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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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fectorium. Die Weinrebe, welche die Prämonstratenser einst auf diese Höhe
pflanzten, windet sich auch heut noch um das morsche Spalier an den Kloster¬
mauern. Aus den früheren Behausungen des Propstes und des Dechanten
steigt einladend der Rauch auf. Die freundliche Landschaft zu unsern Füßen
stimmt wohl zusammen mit dem Ergebniß einer fast tausendjährigen Geschichte;
-- ist dieses Ergebniß doch die freilich langsame aber ihres Ziels nimmer ver¬
fehlende Entwicklung zum Besseren! Deutsche Kaiser, sächsische Kämpfer in
blankem Stahlhemd, süddeutsche Mönche steigen zu uns den Domberg hinauf,
sie senken den Grundstein der Kathedrale in den geweihten Boden, aber die
gewaltige Hand des Wenden Mistewoi reißt ihn nur zu bald wieder heraus.
"Einem wendischen Hunde nie und nimmer eine Herzogin!" das war der Be¬
scheid des sächsischen Herzogs Bernhard auf die Brautwerbung des Wenden
um seine Schwester. Der Haß des Beleidigten ward reich in Christenblute
gesättigt. Nach Mistewoi's frühem Ende waltet hier mild der Wendenkönig
Gottschall. Fürst und Priester zugleich stürzt er den Altar des Kriegsgottes
Gerowit um, -- aber bald trifft auch ihn am Altare von Lenzen der tödt-
liche Stoß.

Reich bewegte Bilder führte das 12. Jahrhundert an diesen Stätten vor¬
über. Die ersten Fürsten des Ballenstädtischen Hauses steigen herauf, mit
ihnen unter prächtigen Kirchenfahnen der Bischof Otto von Bamberg, der von
hier aus seinen Weg zur Müritz antrat, und Norbert von Magdeburg, der
wunderthätige Stifter der Prämonstratenser,- -- oben empfängt sie Anselm
von Havelberg, der berühmte in den Wissenschaften wie in den kaiserlichen
Gesandtschaften gleich bewährte Freund Friedrich Rothbart's. Von fern her
strömten die Wenden, mit ihnen die Pommernfürsten, damals nach dieser
Stätte, um hier die Taufe zu empfangen.

Wie an dem Glänze der mittelalterlichen Hierarchie nahm das Havelbcr-
ger Gotteshaus auch an ihren Gebrechen Theil. Von hier aus wurde der
Wilsnacker Ablaß verbreitet, der das Bisthum mit frommen Gaben über¬
schüttete; ganz verwelkliche kamen die Domherren, den Falken auf der Faust
und den Jagdhund zur Seite, in stutzerhafter Kleidung zum Hochamt, und
das ehrwürdige Gotteshaus öffnete Maskeraden und Fastnachtsscherzen seine
Thore.

Nachdem der Mark das Licht des Evangeliums aufgegangen, waren die
Stunden des Havelberger Bisthums gezählt, -- aber es ging nicht unter,
ohne in dem Bischof Busso II. von Alvensleben noch einen erbitterten Wi¬
derstand zu leisten. Erst nach dessen Tode 1549 erhielten die Stiftsuntertha¬
nen den Kelch des Abendmahles. Dann wurden märkische Prinzen zu Bischö¬
fen postulirt; und in die Präbenden, in denen sonst die geistlichen Herren re-
sidirt, zogen nun gealterte, verdiente Staatsbeamte aus den stiftssähigen Fa-


fectorium. Die Weinrebe, welche die Prämonstratenser einst auf diese Höhe
pflanzten, windet sich auch heut noch um das morsche Spalier an den Kloster¬
mauern. Aus den früheren Behausungen des Propstes und des Dechanten
steigt einladend der Rauch auf. Die freundliche Landschaft zu unsern Füßen
stimmt wohl zusammen mit dem Ergebniß einer fast tausendjährigen Geschichte;
— ist dieses Ergebniß doch die freilich langsame aber ihres Ziels nimmer ver¬
fehlende Entwicklung zum Besseren! Deutsche Kaiser, sächsische Kämpfer in
blankem Stahlhemd, süddeutsche Mönche steigen zu uns den Domberg hinauf,
sie senken den Grundstein der Kathedrale in den geweihten Boden, aber die
gewaltige Hand des Wenden Mistewoi reißt ihn nur zu bald wieder heraus.
„Einem wendischen Hunde nie und nimmer eine Herzogin!" das war der Be¬
scheid des sächsischen Herzogs Bernhard auf die Brautwerbung des Wenden
um seine Schwester. Der Haß des Beleidigten ward reich in Christenblute
gesättigt. Nach Mistewoi's frühem Ende waltet hier mild der Wendenkönig
Gottschall. Fürst und Priester zugleich stürzt er den Altar des Kriegsgottes
Gerowit um, — aber bald trifft auch ihn am Altare von Lenzen der tödt-
liche Stoß.

Reich bewegte Bilder führte das 12. Jahrhundert an diesen Stätten vor¬
über. Die ersten Fürsten des Ballenstädtischen Hauses steigen herauf, mit
ihnen unter prächtigen Kirchenfahnen der Bischof Otto von Bamberg, der von
hier aus seinen Weg zur Müritz antrat, und Norbert von Magdeburg, der
wunderthätige Stifter der Prämonstratenser,- — oben empfängt sie Anselm
von Havelberg, der berühmte in den Wissenschaften wie in den kaiserlichen
Gesandtschaften gleich bewährte Freund Friedrich Rothbart's. Von fern her
strömten die Wenden, mit ihnen die Pommernfürsten, damals nach dieser
Stätte, um hier die Taufe zu empfangen.

Wie an dem Glänze der mittelalterlichen Hierarchie nahm das Havelbcr-
ger Gotteshaus auch an ihren Gebrechen Theil. Von hier aus wurde der
Wilsnacker Ablaß verbreitet, der das Bisthum mit frommen Gaben über¬
schüttete; ganz verwelkliche kamen die Domherren, den Falken auf der Faust
und den Jagdhund zur Seite, in stutzerhafter Kleidung zum Hochamt, und
das ehrwürdige Gotteshaus öffnete Maskeraden und Fastnachtsscherzen seine
Thore.

Nachdem der Mark das Licht des Evangeliums aufgegangen, waren die
Stunden des Havelberger Bisthums gezählt, — aber es ging nicht unter,
ohne in dem Bischof Busso II. von Alvensleben noch einen erbitterten Wi¬
derstand zu leisten. Erst nach dessen Tode 1549 erhielten die Stiftsuntertha¬
nen den Kelch des Abendmahles. Dann wurden märkische Prinzen zu Bischö¬
fen postulirt; und in die Präbenden, in denen sonst die geistlichen Herren re-
sidirt, zogen nun gealterte, verdiente Staatsbeamte aus den stiftssähigen Fa-


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[0422] fectorium. Die Weinrebe, welche die Prämonstratenser einst auf diese Höhe pflanzten, windet sich auch heut noch um das morsche Spalier an den Kloster¬ mauern. Aus den früheren Behausungen des Propstes und des Dechanten steigt einladend der Rauch auf. Die freundliche Landschaft zu unsern Füßen stimmt wohl zusammen mit dem Ergebniß einer fast tausendjährigen Geschichte; — ist dieses Ergebniß doch die freilich langsame aber ihres Ziels nimmer ver¬ fehlende Entwicklung zum Besseren! Deutsche Kaiser, sächsische Kämpfer in blankem Stahlhemd, süddeutsche Mönche steigen zu uns den Domberg hinauf, sie senken den Grundstein der Kathedrale in den geweihten Boden, aber die gewaltige Hand des Wenden Mistewoi reißt ihn nur zu bald wieder heraus. „Einem wendischen Hunde nie und nimmer eine Herzogin!" das war der Be¬ scheid des sächsischen Herzogs Bernhard auf die Brautwerbung des Wenden um seine Schwester. Der Haß des Beleidigten ward reich in Christenblute gesättigt. Nach Mistewoi's frühem Ende waltet hier mild der Wendenkönig Gottschall. Fürst und Priester zugleich stürzt er den Altar des Kriegsgottes Gerowit um, — aber bald trifft auch ihn am Altare von Lenzen der tödt- liche Stoß. Reich bewegte Bilder führte das 12. Jahrhundert an diesen Stätten vor¬ über. Die ersten Fürsten des Ballenstädtischen Hauses steigen herauf, mit ihnen unter prächtigen Kirchenfahnen der Bischof Otto von Bamberg, der von hier aus seinen Weg zur Müritz antrat, und Norbert von Magdeburg, der wunderthätige Stifter der Prämonstratenser,- — oben empfängt sie Anselm von Havelberg, der berühmte in den Wissenschaften wie in den kaiserlichen Gesandtschaften gleich bewährte Freund Friedrich Rothbart's. Von fern her strömten die Wenden, mit ihnen die Pommernfürsten, damals nach dieser Stätte, um hier die Taufe zu empfangen. Wie an dem Glänze der mittelalterlichen Hierarchie nahm das Havelbcr- ger Gotteshaus auch an ihren Gebrechen Theil. Von hier aus wurde der Wilsnacker Ablaß verbreitet, der das Bisthum mit frommen Gaben über¬ schüttete; ganz verwelkliche kamen die Domherren, den Falken auf der Faust und den Jagdhund zur Seite, in stutzerhafter Kleidung zum Hochamt, und das ehrwürdige Gotteshaus öffnete Maskeraden und Fastnachtsscherzen seine Thore. Nachdem der Mark das Licht des Evangeliums aufgegangen, waren die Stunden des Havelberger Bisthums gezählt, — aber es ging nicht unter, ohne in dem Bischof Busso II. von Alvensleben noch einen erbitterten Wi¬ derstand zu leisten. Erst nach dessen Tode 1549 erhielten die Stiftsuntertha¬ nen den Kelch des Abendmahles. Dann wurden märkische Prinzen zu Bischö¬ fen postulirt; und in die Präbenden, in denen sonst die geistlichen Herren re- sidirt, zogen nun gealterte, verdiente Staatsbeamte aus den stiftssähigen Fa-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/422>, abgerufen am 29.06.2024.