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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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gements sollten freiwillig sein, Prämien (primos) waren verboten und auch
das wiederholte Engagement, die Kapitulation gab nur Anrecht auf höheren
Sold. -- Die Stellvertretung war gestattet und zwar ohne Einmischung
der Behörden, welche nur die Brauchbarkeit des Stellvertreters anzuerkennen
hatten. Für den Fall der Desertion blieb der Vertreter ein Jahr lang haft¬
bar. -- Die Dauer des Dienstes war auf 6 Jahr festgesetzt. Je nach
Umständen konnten die Ausgehobenen und Stellvertreter an den heimathlichen
Heerd beurlaubt werden.

Das waren die Hauptbestimmungen der drei ersten Artikel des Gesetzes.
Der Artikel IV errichtete die "Beteranen", unter welchem Namen sämmt¬
liche entlassene Unterofficiere und Soldaten zusammengefaßt wurden. Ihnen
wurde, bei voller persönlicher Freiheit, sich zu verheirathen und Geschäfte zu
begründen, ein Territorialdienst auferlegt, der 6 Jahr dauerte, aber nur
im Kriegsfall gefordert werden durfte. Selbst dann sollte es eines besonderen
Gesetzes bedürfen, um sie zu verpflichten, auch nur den Bezirk ihrer Militär¬
division zu verlassen. -- Durch diese Einrichtung wollte sich Saint-Cyr eine
Reserve von 240,000 ausgedienter Soldaten sichern, die in jener Zeit sogar
kriegserfahrene Soldaten waren, zumal er bei ihrer ersten Formation bis
zum Jahre 1807 zurückgriff. Die unklare Fassung des Artikels jedoch beein¬
trächtigte seinen Werth. Nicht ohne Absicht war wol unbestimmt gelassen,
was unter "serviee territorial" eigentlich zu verstehen sei: ob die Veteranen
unter die Kriegsartikel gestellt, ob sie in besonderen Corps formirt werden
sollten oder ob sie in Regimenter eingereiht werden dürften -- die Unbe¬
stimmtheit war jedoch schädlich.

Artikel V enthielt die Strafbestimmungen; Artikel VI bezog sich
auf das Avancement. Die Restauration hatte sich nach der gewaltsamen
Reaction der ersten Wochen im Allgemeinen gerecht und billig bei den mili¬
tärischen Anstellungen gezeigt; aber die Schwierigkeiten waren außerordentlich
groß. Die Massenbeförderungen von 1809 und 1813, die zurückgekehrten
Emigranten, die Menge der Unterlieutenants, welche 1a maison Zu Roi von
1814 geliefert, waren unmöglich unterzubringen. Zudem hatten die hastigen
und ausgedehnten Neuschöpfungen viele schlechte Elemente in die Officiercorps
gebracht. Jetzt wurden nun alle diese Verhältnisse gesetzlich geordnet. Artikel
VI stellte fest, daß Niemand Officur werden dürfe, der nicht ausreichende Zeit
in den unteren Chargen gedient oder das Examen einer Militärschule bestan¬
den habe. Ein Drittel der Souslieutenantsstellen blieb den Unterofficieren
vorbehalten.

Die Opposition der Ultra - Royalisten concentrirte ihre Angriffe weniger
gegen das Princip der "Appells", dessen Nothwendigkeit ziemlich allgemein zu¬
gegeben wurde, als gegen die Artikel IV und VI. Die Einrichtung der Ve-


gements sollten freiwillig sein, Prämien (primos) waren verboten und auch
das wiederholte Engagement, die Kapitulation gab nur Anrecht auf höheren
Sold. — Die Stellvertretung war gestattet und zwar ohne Einmischung
der Behörden, welche nur die Brauchbarkeit des Stellvertreters anzuerkennen
hatten. Für den Fall der Desertion blieb der Vertreter ein Jahr lang haft¬
bar. — Die Dauer des Dienstes war auf 6 Jahr festgesetzt. Je nach
Umständen konnten die Ausgehobenen und Stellvertreter an den heimathlichen
Heerd beurlaubt werden.

Das waren die Hauptbestimmungen der drei ersten Artikel des Gesetzes.
Der Artikel IV errichtete die „Beteranen", unter welchem Namen sämmt¬
liche entlassene Unterofficiere und Soldaten zusammengefaßt wurden. Ihnen
wurde, bei voller persönlicher Freiheit, sich zu verheirathen und Geschäfte zu
begründen, ein Territorialdienst auferlegt, der 6 Jahr dauerte, aber nur
im Kriegsfall gefordert werden durfte. Selbst dann sollte es eines besonderen
Gesetzes bedürfen, um sie zu verpflichten, auch nur den Bezirk ihrer Militär¬
division zu verlassen. — Durch diese Einrichtung wollte sich Saint-Cyr eine
Reserve von 240,000 ausgedienter Soldaten sichern, die in jener Zeit sogar
kriegserfahrene Soldaten waren, zumal er bei ihrer ersten Formation bis
zum Jahre 1807 zurückgriff. Die unklare Fassung des Artikels jedoch beein¬
trächtigte seinen Werth. Nicht ohne Absicht war wol unbestimmt gelassen,
was unter „serviee territorial" eigentlich zu verstehen sei: ob die Veteranen
unter die Kriegsartikel gestellt, ob sie in besonderen Corps formirt werden
sollten oder ob sie in Regimenter eingereiht werden dürften — die Unbe¬
stimmtheit war jedoch schädlich.

Artikel V enthielt die Strafbestimmungen; Artikel VI bezog sich
auf das Avancement. Die Restauration hatte sich nach der gewaltsamen
Reaction der ersten Wochen im Allgemeinen gerecht und billig bei den mili¬
tärischen Anstellungen gezeigt; aber die Schwierigkeiten waren außerordentlich
groß. Die Massenbeförderungen von 1809 und 1813, die zurückgekehrten
Emigranten, die Menge der Unterlieutenants, welche 1a maison Zu Roi von
1814 geliefert, waren unmöglich unterzubringen. Zudem hatten die hastigen
und ausgedehnten Neuschöpfungen viele schlechte Elemente in die Officiercorps
gebracht. Jetzt wurden nun alle diese Verhältnisse gesetzlich geordnet. Artikel
VI stellte fest, daß Niemand Officur werden dürfe, der nicht ausreichende Zeit
in den unteren Chargen gedient oder das Examen einer Militärschule bestan¬
den habe. Ein Drittel der Souslieutenantsstellen blieb den Unterofficieren
vorbehalten.

Die Opposition der Ultra - Royalisten concentrirte ihre Angriffe weniger
gegen das Princip der „Appells", dessen Nothwendigkeit ziemlich allgemein zu¬
gegeben wurde, als gegen die Artikel IV und VI. Die Einrichtung der Ve-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/444>, abgerufen am 22.07.2024.