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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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und die Hauptmasse derselben zwingen, sich auf Bologna zurückzuziehen. So
befand sich nun die große italienische Armee zwischen zwei Feuern. Von
Centralitalien durch die gekanteten Franzosen abgeschnitten und im Rücken
bedroht konnte sie nicht ihre Frontstellung gegen die Alpen beibehalten und
mußte sich, ohne eine Schlacht verloren zu haben, auf Mantua und Verona
zurückzuziehen, wo die zerstreuten Ueberreste der Reservearmee zu ihr stießen.
Nach wenigen Wochen heldenmütigen Widerstandes war die Sache zu Ende.
Die französische Flotte war unterdessen nicht müßig geblieben: Genua, Livorno
und Neapel waren ihr nach und nach in die Hände gefallen. Unter der An¬
drohung eines Bombardements waren von den reichen Handelsstädten an der
Küste ganz enorme Kriegscontributionen erpreßt worden. Alle Küstenstädte
hatten französische Besatzung. "Unsre Kauffartheiflotte, klagt der Küsten¬
wächter, wurde zum Theil verbrannt, zum Theil weggeführt; die Magazine
wurden ausgeleert und alles mögliche gethan, um unsern Handel für immer
zu zerstören. Ja, wie in der Zeit des ersten Napoleon, wurden selbst die
Ringe, an denen im Hafen die Schiffe befestigt waren, herausgerissen und weg¬
geschleppt um französische Pfosten zu schmücken."

Wie die Geschichte endigt, kann man sich nun leicht vorstellen. Im
Jahre des Heils 189 -- bilden Sardinien und Sicilien nicht länger mehr einen
Theil des italienischen Königreichs; Genua und halb Ligurien sind von den
Franzosen, der Arrondirung halber, annectirt worden. In Rom sitzt wieder
der Papst und die fürchterliche, dem Besiegten zudictirte Kriegsentschädigung
ist noch nicht bezahlt. Das verwüstete Land seufzt unter schwerem Steuer¬
druck und sieht keine Hoffnung für die Zukunft, denn der Friedensvertrag
verbietet ihm eine Flotte zu bauen oder eine große Armee zu halten. Offen
und vertheidigungslos liegen die Grenzen da, das Volk hungert, der Handel
ist ruinirt, die Schiffswerften und Docks sind im Kriege zerstört und die einst
so blühenden, altberühmten Hafenstädte sind todte Nester geworden. Und
warum dieses alles, fragt zum Schluß der treue Küstenwächter? Weil Italien
sein ganzes Vertrauen allein auf die Landarmee setzte und vergaß, daß die
See seine ganze Hauptgrenze bildet und daß die Geschichte früherer Jahrhunderte
zeigt, wie es groß wurde als Seemacht.




Line Ausgabe des inländischen Landtags.

In diesen Tagen ist der Landtag von Livland zusammen getreten. Unter den
Gegenständen, welche seiner Beschlußnahme vorliegen, nimmt die Einführung
einer neuen Steuer für Landesbedürfnisse die erste Stelle ein. Um die Sache
richtig zu beurtheilen, muß man wissen, was das für Bedürfnisse sind.


und die Hauptmasse derselben zwingen, sich auf Bologna zurückzuziehen. So
befand sich nun die große italienische Armee zwischen zwei Feuern. Von
Centralitalien durch die gekanteten Franzosen abgeschnitten und im Rücken
bedroht konnte sie nicht ihre Frontstellung gegen die Alpen beibehalten und
mußte sich, ohne eine Schlacht verloren zu haben, auf Mantua und Verona
zurückzuziehen, wo die zerstreuten Ueberreste der Reservearmee zu ihr stießen.
Nach wenigen Wochen heldenmütigen Widerstandes war die Sache zu Ende.
Die französische Flotte war unterdessen nicht müßig geblieben: Genua, Livorno
und Neapel waren ihr nach und nach in die Hände gefallen. Unter der An¬
drohung eines Bombardements waren von den reichen Handelsstädten an der
Küste ganz enorme Kriegscontributionen erpreßt worden. Alle Küstenstädte
hatten französische Besatzung. „Unsre Kauffartheiflotte, klagt der Küsten¬
wächter, wurde zum Theil verbrannt, zum Theil weggeführt; die Magazine
wurden ausgeleert und alles mögliche gethan, um unsern Handel für immer
zu zerstören. Ja, wie in der Zeit des ersten Napoleon, wurden selbst die
Ringe, an denen im Hafen die Schiffe befestigt waren, herausgerissen und weg¬
geschleppt um französische Pfosten zu schmücken."

Wie die Geschichte endigt, kann man sich nun leicht vorstellen. Im
Jahre des Heils 189 — bilden Sardinien und Sicilien nicht länger mehr einen
Theil des italienischen Königreichs; Genua und halb Ligurien sind von den
Franzosen, der Arrondirung halber, annectirt worden. In Rom sitzt wieder
der Papst und die fürchterliche, dem Besiegten zudictirte Kriegsentschädigung
ist noch nicht bezahlt. Das verwüstete Land seufzt unter schwerem Steuer¬
druck und sieht keine Hoffnung für die Zukunft, denn der Friedensvertrag
verbietet ihm eine Flotte zu bauen oder eine große Armee zu halten. Offen
und vertheidigungslos liegen die Grenzen da, das Volk hungert, der Handel
ist ruinirt, die Schiffswerften und Docks sind im Kriege zerstört und die einst
so blühenden, altberühmten Hafenstädte sind todte Nester geworden. Und
warum dieses alles, fragt zum Schluß der treue Küstenwächter? Weil Italien
sein ganzes Vertrauen allein auf die Landarmee setzte und vergaß, daß die
See seine ganze Hauptgrenze bildet und daß die Geschichte früherer Jahrhunderte
zeigt, wie es groß wurde als Seemacht.




Line Ausgabe des inländischen Landtags.

In diesen Tagen ist der Landtag von Livland zusammen getreten. Unter den
Gegenständen, welche seiner Beschlußnahme vorliegen, nimmt die Einführung
einer neuen Steuer für Landesbedürfnisse die erste Stelle ein. Um die Sache
richtig zu beurtheilen, muß man wissen, was das für Bedürfnisse sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/35>, abgerufen am 22.07.2024.