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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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und Sie wollen sich erinnern, daß wir da nicht sprechen. Gestatten Sie, daß
ich Sie in die Gastzimmer führe."

In zwei Minuten hatten wir einen Corridor durchschritten, waren quer
über einen Hof gegangen und traten nun in ein bescheidenes Wohngemach.
Bruder Blaubrille -- Trappisten lesen nur, was heilige Männer geschrieben
haben, und so kann mein frommer Freund im Bernhardskloster von Leicester-
shire nie in den Fall kommen, sich dadurch, daß er sich mit diesem Beinamen
gedruckt sieht, verletzt zu suhlen -- Bruder Blaubrille also schob mir einen
Stuhl hin, bat mich, niederzusetzen und bemerkte dann lächelnd, daß wir jetzt
sprechen könnten. Ich bat um Verzeihung, die Stille des Klosters gestört zu
haben, und fuhr dann fort, meine Betrübniß zu äußern, daß ich seine Gast¬
freundschaft für heute Nacht nicht annehmen könne. Ich hätte mich seit mei¬
nem Versprechen, zu bleiben, auf eine Verpflichtung besonnen, in Folge deren
ich morgen mit dem ersten Zuge von Leicester nach London zurückfahren müßte.
Sonst würde ich mit Freuden bleiben, aber mein Geschäft wäre sogar dringen¬
der als mein Bedürfniß, über Jefferson und Sohn aufgeklärt zu werden, und
was dergleichen mir von der Angst vor den Speise- und Schlafgelegenheiten
dieses Hauses eingegebene Nothlügen mehr waren.

"Ich fürchte", fagte der Nachfolger des gestrengen Sanct Bernhard, "die
Armuth unseres Hauses hat Sie erschreckt. Seien Sie mal aufrichtig jetzt,
fürchten Sie sich nicht, es eine Nacht mit uns zu versuchen?"

"Na denn", erwiederte ich, "die Einrichtung ihres Refectoriums ist ohne
Zweifel ganz vortrefflich. Indeß bin ich ein Weltkind und wünsche, daß mein
Diner nicht gerade ganz aller Fleischeslust baar ist. Ihre Betten ferner, wer¬
ther Freund, sind gewiß äußerst fest und solid, aber es sind Betten, in denen
heilige Leute sich des Daseins freuen, und ich -- Jefferson und Sohn, helft
mir! -- bin ein sündiger Mensch."

Der Mönch lächelte.

"Fürchten Sie nichts der Art. liebster Herr", sagte er, nachdem er seine
ernste Miene wiedergewonnen hatte. "Haben Sie deßhalb keine Sorge; Sie
sind das Opfer eines kleinen Mißverständnisses."

Er setzte mir sodann auseinander, daß sich neben dem Kloster ein kleines
Haus für Gäste befände, in welchem man Fremde verköstige und beherberge,
nicht wie die armen Mönche verköstigt und beherbergt würden, sondern in
einer Weise, die wenigstens eine Ahnung verriethe, daß wir im neunzehnten
Jahrhundert stünden.

"Die Gastfreundschaft", fuhr er fort, "ist eine unserer ersten Pflichten und
wir versuchen, diese Pflicht in einer Weise zu erfüllen, die wenigstens annähernd
der Stellung derer entspricht, die uns besuchen. Auch fragen wir niemals,
welchem Volke oder welcher Religion der Betreffende angehört. Es ist nur


und Sie wollen sich erinnern, daß wir da nicht sprechen. Gestatten Sie, daß
ich Sie in die Gastzimmer führe."

In zwei Minuten hatten wir einen Corridor durchschritten, waren quer
über einen Hof gegangen und traten nun in ein bescheidenes Wohngemach.
Bruder Blaubrille — Trappisten lesen nur, was heilige Männer geschrieben
haben, und so kann mein frommer Freund im Bernhardskloster von Leicester-
shire nie in den Fall kommen, sich dadurch, daß er sich mit diesem Beinamen
gedruckt sieht, verletzt zu suhlen — Bruder Blaubrille also schob mir einen
Stuhl hin, bat mich, niederzusetzen und bemerkte dann lächelnd, daß wir jetzt
sprechen könnten. Ich bat um Verzeihung, die Stille des Klosters gestört zu
haben, und fuhr dann fort, meine Betrübniß zu äußern, daß ich seine Gast¬
freundschaft für heute Nacht nicht annehmen könne. Ich hätte mich seit mei¬
nem Versprechen, zu bleiben, auf eine Verpflichtung besonnen, in Folge deren
ich morgen mit dem ersten Zuge von Leicester nach London zurückfahren müßte.
Sonst würde ich mit Freuden bleiben, aber mein Geschäft wäre sogar dringen¬
der als mein Bedürfniß, über Jefferson und Sohn aufgeklärt zu werden, und
was dergleichen mir von der Angst vor den Speise- und Schlafgelegenheiten
dieses Hauses eingegebene Nothlügen mehr waren.

„Ich fürchte", fagte der Nachfolger des gestrengen Sanct Bernhard, „die
Armuth unseres Hauses hat Sie erschreckt. Seien Sie mal aufrichtig jetzt,
fürchten Sie sich nicht, es eine Nacht mit uns zu versuchen?"

„Na denn", erwiederte ich, „die Einrichtung ihres Refectoriums ist ohne
Zweifel ganz vortrefflich. Indeß bin ich ein Weltkind und wünsche, daß mein
Diner nicht gerade ganz aller Fleischeslust baar ist. Ihre Betten ferner, wer¬
ther Freund, sind gewiß äußerst fest und solid, aber es sind Betten, in denen
heilige Leute sich des Daseins freuen, und ich — Jefferson und Sohn, helft
mir! — bin ein sündiger Mensch."

Der Mönch lächelte.

„Fürchten Sie nichts der Art. liebster Herr", sagte er, nachdem er seine
ernste Miene wiedergewonnen hatte. „Haben Sie deßhalb keine Sorge; Sie
sind das Opfer eines kleinen Mißverständnisses."

Er setzte mir sodann auseinander, daß sich neben dem Kloster ein kleines
Haus für Gäste befände, in welchem man Fremde verköstige und beherberge,
nicht wie die armen Mönche verköstigt und beherbergt würden, sondern in
einer Weise, die wenigstens eine Ahnung verriethe, daß wir im neunzehnten
Jahrhundert stünden.

„Die Gastfreundschaft", fuhr er fort, „ist eine unserer ersten Pflichten und
wir versuchen, diese Pflicht in einer Weise zu erfüllen, die wenigstens annähernd
der Stellung derer entspricht, die uns besuchen. Auch fragen wir niemals,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/394>, abgerufen am 22.12.2024.