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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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eigen Kampf für seines Volkes Freiheit, in den zerstörten Kirchen Branden¬
burg's richtete er aufs Neue den Dienst Triglaff's auf. Heldenmüthig ringend
unterlag er, Kaiser Otto III. zieht in Brandenburg ein, auf den Straßen ertönt
das Kyrie-Eleison der Sieger; -- aber noch oft wurde Brandenburgs Boden von
wendischen und deutschem Blute getränkt, ehe die Stadt einen festen Herrn erhielt.

Freie Semnonen, die edelsten der Sueven, waren in grauer Vorzeit von
den Wenden über die Elbe zurückgedrängt worden und hatten sich im
"Schwabengau" am Harze seßhaft gemacht. Unter ihnen tritt im 11. Jahr¬
hundert ein Geschlecht in den Vordergrund, das sich nach der Burg Anhalt
im Selkethale nennt. Ein Sohn dieses Hauses gewinnt die Hand der letzten
Tochter des Billungischen Herzogsgeschlechtes, der Eilika von Sachsen, und der
Enkel dieses Paares wird Albrecht der Bär, Schon 1131 zum Markgrafen
der Nordmark berufen, wirst er 1157 den Aufstand Jakzo's nieder und erobert
die Brandenburg.

Auch nachdem die Stadt deutsch geworden, restdirte neben ihr, auf dem
berühmten Harlungerberge, ein wendisches Fürstengeschlecht, das aber die christ¬
liche Religion angenommen hatte. Ein merkwürdiges Verhältniß findet nun
zwischen dem Eroberer und dem Besiegten statt. Der Haß der Völker hat
sich in den eigenen Flammen verzehrt; müde der Feindschaft und des wechsel¬
vollen Kampfes leben die Fürsten friedlich bei einander. Pribislaw und Pe-
trussa, das wendische Fürstenpaar, hebt den Erben Albrecht's aus der Taufe
und wandelt den Triglafftempel auf dem Harlunger-Berge zu einer prächti¬
gen, vierthürmigen Marienkirche um. Einst war es ein hochinteressanter Punkt,
der jetzt kahle Gipfel des Berges. Alte Heldensagen, von dem kühnen Jarl
Iron von Brandenburg, von seiner schönen, frühgestorbenen Gemahlin Isolde,
seiner verbrecherischen, lodernden Leidenschaft zur Herzogin Bolfriana um¬
schwebten ihn, -- geheimnißvolle, düstre Klänge, in Schlachtenlärm ausgehend
wie der Nibelunge N6t. Die Grabsteine der Wendenherrscher Brumito,
Meinsried, Hermann und Siegfried erhielten noch im 16. Jahrhundert das An¬
denken an den untergegangenen Fürstenstamm auf der Brandenburg. In
dem schönen Gotteshause der Maria stiftete Friedrich der Eiserne 1443 den
Schwanen-Orden, -- aber 1722 erlag die älteste Kirche der Mark der Pietät-
losigkeit der Zeit und der Sparsamkeit Friedrich Wilhelm's I.

Wie auf dem Harlunger-Berge bei Brandenburg der wendische Fürsten¬
stamm, so hatte in Brandenburg selbst Albrecht der Bär sich die Ruhestätte
bestimmt. In dem schönen Dome mit dem charaktervoller Thurme ruht der
Vernichter der Wendenherrschaft. Eine andere Nachricht zwar läßt ihn in
Ballenstädt begraben sein, aber ein unverdächtiger Schriftsteller des 16. Jahr¬
hunderts will im Brandenburger Dom seinen Leichenstein gesehen haben und
außerdem ist es wahrscheinlicher, daß er hier, wo er ein Collegiat-Stift Pra-


eigen Kampf für seines Volkes Freiheit, in den zerstörten Kirchen Branden¬
burg's richtete er aufs Neue den Dienst Triglaff's auf. Heldenmüthig ringend
unterlag er, Kaiser Otto III. zieht in Brandenburg ein, auf den Straßen ertönt
das Kyrie-Eleison der Sieger; — aber noch oft wurde Brandenburgs Boden von
wendischen und deutschem Blute getränkt, ehe die Stadt einen festen Herrn erhielt.

Freie Semnonen, die edelsten der Sueven, waren in grauer Vorzeit von
den Wenden über die Elbe zurückgedrängt worden und hatten sich im
„Schwabengau" am Harze seßhaft gemacht. Unter ihnen tritt im 11. Jahr¬
hundert ein Geschlecht in den Vordergrund, das sich nach der Burg Anhalt
im Selkethale nennt. Ein Sohn dieses Hauses gewinnt die Hand der letzten
Tochter des Billungischen Herzogsgeschlechtes, der Eilika von Sachsen, und der
Enkel dieses Paares wird Albrecht der Bär, Schon 1131 zum Markgrafen
der Nordmark berufen, wirst er 1157 den Aufstand Jakzo's nieder und erobert
die Brandenburg.

Auch nachdem die Stadt deutsch geworden, restdirte neben ihr, auf dem
berühmten Harlungerberge, ein wendisches Fürstengeschlecht, das aber die christ¬
liche Religion angenommen hatte. Ein merkwürdiges Verhältniß findet nun
zwischen dem Eroberer und dem Besiegten statt. Der Haß der Völker hat
sich in den eigenen Flammen verzehrt; müde der Feindschaft und des wechsel¬
vollen Kampfes leben die Fürsten friedlich bei einander. Pribislaw und Pe-
trussa, das wendische Fürstenpaar, hebt den Erben Albrecht's aus der Taufe
und wandelt den Triglafftempel auf dem Harlunger-Berge zu einer prächti¬
gen, vierthürmigen Marienkirche um. Einst war es ein hochinteressanter Punkt,
der jetzt kahle Gipfel des Berges. Alte Heldensagen, von dem kühnen Jarl
Iron von Brandenburg, von seiner schönen, frühgestorbenen Gemahlin Isolde,
seiner verbrecherischen, lodernden Leidenschaft zur Herzogin Bolfriana um¬
schwebten ihn, — geheimnißvolle, düstre Klänge, in Schlachtenlärm ausgehend
wie der Nibelunge N6t. Die Grabsteine der Wendenherrscher Brumito,
Meinsried, Hermann und Siegfried erhielten noch im 16. Jahrhundert das An¬
denken an den untergegangenen Fürstenstamm auf der Brandenburg. In
dem schönen Gotteshause der Maria stiftete Friedrich der Eiserne 1443 den
Schwanen-Orden, — aber 1722 erlag die älteste Kirche der Mark der Pietät-
losigkeit der Zeit und der Sparsamkeit Friedrich Wilhelm's I.

Wie auf dem Harlunger-Berge bei Brandenburg der wendische Fürsten¬
stamm, so hatte in Brandenburg selbst Albrecht der Bär sich die Ruhestätte
bestimmt. In dem schönen Dome mit dem charaktervoller Thurme ruht der
Vernichter der Wendenherrschaft. Eine andere Nachricht zwar läßt ihn in
Ballenstädt begraben sein, aber ein unverdächtiger Schriftsteller des 16. Jahr¬
hunderts will im Brandenburger Dom seinen Leichenstein gesehen haben und
außerdem ist es wahrscheinlicher, daß er hier, wo er ein Collegiat-Stift Pra-


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[0380] eigen Kampf für seines Volkes Freiheit, in den zerstörten Kirchen Branden¬ burg's richtete er aufs Neue den Dienst Triglaff's auf. Heldenmüthig ringend unterlag er, Kaiser Otto III. zieht in Brandenburg ein, auf den Straßen ertönt das Kyrie-Eleison der Sieger; — aber noch oft wurde Brandenburgs Boden von wendischen und deutschem Blute getränkt, ehe die Stadt einen festen Herrn erhielt. Freie Semnonen, die edelsten der Sueven, waren in grauer Vorzeit von den Wenden über die Elbe zurückgedrängt worden und hatten sich im „Schwabengau" am Harze seßhaft gemacht. Unter ihnen tritt im 11. Jahr¬ hundert ein Geschlecht in den Vordergrund, das sich nach der Burg Anhalt im Selkethale nennt. Ein Sohn dieses Hauses gewinnt die Hand der letzten Tochter des Billungischen Herzogsgeschlechtes, der Eilika von Sachsen, und der Enkel dieses Paares wird Albrecht der Bär, Schon 1131 zum Markgrafen der Nordmark berufen, wirst er 1157 den Aufstand Jakzo's nieder und erobert die Brandenburg. Auch nachdem die Stadt deutsch geworden, restdirte neben ihr, auf dem berühmten Harlungerberge, ein wendisches Fürstengeschlecht, das aber die christ¬ liche Religion angenommen hatte. Ein merkwürdiges Verhältniß findet nun zwischen dem Eroberer und dem Besiegten statt. Der Haß der Völker hat sich in den eigenen Flammen verzehrt; müde der Feindschaft und des wechsel¬ vollen Kampfes leben die Fürsten friedlich bei einander. Pribislaw und Pe- trussa, das wendische Fürstenpaar, hebt den Erben Albrecht's aus der Taufe und wandelt den Triglafftempel auf dem Harlunger-Berge zu einer prächti¬ gen, vierthürmigen Marienkirche um. Einst war es ein hochinteressanter Punkt, der jetzt kahle Gipfel des Berges. Alte Heldensagen, von dem kühnen Jarl Iron von Brandenburg, von seiner schönen, frühgestorbenen Gemahlin Isolde, seiner verbrecherischen, lodernden Leidenschaft zur Herzogin Bolfriana um¬ schwebten ihn, — geheimnißvolle, düstre Klänge, in Schlachtenlärm ausgehend wie der Nibelunge N6t. Die Grabsteine der Wendenherrscher Brumito, Meinsried, Hermann und Siegfried erhielten noch im 16. Jahrhundert das An¬ denken an den untergegangenen Fürstenstamm auf der Brandenburg. In dem schönen Gotteshause der Maria stiftete Friedrich der Eiserne 1443 den Schwanen-Orden, — aber 1722 erlag die älteste Kirche der Mark der Pietät- losigkeit der Zeit und der Sparsamkeit Friedrich Wilhelm's I. Wie auf dem Harlunger-Berge bei Brandenburg der wendische Fürsten¬ stamm, so hatte in Brandenburg selbst Albrecht der Bär sich die Ruhestätte bestimmt. In dem schönen Dome mit dem charaktervoller Thurme ruht der Vernichter der Wendenherrschaft. Eine andere Nachricht zwar läßt ihn in Ballenstädt begraben sein, aber ein unverdächtiger Schriftsteller des 16. Jahr¬ hunderts will im Brandenburger Dom seinen Leichenstein gesehen haben und außerdem ist es wahrscheinlicher, daß er hier, wo er ein Collegiat-Stift Pra-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/380>, abgerufen am 29.09.2024.