regiment des Landesherrn begründet, so fiel bei consistorialer Verfassung dies mit dem Centrum des Staats zu¬ sammen, so war es bei episcopaler Organisation mit den staatlichen Ord¬ nungen eng verbunden. Aber gesetzt auch, es hätte sich eine presbyterial- synodale Verfassung gebildet, würde eine katholische Regierung geduldet haben, daß ein Kirchenregiment aus einem evangelischen Lande in ihr Territorium hinübergriffe? Anders würde allerdings die Sachlage werden, wenn alle evan¬ gelischen Kirchen eine solche Verfassung besäßen und durch Männer sich ver¬ treten ließen, die zugleich Mitglieder der höchsten Versammlungen des Staates wären! Denn in diesem Falle würden nur Beschlüsse gesaßt werden, welche den Gesetzen und Interessen der einzelnen Staaten nicht zuwider laufen könnten. Aber wäre ein solches Kirchenregiment etwas wünschenswerthes? Schleier¬ macher verneint diese Frage, da es ein schwerfälliges unbehülfliches Ding sein müßte. Jedoch will er keineswegs ein Zusammentreten der einzelnen Regie¬ rungen zum Behuf gemeinsamer Maßregeln ausgeschlossen wissen, obwohl er als das Werthvollste nur eine freiere Circulation der Güter betrachtet, die den einzelnen Kirchen zukommen. Darauf wird also die evangelische Kirche ver¬ zichten können, ein sie als Ganzes umfassendes Regiment zu errichten. Ihre Einheit ist eine geistige, die freilich nicht in der Anerkennung eines gemein¬ samen Glaubensbekenntnisses zu suchen ist, denn hier sind ja auch in einzelnen Ländern Aenderungen möglich, sondern vielmehr in einem Princip, des Wieder- anknüpfens an die ursprüngliche christliche Kirche. Das ist eine geistige Ein¬ heit mit lebendiger Wirksamkeit, die stärker ist als alle Formen. Ein römisch katholischer Christ würde freilich über diese Einheit lachen, indem er dies eben ein ewiges Durcheinander nennt, es^würde ihm nur als Aggregat erscheinen. Aber wir könnten den Katholiken vorwerfen, daß das geistige Leben des Protestantismus eine Einheit sei, der Katholicismus aber nur ein mechanisches Fortwirken eines ehemals Gewesenen, Beschlüsse der Kirche voriger Lebens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/484>, abgerufen am 03.07.2024.