Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.Livland, wie die anderen baltischen Herzogthümer, erfreut sich bekanntlich Ein genauer Anschlag liegt uns nicht vor, doch dürfte das Provinzial- Livland, wie die anderen baltischen Herzogthümer, erfreut sich bekanntlich Ein genauer Anschlag liegt uns nicht vor, doch dürfte das Provinzial- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127964"/> <p xml:id="ID_82"> Livland, wie die anderen baltischen Herzogthümer, erfreut sich bekanntlich<lb/> noch einer ausgedehnten Selbstverwaltung; sie erstreckt sich zum Theil sogar<lb/> auf Angelegenheiten, welche sonst überall in Europa zum Ressort des Staates<lb/> gehören. Das ist namentlich die ganze Rechtspflege mit Ausschluß des obersten<lb/> Gerichtshofes und das Postwesen, die ständische Verwaltung der Landeskirche,<lb/> (das ist der lutherischen), der Landvolksschule, der Landstraßen, wozu denn<lb/> noch die ländliche Polizei, die provinziale Steuervcrwaltung, die ständischen<lb/> Grundbesitzungen und Bauten und dergleichen kommen. Das alles kostet viel<lb/> Geld und macht schon ein recht anständiges Budget aus, wenn die Aemter<lb/> auch meistentheils unentgeltlich, höchstens gegen Gewährung einer Amtswohnung<lb/> und Vergütigung von Bureaukosten und dergleichen verwaltet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_83" next="#ID_84"> Ein genauer Anschlag liegt uns nicht vor, doch dürfte das Provinzial-<lb/> Budget, von Livland abgesehen, von den Gemeinden weit über eine Million<lb/> Rubel betragen. Diese Summe wird durch eine Art von Grundsteuer aufge¬<lb/> bracht, die sogenannte Hakensteuer, die aber nur auf den sogenannten Gesinden<lb/> (Bauerhöfen) oder dem Gehorchslande ruht und darauf seit der schwedischen<lb/> Zeit, also seit etwa zwei hundert Jahren eingetragen ist. Bekanntlich sind<lb/> diese Ländereien für den Gutsherrn seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts<lb/> uneinziehbar und müssen, wenn der Pächter aus irgend einem gesetzlichen<lb/> Grunde aus dem Gesinde gesetzt wird, wieder an einen anderen bäuerlichen<lb/> Wirth verpachtet werden. Immer bleibt ein Bestandtheil der Pacht, welche<lb/> er an den Gutsherrn abliefert, die Hakensteuer, welche durch dessen Hände in<lb/> die Landeskasse fließt. Diese Stelle eines Steuereinnehmers behält der Guts¬<lb/> herr noch bei, wenn das Gesinde schon verkauft ist, was am Ende des vorigen<lb/> Jahres mit 25 Prozent der Gesinde in Livland der Fall war. Das Hofes¬<lb/> land, welches, die Wälder ungerechnet, allerdings nicht viel über die Hälfte<lb/> des Gehorchslandes beträgt, bleibt aber immer frei von dieser Steuer, wie dessen<lb/> Besitzer auch von allen directen Staatssteuern frei und nur den indirecten<lb/> Steuern unterworfen sind, wenn sie ein Nebengewerbe, z. B. Brennerei oder<lb/> Brauerei betreiben. Dagegen haben sie als Landstände das Recht, über die<lb/> von ihnen blos eingezogene Hakensteuer zu verfügen. Diese bevorrechtete<lb/> Stellung hat bei den einsichtsvollen und wohlmeinenden livländischen Rittern<lb/> — und es sind wenige unter ihnen, welche dieses Prädicat nicht verdienen —<lb/> schon längst Anstoß und Bedenken erregt. Man wollte das gehässige Privi¬<lb/> legium der Steuerfreiheit loswerden, obwohl man thatsächlich einmal wirklich<lb/> unbesteuert war und namentlich in neuerer Zeit sich bedeutende freiwillige<lb/> Lasten auferlegte, um patriotische Zwecke zu verfolgen. So ist uns bekannt,<lb/> daß in den letzten Jahren 6000 Rubel Subvention für ein deutsches Prcß-<lb/> organ, mehrere tausend Rubel zur Unterstützung des Professor Schirren bei<lb/> der Bearbeitung der Geschichte Uvlcmds zur Zeit Patkuls u. f. w. von der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Livland, wie die anderen baltischen Herzogthümer, erfreut sich bekanntlich
noch einer ausgedehnten Selbstverwaltung; sie erstreckt sich zum Theil sogar
auf Angelegenheiten, welche sonst überall in Europa zum Ressort des Staates
gehören. Das ist namentlich die ganze Rechtspflege mit Ausschluß des obersten
Gerichtshofes und das Postwesen, die ständische Verwaltung der Landeskirche,
(das ist der lutherischen), der Landvolksschule, der Landstraßen, wozu denn
noch die ländliche Polizei, die provinziale Steuervcrwaltung, die ständischen
Grundbesitzungen und Bauten und dergleichen kommen. Das alles kostet viel
Geld und macht schon ein recht anständiges Budget aus, wenn die Aemter
auch meistentheils unentgeltlich, höchstens gegen Gewährung einer Amtswohnung
und Vergütigung von Bureaukosten und dergleichen verwaltet werden.
Ein genauer Anschlag liegt uns nicht vor, doch dürfte das Provinzial-
Budget, von Livland abgesehen, von den Gemeinden weit über eine Million
Rubel betragen. Diese Summe wird durch eine Art von Grundsteuer aufge¬
bracht, die sogenannte Hakensteuer, die aber nur auf den sogenannten Gesinden
(Bauerhöfen) oder dem Gehorchslande ruht und darauf seit der schwedischen
Zeit, also seit etwa zwei hundert Jahren eingetragen ist. Bekanntlich sind
diese Ländereien für den Gutsherrn seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts
uneinziehbar und müssen, wenn der Pächter aus irgend einem gesetzlichen
Grunde aus dem Gesinde gesetzt wird, wieder an einen anderen bäuerlichen
Wirth verpachtet werden. Immer bleibt ein Bestandtheil der Pacht, welche
er an den Gutsherrn abliefert, die Hakensteuer, welche durch dessen Hände in
die Landeskasse fließt. Diese Stelle eines Steuereinnehmers behält der Guts¬
herr noch bei, wenn das Gesinde schon verkauft ist, was am Ende des vorigen
Jahres mit 25 Prozent der Gesinde in Livland der Fall war. Das Hofes¬
land, welches, die Wälder ungerechnet, allerdings nicht viel über die Hälfte
des Gehorchslandes beträgt, bleibt aber immer frei von dieser Steuer, wie dessen
Besitzer auch von allen directen Staatssteuern frei und nur den indirecten
Steuern unterworfen sind, wenn sie ein Nebengewerbe, z. B. Brennerei oder
Brauerei betreiben. Dagegen haben sie als Landstände das Recht, über die
von ihnen blos eingezogene Hakensteuer zu verfügen. Diese bevorrechtete
Stellung hat bei den einsichtsvollen und wohlmeinenden livländischen Rittern
— und es sind wenige unter ihnen, welche dieses Prädicat nicht verdienen —
schon längst Anstoß und Bedenken erregt. Man wollte das gehässige Privi¬
legium der Steuerfreiheit loswerden, obwohl man thatsächlich einmal wirklich
unbesteuert war und namentlich in neuerer Zeit sich bedeutende freiwillige
Lasten auferlegte, um patriotische Zwecke zu verfolgen. So ist uns bekannt,
daß in den letzten Jahren 6000 Rubel Subvention für ein deutsches Prcß-
organ, mehrere tausend Rubel zur Unterstützung des Professor Schirren bei
der Bearbeitung der Geschichte Uvlcmds zur Zeit Patkuls u. f. w. von der
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