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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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thige Klage: Choriner Pergamente zumeist haben sie uns aufbehalten. so¬
oft er nämlich dem Kloster eine Schenkung machte, erwähnte er seiner Kinder¬
losigkeit und wünscht sich wehmüthig einen Nachkommen. Im August 1319
weilt er zu Bärwalde, da überfällt ihn ein hitziges Fieber, er fühlt die Nähe
des Todes und beruft seine treuesten Räthe zu sich. "Noch bei vollem Be¬
wußtsein, wie es ausdrücklich heißt, beschenkt er reich die Adler, wo seine Vor¬
fahren ruhen und wo er auch begraben sein will." Die gleichzeitigen Chro¬
nisten sprechen von dem großartigen Leichenzug nach Chorin und von den
Thränen der Unterthanen, welche ihm folgten. Mit gleichem Schmerz muß
der Fürst von einem Land geschieden sein, das wehrlos nun der Gier der
Nachbarn preisgegeben war.

Fast ein Jahrhundert voll Unheil und Noth schließt sich an diese Stunde,
der Schild Anhalts dort an der Säule ist vertauscht mit dem bairischen
Löwen, der aber kann sich seiner Dränger kaum erwehren.

Von der geschichtlichen Bedeutsamkeit des Ortes ergriffen, schreiten wir leise
durch die tiefe Stille der Grabeskirche. Wenn sie auch lange zerstreut sind,
wir fühlen, daß wir über den Gebeinen der großen Männer der alten Zeit
wandeln. Es lastet noch immer auf diesen Räumen ein Geheimniß, ein un¬
gelöstes Räthsel. Ist's wirklich wahr, daß Woldemar hier ruht? War jener
Wiedererstandene, aus Ketten und Banden des Morgenlandes Zurückkehrende
wirklich ein Betrüger? So sehr sich das Gefühl auch sträubt, ein Verbrechen
von solcher Größe zuzugeben, so stark sind die Gründe sür die Unächtheit des
Woldemar in Kaiser Karl's IV. Hand. Die Umstände von Woldemar's Tod
ergeben sich urkundlich mit voller Bestimmtheit und Anschaulichkeit, und ein
Fürst, der sein Land und den Glanz der Herrschaft fo liebte, der konnte nicht
zu dem Entschluß gelangen, so von seinem Eigen abzutreten, damit es ein
Spielball der Herrschsucht und ein Schauplatz unsäglichen Elends werde. Die
Mönche von Chorin, die vielleicht am Besten Aufschluß geben konnten, hat
Kaiser Karl bei allen seinen Untersuchungen nicht befragt, ein Hinabsteigen
in die Grüfte von Chorin hätte vielleicht alle seine Pläne durchkreuzt.

Im letzten Dämmerlicht nehmen wir Abschied von der Kirche. Schmerzlich
wirkt wie in Lehnin so auch hier das Bild der Zerstörung. Männer, denen
ein großes Land zu klein war, haben nicht einmal ein Denkzeichen für die
Nachwelt erhalten. Wir blicken in die hohen, leeren Wölbungen; hier hingen
einst über ihren Schilden die Fahnen, die man ihnen vortrug in Kampf und
Streit, hier beteten sie, umgeben von allem Glänze ihrer ritterlichen Zeit.
Alle Denkmale an sie sind dahin, -- Todtenstille hat hier ihre Wohnung
aufgeschlagen; nur das Zwitschern der Vögel, die müde ihre Nester in den
gothischen Fensterrosen suchen, tönt zu uns, -- ein sicheres Zeichen völliger
Verödung.


thige Klage: Choriner Pergamente zumeist haben sie uns aufbehalten. so¬
oft er nämlich dem Kloster eine Schenkung machte, erwähnte er seiner Kinder¬
losigkeit und wünscht sich wehmüthig einen Nachkommen. Im August 1319
weilt er zu Bärwalde, da überfällt ihn ein hitziges Fieber, er fühlt die Nähe
des Todes und beruft seine treuesten Räthe zu sich. „Noch bei vollem Be¬
wußtsein, wie es ausdrücklich heißt, beschenkt er reich die Adler, wo seine Vor¬
fahren ruhen und wo er auch begraben sein will." Die gleichzeitigen Chro¬
nisten sprechen von dem großartigen Leichenzug nach Chorin und von den
Thränen der Unterthanen, welche ihm folgten. Mit gleichem Schmerz muß
der Fürst von einem Land geschieden sein, das wehrlos nun der Gier der
Nachbarn preisgegeben war.

Fast ein Jahrhundert voll Unheil und Noth schließt sich an diese Stunde,
der Schild Anhalts dort an der Säule ist vertauscht mit dem bairischen
Löwen, der aber kann sich seiner Dränger kaum erwehren.

Von der geschichtlichen Bedeutsamkeit des Ortes ergriffen, schreiten wir leise
durch die tiefe Stille der Grabeskirche. Wenn sie auch lange zerstreut sind,
wir fühlen, daß wir über den Gebeinen der großen Männer der alten Zeit
wandeln. Es lastet noch immer auf diesen Räumen ein Geheimniß, ein un¬
gelöstes Räthsel. Ist's wirklich wahr, daß Woldemar hier ruht? War jener
Wiedererstandene, aus Ketten und Banden des Morgenlandes Zurückkehrende
wirklich ein Betrüger? So sehr sich das Gefühl auch sträubt, ein Verbrechen
von solcher Größe zuzugeben, so stark sind die Gründe sür die Unächtheit des
Woldemar in Kaiser Karl's IV. Hand. Die Umstände von Woldemar's Tod
ergeben sich urkundlich mit voller Bestimmtheit und Anschaulichkeit, und ein
Fürst, der sein Land und den Glanz der Herrschaft fo liebte, der konnte nicht
zu dem Entschluß gelangen, so von seinem Eigen abzutreten, damit es ein
Spielball der Herrschsucht und ein Schauplatz unsäglichen Elends werde. Die
Mönche von Chorin, die vielleicht am Besten Aufschluß geben konnten, hat
Kaiser Karl bei allen seinen Untersuchungen nicht befragt, ein Hinabsteigen
in die Grüfte von Chorin hätte vielleicht alle seine Pläne durchkreuzt.

Im letzten Dämmerlicht nehmen wir Abschied von der Kirche. Schmerzlich
wirkt wie in Lehnin so auch hier das Bild der Zerstörung. Männer, denen
ein großes Land zu klein war, haben nicht einmal ein Denkzeichen für die
Nachwelt erhalten. Wir blicken in die hohen, leeren Wölbungen; hier hingen
einst über ihren Schilden die Fahnen, die man ihnen vortrug in Kampf und
Streit, hier beteten sie, umgeben von allem Glänze ihrer ritterlichen Zeit.
Alle Denkmale an sie sind dahin, — Todtenstille hat hier ihre Wohnung
aufgeschlagen; nur das Zwitschern der Vögel, die müde ihre Nester in den
gothischen Fensterrosen suchen, tönt zu uns, — ein sicheres Zeichen völliger
Verödung.


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[0427] thige Klage: Choriner Pergamente zumeist haben sie uns aufbehalten. so¬ oft er nämlich dem Kloster eine Schenkung machte, erwähnte er seiner Kinder¬ losigkeit und wünscht sich wehmüthig einen Nachkommen. Im August 1319 weilt er zu Bärwalde, da überfällt ihn ein hitziges Fieber, er fühlt die Nähe des Todes und beruft seine treuesten Räthe zu sich. „Noch bei vollem Be¬ wußtsein, wie es ausdrücklich heißt, beschenkt er reich die Adler, wo seine Vor¬ fahren ruhen und wo er auch begraben sein will." Die gleichzeitigen Chro¬ nisten sprechen von dem großartigen Leichenzug nach Chorin und von den Thränen der Unterthanen, welche ihm folgten. Mit gleichem Schmerz muß der Fürst von einem Land geschieden sein, das wehrlos nun der Gier der Nachbarn preisgegeben war. Fast ein Jahrhundert voll Unheil und Noth schließt sich an diese Stunde, der Schild Anhalts dort an der Säule ist vertauscht mit dem bairischen Löwen, der aber kann sich seiner Dränger kaum erwehren. Von der geschichtlichen Bedeutsamkeit des Ortes ergriffen, schreiten wir leise durch die tiefe Stille der Grabeskirche. Wenn sie auch lange zerstreut sind, wir fühlen, daß wir über den Gebeinen der großen Männer der alten Zeit wandeln. Es lastet noch immer auf diesen Räumen ein Geheimniß, ein un¬ gelöstes Räthsel. Ist's wirklich wahr, daß Woldemar hier ruht? War jener Wiedererstandene, aus Ketten und Banden des Morgenlandes Zurückkehrende wirklich ein Betrüger? So sehr sich das Gefühl auch sträubt, ein Verbrechen von solcher Größe zuzugeben, so stark sind die Gründe sür die Unächtheit des Woldemar in Kaiser Karl's IV. Hand. Die Umstände von Woldemar's Tod ergeben sich urkundlich mit voller Bestimmtheit und Anschaulichkeit, und ein Fürst, der sein Land und den Glanz der Herrschaft fo liebte, der konnte nicht zu dem Entschluß gelangen, so von seinem Eigen abzutreten, damit es ein Spielball der Herrschsucht und ein Schauplatz unsäglichen Elends werde. Die Mönche von Chorin, die vielleicht am Besten Aufschluß geben konnten, hat Kaiser Karl bei allen seinen Untersuchungen nicht befragt, ein Hinabsteigen in die Grüfte von Chorin hätte vielleicht alle seine Pläne durchkreuzt. Im letzten Dämmerlicht nehmen wir Abschied von der Kirche. Schmerzlich wirkt wie in Lehnin so auch hier das Bild der Zerstörung. Männer, denen ein großes Land zu klein war, haben nicht einmal ein Denkzeichen für die Nachwelt erhalten. Wir blicken in die hohen, leeren Wölbungen; hier hingen einst über ihren Schilden die Fahnen, die man ihnen vortrug in Kampf und Streit, hier beteten sie, umgeben von allem Glänze ihrer ritterlichen Zeit. Alle Denkmale an sie sind dahin, — Todtenstille hat hier ihre Wohnung aufgeschlagen; nur das Zwitschern der Vögel, die müde ihre Nester in den gothischen Fensterrosen suchen, tönt zu uns, — ein sicheres Zeichen völliger Verödung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/427>, abgerufen am 22.07.2024.