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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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dem die religiös kriegerische Stimmung einen so wunderbaren Ausdruck erhält.
Wie aus dem Feldlager einer fernen Himmelsgegend klang der von allen
Trommlern in erstaunlicher Gleichmäßigkeit des Tempo geschlagene Wirbel,
gedämpft und massenhaft zugleich, als ob man im Traum einer großen Schlacht
auf irgend einem Wolkenthron beiwohnte.

Gegen Ende des Zapfenstreichs erleuchteten rothe bengalische Flammen
die Vorhalle des Museums und die Säulen desselben. Die unnachahmlich
edlen Verhältnisse des Schinkelschen Baues erschienen in herrlichster Wirkung.
Ihren Berichterstatter aber durchzuckte folgender Gedanke. Was ist unser
selbstzufriedenes neunzehntes Jahrhundert, wenn der schönste Moment seiner
stolzesten Feste, für den gebildeten Theilnehmer wenigstens, in dem wiederbe¬
lebten Eindruck eines schwachen Abglanzes der zweitausendjährigen Vergangen¬
heit des griechischen Alterthums liegt?

Möchte es unserm deutschen Reich, dessen Aufnahme in das europäische
Staatenshstem in diesen Septembertagen gewissermaßen feierlich begangen wor¬
den, beschieden sein, eine Geisteskultur hervorzurufen, von so selbstständiger
Innerlichkeit, von solchem Adel der Erscheinung, von so einer Verschmelzung
des Inneren und Aeußeren wie einst die hellenische.




Kuh dem Mag.

Wie Sie wissen, bin ich hierher gereist, um Ihnen Bericht von dem
Congreß der Internationale zu erstatten. Aber selten ist eine höfliche Auf¬
merksamkeit schlechter gelohnt worden. Die öffentlichen Sitzungen der rothen
Feindin der jetzigen Gesellschaftsordnung der ganzen gesitteten Welt, bot kaum
mehr als die landläufigen Phrasen, die namentlich Ihrem Blatte längst ver¬
traut sind, und -- die persönliche Bekanntschaft mit einer Reihe ehemaliger
Pariser Communards, welche auch hier Vorsicht als den besten Theil der Tapferkeit
proclamirten, indem sie unter falschen Namen sich an den Debatten betheiligten.
Die geheimen Sitzungen dagegen bereiteten nur jene Spaltung vor, welche auf
die Dauer auch vor den "Bourgeois" der Tribünen nicht mehr verborgen werden
konnte: London oder New-Uork, Generalrathsunfehlbarkeit oder mehr föderative
Organisation und Selbstbestimmung der Glieder des Bundes, rein sociale oder
politisch-persönliche Zwecke. Auch die öffentlichen Debatten waren erfüllt von
dem bittersten persönlichen Haß der einzelnen Parteiungen im Bunde wider-


dem die religiös kriegerische Stimmung einen so wunderbaren Ausdruck erhält.
Wie aus dem Feldlager einer fernen Himmelsgegend klang der von allen
Trommlern in erstaunlicher Gleichmäßigkeit des Tempo geschlagene Wirbel,
gedämpft und massenhaft zugleich, als ob man im Traum einer großen Schlacht
auf irgend einem Wolkenthron beiwohnte.

Gegen Ende des Zapfenstreichs erleuchteten rothe bengalische Flammen
die Vorhalle des Museums und die Säulen desselben. Die unnachahmlich
edlen Verhältnisse des Schinkelschen Baues erschienen in herrlichster Wirkung.
Ihren Berichterstatter aber durchzuckte folgender Gedanke. Was ist unser
selbstzufriedenes neunzehntes Jahrhundert, wenn der schönste Moment seiner
stolzesten Feste, für den gebildeten Theilnehmer wenigstens, in dem wiederbe¬
lebten Eindruck eines schwachen Abglanzes der zweitausendjährigen Vergangen¬
heit des griechischen Alterthums liegt?

Möchte es unserm deutschen Reich, dessen Aufnahme in das europäische
Staatenshstem in diesen Septembertagen gewissermaßen feierlich begangen wor¬
den, beschieden sein, eine Geisteskultur hervorzurufen, von so selbstständiger
Innerlichkeit, von solchem Adel der Erscheinung, von so einer Verschmelzung
des Inneren und Aeußeren wie einst die hellenische.




Kuh dem Mag.

Wie Sie wissen, bin ich hierher gereist, um Ihnen Bericht von dem
Congreß der Internationale zu erstatten. Aber selten ist eine höfliche Auf¬
merksamkeit schlechter gelohnt worden. Die öffentlichen Sitzungen der rothen
Feindin der jetzigen Gesellschaftsordnung der ganzen gesitteten Welt, bot kaum
mehr als die landläufigen Phrasen, die namentlich Ihrem Blatte längst ver¬
traut sind, und — die persönliche Bekanntschaft mit einer Reihe ehemaliger
Pariser Communards, welche auch hier Vorsicht als den besten Theil der Tapferkeit
proclamirten, indem sie unter falschen Namen sich an den Debatten betheiligten.
Die geheimen Sitzungen dagegen bereiteten nur jene Spaltung vor, welche auf
die Dauer auch vor den „Bourgeois" der Tribünen nicht mehr verborgen werden
konnte: London oder New-Uork, Generalrathsunfehlbarkeit oder mehr föderative
Organisation und Selbstbestimmung der Glieder des Bundes, rein sociale oder
politisch-persönliche Zwecke. Auch die öffentlichen Debatten waren erfüllt von
dem bittersten persönlichen Haß der einzelnen Parteiungen im Bunde wider-


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[0476] dem die religiös kriegerische Stimmung einen so wunderbaren Ausdruck erhält. Wie aus dem Feldlager einer fernen Himmelsgegend klang der von allen Trommlern in erstaunlicher Gleichmäßigkeit des Tempo geschlagene Wirbel, gedämpft und massenhaft zugleich, als ob man im Traum einer großen Schlacht auf irgend einem Wolkenthron beiwohnte. Gegen Ende des Zapfenstreichs erleuchteten rothe bengalische Flammen die Vorhalle des Museums und die Säulen desselben. Die unnachahmlich edlen Verhältnisse des Schinkelschen Baues erschienen in herrlichster Wirkung. Ihren Berichterstatter aber durchzuckte folgender Gedanke. Was ist unser selbstzufriedenes neunzehntes Jahrhundert, wenn der schönste Moment seiner stolzesten Feste, für den gebildeten Theilnehmer wenigstens, in dem wiederbe¬ lebten Eindruck eines schwachen Abglanzes der zweitausendjährigen Vergangen¬ heit des griechischen Alterthums liegt? Möchte es unserm deutschen Reich, dessen Aufnahme in das europäische Staatenshstem in diesen Septembertagen gewissermaßen feierlich begangen wor¬ den, beschieden sein, eine Geisteskultur hervorzurufen, von so selbstständiger Innerlichkeit, von solchem Adel der Erscheinung, von so einer Verschmelzung des Inneren und Aeußeren wie einst die hellenische. Kuh dem Mag. Wie Sie wissen, bin ich hierher gereist, um Ihnen Bericht von dem Congreß der Internationale zu erstatten. Aber selten ist eine höfliche Auf¬ merksamkeit schlechter gelohnt worden. Die öffentlichen Sitzungen der rothen Feindin der jetzigen Gesellschaftsordnung der ganzen gesitteten Welt, bot kaum mehr als die landläufigen Phrasen, die namentlich Ihrem Blatte längst ver¬ traut sind, und — die persönliche Bekanntschaft mit einer Reihe ehemaliger Pariser Communards, welche auch hier Vorsicht als den besten Theil der Tapferkeit proclamirten, indem sie unter falschen Namen sich an den Debatten betheiligten. Die geheimen Sitzungen dagegen bereiteten nur jene Spaltung vor, welche auf die Dauer auch vor den „Bourgeois" der Tribünen nicht mehr verborgen werden konnte: London oder New-Uork, Generalrathsunfehlbarkeit oder mehr föderative Organisation und Selbstbestimmung der Glieder des Bundes, rein sociale oder politisch-persönliche Zwecke. Auch die öffentlichen Debatten waren erfüllt von dem bittersten persönlichen Haß der einzelnen Parteiungen im Bunde wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/476>, abgerufen am 22.12.2024.