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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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leben. In dem schönen, noch sehr jugendlichen Kopfe sind die reinen Züge
mit vollendetem Adel und tiefem Verständniß wiedergegeben; der Künstler
hat die Locken des unter der Mitra hervorquellenden Haares und den Falten¬
wurf der reichen Kleidung untadelhaft in wenigen, genialen Meißelstnchen
ausgeführt. Die geharnischte Gestalt eines Christoph v. d. Schulenburg
daneben führt uns die ganze verschwenderische Pracht des verlöschenden Ritter-
thums vor Augen.

Den höchsten Schatz des Domes bildet sein vorher erwähnter Lettner.
Ein kunstsinniger Bischof des Is. Jahrhunderts, Johann Wövelitz, hat diese
hohen sandsteinernen Schranken, welche in der Mitte quadratisch vorspringend,
ein erhöhtes Kanzelpult, den Amber bilden, erbauen lassen, sie zeigen in ihren
Reliefen die Leidens- und Verherrlichungsgeschichte des Erlösers. Reiches,
spätgothisches Maßwerk krönt sie. Zierlich und schön sind die an den Ab¬
theilungspfeilern unter prächtig verzierten Baldachinen postirten Heiligenfiguren;
-- eine Himmelskönigin mit schmalem, von langem Haar umwallten Jung¬
frauenhaupte, nach deren Lilienseepter der Weltenheiland in kindlicher Begehr¬
lichkeit greift, ist von einer Zartheit, daß man sich in eine Kirche Nürnbergs
versetzt glaubt.

Durch die Gitterthür des Lettners sind wir in den Chorraum des Domes
getreten. Reiche Schnitzwerke vergangener Jahrhunderte, Chorstühle mit un¬
geheuerlichen Drachengestalten, zierlichen Laubgewinden und mittelalterlich naiv
behandelten biblischen Figuren, bezeichnen die einstigen Sitze der Prämon-
stratenser Domherren. Den hohen in reicher Vergoldung strahlenden Altar
schmücken die Wappen der Donatoren, die Rosen der Alvensleben und die
Lilie der Estorff. Auf den zu ihm führenden Stufen hat Bischof Wöplitz
drei mächtige Steinleuchter aufstellen lassen, von denen zwei den stereotypen
Humor mittelalterlicher Steinmetzen zeigen, da die höchst drastischen Figuren
von Koch und Kellermeister zu Haltern der Kerzengefäße dienen.

Auf dem Boden des Chors befinden sich außer den Leichensteinen der
Bischöfe Reiner und Heinrich und dem Hochgrab des Bischofs Johannes
Wöpelitz die Denkmale zweier Markgrafen von Brandenburg, des Bischofs
Hermann, -j- 1291 und des Bischofs Johann 1- 1292. Die geistlichen Herren
tragen das in charactervollen Linien bezeichnete bischöfliche Gewand, doch statt
der Mitra den Fürstenhut von Brandenburg; die Köpfe, beide von langem
Haar umwallt, ähneln sich sehr. Markgraf Johann hat den Hirtenstab noch
nicht, weil er vor der Inauguration gestorben ist. Nach den Wappenschildern
auf den Grabsteinen ist Markgraf Hermann ein Sohn Johann's I. und der
Herzogin Jutta von Sachsen, Johann ein Sohn Johanns II., des Bruders
von Bischof Hermann und der Fürstin Hedwig von Werte. Diese beiden
Grabsteine sind die letzten Zeugen von geschichtlich höchst beachtenswerthen


leben. In dem schönen, noch sehr jugendlichen Kopfe sind die reinen Züge
mit vollendetem Adel und tiefem Verständniß wiedergegeben; der Künstler
hat die Locken des unter der Mitra hervorquellenden Haares und den Falten¬
wurf der reichen Kleidung untadelhaft in wenigen, genialen Meißelstnchen
ausgeführt. Die geharnischte Gestalt eines Christoph v. d. Schulenburg
daneben führt uns die ganze verschwenderische Pracht des verlöschenden Ritter-
thums vor Augen.

Den höchsten Schatz des Domes bildet sein vorher erwähnter Lettner.
Ein kunstsinniger Bischof des Is. Jahrhunderts, Johann Wövelitz, hat diese
hohen sandsteinernen Schranken, welche in der Mitte quadratisch vorspringend,
ein erhöhtes Kanzelpult, den Amber bilden, erbauen lassen, sie zeigen in ihren
Reliefen die Leidens- und Verherrlichungsgeschichte des Erlösers. Reiches,
spätgothisches Maßwerk krönt sie. Zierlich und schön sind die an den Ab¬
theilungspfeilern unter prächtig verzierten Baldachinen postirten Heiligenfiguren;
— eine Himmelskönigin mit schmalem, von langem Haar umwallten Jung¬
frauenhaupte, nach deren Lilienseepter der Weltenheiland in kindlicher Begehr¬
lichkeit greift, ist von einer Zartheit, daß man sich in eine Kirche Nürnbergs
versetzt glaubt.

Durch die Gitterthür des Lettners sind wir in den Chorraum des Domes
getreten. Reiche Schnitzwerke vergangener Jahrhunderte, Chorstühle mit un¬
geheuerlichen Drachengestalten, zierlichen Laubgewinden und mittelalterlich naiv
behandelten biblischen Figuren, bezeichnen die einstigen Sitze der Prämon-
stratenser Domherren. Den hohen in reicher Vergoldung strahlenden Altar
schmücken die Wappen der Donatoren, die Rosen der Alvensleben und die
Lilie der Estorff. Auf den zu ihm führenden Stufen hat Bischof Wöplitz
drei mächtige Steinleuchter aufstellen lassen, von denen zwei den stereotypen
Humor mittelalterlicher Steinmetzen zeigen, da die höchst drastischen Figuren
von Koch und Kellermeister zu Haltern der Kerzengefäße dienen.

Auf dem Boden des Chors befinden sich außer den Leichensteinen der
Bischöfe Reiner und Heinrich und dem Hochgrab des Bischofs Johannes
Wöpelitz die Denkmale zweier Markgrafen von Brandenburg, des Bischofs
Hermann, -j- 1291 und des Bischofs Johann 1- 1292. Die geistlichen Herren
tragen das in charactervollen Linien bezeichnete bischöfliche Gewand, doch statt
der Mitra den Fürstenhut von Brandenburg; die Köpfe, beide von langem
Haar umwallt, ähneln sich sehr. Markgraf Johann hat den Hirtenstab noch
nicht, weil er vor der Inauguration gestorben ist. Nach den Wappenschildern
auf den Grabsteinen ist Markgraf Hermann ein Sohn Johann's I. und der
Herzogin Jutta von Sachsen, Johann ein Sohn Johanns II., des Bruders
von Bischof Hermann und der Fürstin Hedwig von Werte. Diese beiden
Grabsteine sind die letzten Zeugen von geschichtlich höchst beachtenswerthen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/420>, abgerufen am 03.07.2024.