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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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mein freundlicher Cicerone in seinen Führerobliegenheiten fort. Ich sah die
Capelle, das Capitelzimmer, den Kreuzgang, die Büchersammlung, das Mu¬
seum, das Gemach der Schneider, die Schusterwerkstatt, das Brauhaus, die
Backstube, die Schmiede und die Küche. Aber am Meisten interesstrten mich
das Refectorium und der Schlafsaal. Diese prüfte ich mit jenem kritischen
Scharfblick, welcher nur durch langjährige Verehrung der großen Dreieinigkeit
Ceres, Bachus und Morpheus erworben wird. Ich werde versuchen, die Oert-
lichkeiten zu schildern.

Das Refectorium befindet sich im Erdgeschosse und ist ein hochgewölbter,
guterleuchteter Saal von etwa siebzig Fuß Länge und zwanzig Fuß Breite.
Ungefähr in der Mitte der inneren Langseite steht eine Kanzel, von welcher
während der Mahlzeiten ein Mitglied der Gemeinschaft vorzulesen pflegt. Je¬
der Mönch hat seinen bestimmten Platz an einer bestimmten Tafel, den er
niemals wechselt, und alle Tafeln (ohne Tischtuch, aber sorgfältig rein gehal¬
ten) sind genau in derselben Weise mit Geräth und Gefäß versehen. An dem
Platze eines Jeden liegen ein einfaches Messer, ein Holzlöffel, eine hölzerne
Gabel, ein Trinkgefäß und ein kleines Wischtuch. Auf letzterem befindet sich
ein Brötchen mit dem Namen des Bruders, welcher hier speist. Jeder Mönch
sitzt am Tische auf einem kleinen viereckigen Holzblock.

Im Sommer nehmen die Brüder täglich zwei Mahlzeiten ein, die eine
Vormittags halb zwölf, die andere Abends um sechs Uhr. Die erste Mahl¬
zeit besteht, gewöhnlich aus etwas gekochtem Reis, drei oder vier Kartoffeln,
ungefähr einer Unze Käse, einer unaussprechlichen Trappistensuppe aus Kräutern,
zu der glücklicher Weise nur der Orden das Recept besitzt, und einem einzigen
Glase, oder vielmehr einem braunen Töpfchen, vom dünnsten Bier. Das zweite
Mahl gleicht dem ersten, indem es sich von diesem nur dadurch unterscheidet,
daß die Kräutersuppe wegbleibt und statt des Bieres Milch gereicht wird.
Kein Fleisch, kein Fisch, keine Butter, keine Eier, weder Wein noch Cognac
noch Whiskey, nicht ein Wörtlein Unterhaltung das ganze Jahr lang --
nichts als das Erwähnte glättet dem Trappisten den Pfad zum Paradiese.
Doch halt, ich bitte um Verzeihung: es giebt ein paar Ausnahmen. Die
Trappisten haben einige große Ordensfeste, und diese feiern sie auch in kuli¬
narischer Richtung. Sie steigen an denselben zwei Stunden eher als sonst aus
dem Bette und essen bei Tische jeder einen Apfel, sechs Stachelbeeren und acht
Haselnüsse außer dem Gewöhnlichen,

Sanct Ignatius Tag ist nicht das größte Fest bei den Jesuiten, obwohl
das Gedächtniß des großen Lohola dabei in vortrefflichem Wein getrunken
wird. Der Namenstag des heiligen Dominicus will nicht allzuviel bedeuten
unter den Predigermönchen, die ihn als Stifter verehren, aber sie meditiren über


mein freundlicher Cicerone in seinen Führerobliegenheiten fort. Ich sah die
Capelle, das Capitelzimmer, den Kreuzgang, die Büchersammlung, das Mu¬
seum, das Gemach der Schneider, die Schusterwerkstatt, das Brauhaus, die
Backstube, die Schmiede und die Küche. Aber am Meisten interesstrten mich
das Refectorium und der Schlafsaal. Diese prüfte ich mit jenem kritischen
Scharfblick, welcher nur durch langjährige Verehrung der großen Dreieinigkeit
Ceres, Bachus und Morpheus erworben wird. Ich werde versuchen, die Oert-
lichkeiten zu schildern.

Das Refectorium befindet sich im Erdgeschosse und ist ein hochgewölbter,
guterleuchteter Saal von etwa siebzig Fuß Länge und zwanzig Fuß Breite.
Ungefähr in der Mitte der inneren Langseite steht eine Kanzel, von welcher
während der Mahlzeiten ein Mitglied der Gemeinschaft vorzulesen pflegt. Je¬
der Mönch hat seinen bestimmten Platz an einer bestimmten Tafel, den er
niemals wechselt, und alle Tafeln (ohne Tischtuch, aber sorgfältig rein gehal¬
ten) sind genau in derselben Weise mit Geräth und Gefäß versehen. An dem
Platze eines Jeden liegen ein einfaches Messer, ein Holzlöffel, eine hölzerne
Gabel, ein Trinkgefäß und ein kleines Wischtuch. Auf letzterem befindet sich
ein Brötchen mit dem Namen des Bruders, welcher hier speist. Jeder Mönch
sitzt am Tische auf einem kleinen viereckigen Holzblock.

Im Sommer nehmen die Brüder täglich zwei Mahlzeiten ein, die eine
Vormittags halb zwölf, die andere Abends um sechs Uhr. Die erste Mahl¬
zeit besteht, gewöhnlich aus etwas gekochtem Reis, drei oder vier Kartoffeln,
ungefähr einer Unze Käse, einer unaussprechlichen Trappistensuppe aus Kräutern,
zu der glücklicher Weise nur der Orden das Recept besitzt, und einem einzigen
Glase, oder vielmehr einem braunen Töpfchen, vom dünnsten Bier. Das zweite
Mahl gleicht dem ersten, indem es sich von diesem nur dadurch unterscheidet,
daß die Kräutersuppe wegbleibt und statt des Bieres Milch gereicht wird.
Kein Fleisch, kein Fisch, keine Butter, keine Eier, weder Wein noch Cognac
noch Whiskey, nicht ein Wörtlein Unterhaltung das ganze Jahr lang —
nichts als das Erwähnte glättet dem Trappisten den Pfad zum Paradiese.
Doch halt, ich bitte um Verzeihung: es giebt ein paar Ausnahmen. Die
Trappisten haben einige große Ordensfeste, und diese feiern sie auch in kuli¬
narischer Richtung. Sie steigen an denselben zwei Stunden eher als sonst aus
dem Bette und essen bei Tische jeder einen Apfel, sechs Stachelbeeren und acht
Haselnüsse außer dem Gewöhnlichen,

Sanct Ignatius Tag ist nicht das größte Fest bei den Jesuiten, obwohl
das Gedächtniß des großen Lohola dabei in vortrefflichem Wein getrunken
wird. Der Namenstag des heiligen Dominicus will nicht allzuviel bedeuten
unter den Predigermönchen, die ihn als Stifter verehren, aber sie meditiren über


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[0392] mein freundlicher Cicerone in seinen Führerobliegenheiten fort. Ich sah die Capelle, das Capitelzimmer, den Kreuzgang, die Büchersammlung, das Mu¬ seum, das Gemach der Schneider, die Schusterwerkstatt, das Brauhaus, die Backstube, die Schmiede und die Küche. Aber am Meisten interesstrten mich das Refectorium und der Schlafsaal. Diese prüfte ich mit jenem kritischen Scharfblick, welcher nur durch langjährige Verehrung der großen Dreieinigkeit Ceres, Bachus und Morpheus erworben wird. Ich werde versuchen, die Oert- lichkeiten zu schildern. Das Refectorium befindet sich im Erdgeschosse und ist ein hochgewölbter, guterleuchteter Saal von etwa siebzig Fuß Länge und zwanzig Fuß Breite. Ungefähr in der Mitte der inneren Langseite steht eine Kanzel, von welcher während der Mahlzeiten ein Mitglied der Gemeinschaft vorzulesen pflegt. Je¬ der Mönch hat seinen bestimmten Platz an einer bestimmten Tafel, den er niemals wechselt, und alle Tafeln (ohne Tischtuch, aber sorgfältig rein gehal¬ ten) sind genau in derselben Weise mit Geräth und Gefäß versehen. An dem Platze eines Jeden liegen ein einfaches Messer, ein Holzlöffel, eine hölzerne Gabel, ein Trinkgefäß und ein kleines Wischtuch. Auf letzterem befindet sich ein Brötchen mit dem Namen des Bruders, welcher hier speist. Jeder Mönch sitzt am Tische auf einem kleinen viereckigen Holzblock. Im Sommer nehmen die Brüder täglich zwei Mahlzeiten ein, die eine Vormittags halb zwölf, die andere Abends um sechs Uhr. Die erste Mahl¬ zeit besteht, gewöhnlich aus etwas gekochtem Reis, drei oder vier Kartoffeln, ungefähr einer Unze Käse, einer unaussprechlichen Trappistensuppe aus Kräutern, zu der glücklicher Weise nur der Orden das Recept besitzt, und einem einzigen Glase, oder vielmehr einem braunen Töpfchen, vom dünnsten Bier. Das zweite Mahl gleicht dem ersten, indem es sich von diesem nur dadurch unterscheidet, daß die Kräutersuppe wegbleibt und statt des Bieres Milch gereicht wird. Kein Fleisch, kein Fisch, keine Butter, keine Eier, weder Wein noch Cognac noch Whiskey, nicht ein Wörtlein Unterhaltung das ganze Jahr lang — nichts als das Erwähnte glättet dem Trappisten den Pfad zum Paradiese. Doch halt, ich bitte um Verzeihung: es giebt ein paar Ausnahmen. Die Trappisten haben einige große Ordensfeste, und diese feiern sie auch in kuli¬ narischer Richtung. Sie steigen an denselben zwei Stunden eher als sonst aus dem Bette und essen bei Tische jeder einen Apfel, sechs Stachelbeeren und acht Haselnüsse außer dem Gewöhnlichen, Sanct Ignatius Tag ist nicht das größte Fest bei den Jesuiten, obwohl das Gedächtniß des großen Lohola dabei in vortrefflichem Wein getrunken wird. Der Namenstag des heiligen Dominicus will nicht allzuviel bedeuten unter den Predigermönchen, die ihn als Stifter verehren, aber sie meditiren über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/392>, abgerufen am 22.12.2024.