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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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sind also sehr weit davon entfernt, die Nilquellen-Frage gelöst zu sehen.
Bruce wollte sie gelöst haben, als er die Quelle des blauen Nils im vorigen
Jahrhundert im Tanasee Abessiniens fand; Speke wollte sie jetzt mit dem
Mctoriasee und Baker mit dem Albertsee gelöst haben -- nun kommt Living-
stone mit seinen verschwommenen Fluß- und Seesystemen! Da wird es doch
erlaubt sein, vor der Hand zu sagen: "Ich sehe, daß wir nichts wissen
können."

Livingstone war, als Stanley ihn im März in Unjanjembe verließ, um
zurückzukehren, "fleischig", munter und guter Dinge; sein Appetit war ganz
vorzüglich und er wog -- wie der Amerikaner nach ächter Zankeemanier in
seinen Briefen angiebt, -- etwa 180 Pfund. Unter dem Einflüsse des Ameri¬
kaners schrieb er ganz anders, als sonst wohl seine Art und Weise ist, oder
dictirte er etwa Mr. Stanley die Briefe, welche als Feuilletons ganz gut am
Platze sind. In diesem Tone sind wenigstens die ethnographischen Bemer¬
kungen gehalten, die wir annehmen müssen, da geographische mangeln und
wir auch nur nebenbei erfahren, wo und wie Livingstone reiste. Zunächst
verwahrt er die Schwarzen der Gegenden, welche er besuchte, davor, mit den
Negern von der Westküste verwechselt zu werden, die durch Sclaverei, Rum
und schlechtes Klima herabgekommen seien. Er stellt sie -- ethnographischen
Scharfblick hat Livingstone niemals gehabt! -- mit den alten Aegyptern
zusammen, was ohne Zweifel auf eine Hallucination hinauskommt. Daß
jene Schwarzen im Durchschnitte schöne kräftige Leute seien, wollen wir ihm
gerne glauben. "Ich war so glücklich, schreibt er, bei der Versammlung der
Häuptlinge des großen Chefs Jnsama zugegen zu sein, der westlich vom
Südende des Tanganjikasees lebt, gerade als sie Frieden mit einigen Arabern
schließen wollten, die ihre Hauptstadt niedergebrannt hatten; ich bin sicher,
daß man in keiner Versammlung in London oder Paris schöner geformte,
intelligentere Köpfe sehen konnte und die Gesichtszüge und Formen correspon-
dirten mit den schönen Köpfen. Jnsama selbst, der eine Art Napoleon in
Kämpfen und Erobern in seinen jüngern Tagen gewesen ist, glich den alten
Assyriern, die auf den Ninivehmarmorplatten ausgehauen sind, wie Nimrod
und andere." Erst die Aegypter, dann die Assyrier, die himmelweit ver¬
schieden im Ansehen sind -- wie schwach und unkritisch, widersprechend und
unwissenschaftlich!

Zu den Weibern übergehend fällt der gute Missionär ganz aus seiner
Rolle und hat hier Herr Stanley zur Freude lüsterner Aankees nicht wenige
Einschiebungen begangen, so erkennen wir den alten David gar nicht wieder.
"Viele der Frauen sind sehr hübsch und gleich allen Frauen würden sie viel
hübscher gewesen sein, wären sie geblieben, wie sie sind. Glücklicherweise aber
konnten die Lieben ihre reizenden schwarzen Augen, schönen Stirnen, herrlich


sind also sehr weit davon entfernt, die Nilquellen-Frage gelöst zu sehen.
Bruce wollte sie gelöst haben, als er die Quelle des blauen Nils im vorigen
Jahrhundert im Tanasee Abessiniens fand; Speke wollte sie jetzt mit dem
Mctoriasee und Baker mit dem Albertsee gelöst haben — nun kommt Living-
stone mit seinen verschwommenen Fluß- und Seesystemen! Da wird es doch
erlaubt sein, vor der Hand zu sagen: „Ich sehe, daß wir nichts wissen
können."

Livingstone war, als Stanley ihn im März in Unjanjembe verließ, um
zurückzukehren, „fleischig", munter und guter Dinge; sein Appetit war ganz
vorzüglich und er wog — wie der Amerikaner nach ächter Zankeemanier in
seinen Briefen angiebt, — etwa 180 Pfund. Unter dem Einflüsse des Ameri¬
kaners schrieb er ganz anders, als sonst wohl seine Art und Weise ist, oder
dictirte er etwa Mr. Stanley die Briefe, welche als Feuilletons ganz gut am
Platze sind. In diesem Tone sind wenigstens die ethnographischen Bemer¬
kungen gehalten, die wir annehmen müssen, da geographische mangeln und
wir auch nur nebenbei erfahren, wo und wie Livingstone reiste. Zunächst
verwahrt er die Schwarzen der Gegenden, welche er besuchte, davor, mit den
Negern von der Westküste verwechselt zu werden, die durch Sclaverei, Rum
und schlechtes Klima herabgekommen seien. Er stellt sie — ethnographischen
Scharfblick hat Livingstone niemals gehabt! — mit den alten Aegyptern
zusammen, was ohne Zweifel auf eine Hallucination hinauskommt. Daß
jene Schwarzen im Durchschnitte schöne kräftige Leute seien, wollen wir ihm
gerne glauben. „Ich war so glücklich, schreibt er, bei der Versammlung der
Häuptlinge des großen Chefs Jnsama zugegen zu sein, der westlich vom
Südende des Tanganjikasees lebt, gerade als sie Frieden mit einigen Arabern
schließen wollten, die ihre Hauptstadt niedergebrannt hatten; ich bin sicher,
daß man in keiner Versammlung in London oder Paris schöner geformte,
intelligentere Köpfe sehen konnte und die Gesichtszüge und Formen correspon-
dirten mit den schönen Köpfen. Jnsama selbst, der eine Art Napoleon in
Kämpfen und Erobern in seinen jüngern Tagen gewesen ist, glich den alten
Assyriern, die auf den Ninivehmarmorplatten ausgehauen sind, wie Nimrod
und andere." Erst die Aegypter, dann die Assyrier, die himmelweit ver¬
schieden im Ansehen sind — wie schwach und unkritisch, widersprechend und
unwissenschaftlich!

Zu den Weibern übergehend fällt der gute Missionär ganz aus seiner
Rolle und hat hier Herr Stanley zur Freude lüsterner Aankees nicht wenige
Einschiebungen begangen, so erkennen wir den alten David gar nicht wieder.
„Viele der Frauen sind sehr hübsch und gleich allen Frauen würden sie viel
hübscher gewesen sein, wären sie geblieben, wie sie sind. Glücklicherweise aber
konnten die Lieben ihre reizenden schwarzen Augen, schönen Stirnen, herrlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/308>, abgerufen am 22.07.2024.