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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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des Plans derart compromittirt, daß man ihn absetzte und der Kriegs¬
minister, Marschall Victor, selbst seinen Posten übernahm. So weitgreifend
erwiesen sich jedoch die Fäden der Verschwörung, daß die Negierung. eben so
hochherzig als klug, endlich beschloß, die ganze Verschwörung auf sich beruhen
zu lassen und den Betheiligten Gelegenheit zu geben, ihre Schuld vor ihrem
eigenen Gewissen im Angesicht des Feindes gut zu machen. Diese Anschauung
entschied zugleich den Krieg.

Ueber Disciplin und Geist der französischen Armee zu der Zeit, als sie
sich zum Feldzuge rüstete, spricht sich ein kundiger Beobachter folgendermaßen
aus: "Das Aeußere der Armee ist nichts weniger als imponirend. Der
militärische Geist, das feste Vertrauen zu ihren Anführern und zu sich selbst
sind verschwunden. Bei Weitem der größte Theil der bekannten Marschälle,
Divisions- und Brigade-Generale ist außer Thätigkeit. Die jungen Officiere
sind übermüthig und dünkelhaft, von den älteren gehaßt, von den Unter-
ofsicieren und Soldaten ohne Vertrauen eingesehn, aber von den meist eben¬
falls jungen Regimentschefs protegirt. Krieger sind fast nur die Unterofficiere,
die älteren Premier-Lieutenants, die Hauptleute und Bataillonschefs; jene
seconde-Lieutenants und Regimentschefs dagegen sind mehr aus politischen
als militärischen Rücksichten in ihre Stellungen gebracht; es sind fast alle
Männer von altadeliger Familie, deren Anhänglichkeit für die regierende
Dynastie man sich versichert hält. -- Von Zeit zu Zeit, wie z. B. jetzt bei
der nach Spanien marschirenden Armee, werden bisher inactive Officiere, die
mit Auszeichnung gedient, wieder angestellt; zu großem Nutzen; denn jene
alten Officiere sind allein noch Schildhalter der Disciplin und bewahren nach
Möglichkeit militärischen Geist im Heere. -- Reiterei und Artillerie haben
mehr alte Soldaten und bessere Haltung als die Infanterie. -- Die jetzigen
französischen Truppen werden sich tapfer und mit Ehren, aber ohne Be¬
geisterung schlagen; gegen geübte krieggewohnte Heere möchte das französische
Fußvolk in einer Feldschlacht nicht siegreich sein."*)

Es war somit günstig und sachgemäß, daß das französische Heer nicht
etwa Deutschen oder Engländern, sondern den Spaniern entgegengeführt
wurde. Hier machte es seine Sache ganz gut. -- Binnen Kurzem befand
sich Catalonien. bald nachher Cadix. der Sitz des Aufstandes, und ganz
Spanien in den Händen der Franzosen. Der Kampf vor den Linien von
Trocadero brachte dem französischen Prinzen den Titel eines vue as Iroeg,-
<!ero, und wenn auch der allgemein-politische Gewinn des reactionären Feld¬
zugs nur darin bestand, daß man für 200 Millionen Franken und mehrere
Tausend Soldaten Haß, Mißtrauen und Undank eintauschte, so kehrte das



') Militär-Wochent'kalt 21. Juni 1828.
Grmjbotm III. 1872.57

des Plans derart compromittirt, daß man ihn absetzte und der Kriegs¬
minister, Marschall Victor, selbst seinen Posten übernahm. So weitgreifend
erwiesen sich jedoch die Fäden der Verschwörung, daß die Negierung. eben so
hochherzig als klug, endlich beschloß, die ganze Verschwörung auf sich beruhen
zu lassen und den Betheiligten Gelegenheit zu geben, ihre Schuld vor ihrem
eigenen Gewissen im Angesicht des Feindes gut zu machen. Diese Anschauung
entschied zugleich den Krieg.

Ueber Disciplin und Geist der französischen Armee zu der Zeit, als sie
sich zum Feldzuge rüstete, spricht sich ein kundiger Beobachter folgendermaßen
aus: „Das Aeußere der Armee ist nichts weniger als imponirend. Der
militärische Geist, das feste Vertrauen zu ihren Anführern und zu sich selbst
sind verschwunden. Bei Weitem der größte Theil der bekannten Marschälle,
Divisions- und Brigade-Generale ist außer Thätigkeit. Die jungen Officiere
sind übermüthig und dünkelhaft, von den älteren gehaßt, von den Unter-
ofsicieren und Soldaten ohne Vertrauen eingesehn, aber von den meist eben¬
falls jungen Regimentschefs protegirt. Krieger sind fast nur die Unterofficiere,
die älteren Premier-Lieutenants, die Hauptleute und Bataillonschefs; jene
seconde-Lieutenants und Regimentschefs dagegen sind mehr aus politischen
als militärischen Rücksichten in ihre Stellungen gebracht; es sind fast alle
Männer von altadeliger Familie, deren Anhänglichkeit für die regierende
Dynastie man sich versichert hält. — Von Zeit zu Zeit, wie z. B. jetzt bei
der nach Spanien marschirenden Armee, werden bisher inactive Officiere, die
mit Auszeichnung gedient, wieder angestellt; zu großem Nutzen; denn jene
alten Officiere sind allein noch Schildhalter der Disciplin und bewahren nach
Möglichkeit militärischen Geist im Heere. — Reiterei und Artillerie haben
mehr alte Soldaten und bessere Haltung als die Infanterie. — Die jetzigen
französischen Truppen werden sich tapfer und mit Ehren, aber ohne Be¬
geisterung schlagen; gegen geübte krieggewohnte Heere möchte das französische
Fußvolk in einer Feldschlacht nicht siegreich sein."*)

Es war somit günstig und sachgemäß, daß das französische Heer nicht
etwa Deutschen oder Engländern, sondern den Spaniern entgegengeführt
wurde. Hier machte es seine Sache ganz gut. — Binnen Kurzem befand
sich Catalonien. bald nachher Cadix. der Sitz des Aufstandes, und ganz
Spanien in den Händen der Franzosen. Der Kampf vor den Linien von
Trocadero brachte dem französischen Prinzen den Titel eines vue as Iroeg,-
<!ero, und wenn auch der allgemein-politische Gewinn des reactionären Feld¬
zugs nur darin bestand, daß man für 200 Millionen Franken und mehrere
Tausend Soldaten Haß, Mißtrauen und Undank eintauschte, so kehrte das



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[0449] des Plans derart compromittirt, daß man ihn absetzte und der Kriegs¬ minister, Marschall Victor, selbst seinen Posten übernahm. So weitgreifend erwiesen sich jedoch die Fäden der Verschwörung, daß die Negierung. eben so hochherzig als klug, endlich beschloß, die ganze Verschwörung auf sich beruhen zu lassen und den Betheiligten Gelegenheit zu geben, ihre Schuld vor ihrem eigenen Gewissen im Angesicht des Feindes gut zu machen. Diese Anschauung entschied zugleich den Krieg. Ueber Disciplin und Geist der französischen Armee zu der Zeit, als sie sich zum Feldzuge rüstete, spricht sich ein kundiger Beobachter folgendermaßen aus: „Das Aeußere der Armee ist nichts weniger als imponirend. Der militärische Geist, das feste Vertrauen zu ihren Anführern und zu sich selbst sind verschwunden. Bei Weitem der größte Theil der bekannten Marschälle, Divisions- und Brigade-Generale ist außer Thätigkeit. Die jungen Officiere sind übermüthig und dünkelhaft, von den älteren gehaßt, von den Unter- ofsicieren und Soldaten ohne Vertrauen eingesehn, aber von den meist eben¬ falls jungen Regimentschefs protegirt. Krieger sind fast nur die Unterofficiere, die älteren Premier-Lieutenants, die Hauptleute und Bataillonschefs; jene seconde-Lieutenants und Regimentschefs dagegen sind mehr aus politischen als militärischen Rücksichten in ihre Stellungen gebracht; es sind fast alle Männer von altadeliger Familie, deren Anhänglichkeit für die regierende Dynastie man sich versichert hält. — Von Zeit zu Zeit, wie z. B. jetzt bei der nach Spanien marschirenden Armee, werden bisher inactive Officiere, die mit Auszeichnung gedient, wieder angestellt; zu großem Nutzen; denn jene alten Officiere sind allein noch Schildhalter der Disciplin und bewahren nach Möglichkeit militärischen Geist im Heere. — Reiterei und Artillerie haben mehr alte Soldaten und bessere Haltung als die Infanterie. — Die jetzigen französischen Truppen werden sich tapfer und mit Ehren, aber ohne Be¬ geisterung schlagen; gegen geübte krieggewohnte Heere möchte das französische Fußvolk in einer Feldschlacht nicht siegreich sein."*) Es war somit günstig und sachgemäß, daß das französische Heer nicht etwa Deutschen oder Engländern, sondern den Spaniern entgegengeführt wurde. Hier machte es seine Sache ganz gut. — Binnen Kurzem befand sich Catalonien. bald nachher Cadix. der Sitz des Aufstandes, und ganz Spanien in den Händen der Franzosen. Der Kampf vor den Linien von Trocadero brachte dem französischen Prinzen den Titel eines vue as Iroeg,- <!ero, und wenn auch der allgemein-politische Gewinn des reactionären Feld¬ zugs nur darin bestand, daß man für 200 Millionen Franken und mehrere Tausend Soldaten Haß, Mißtrauen und Undank eintauschte, so kehrte das ') Militär-Wochent'kalt 21. Juni 1828. Grmjbotm III. 1872.57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/449>, abgerufen am 22.07.2024.