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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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englische Berichterstatter, trotz ihrer unverständigen und uns feindseligsten
Referate begünstigt wurden. Das Buch Freycinets weiß in allen Situationen,
wo Frankreich uns den Sieg streitig macht oder Anklagen gegen unsre Krieg¬
führung schleudert, immer nur englische Correspondenten in beiden Heer¬
lagern gegen uns anzuführen, bis am Schlüsse der Schweizer Herr Tallichet
diese englische Aufgabe übernimmt.

Selbst der preußische Staatsanzeiger mußte sich von der dritten Armee
mit Berichten eines Laien begnügen, deren absoluter Mangel an kriegswissen¬
schaftlichen Kenntnissen und deren klägliche Entstellung aller militärischen Ope¬
rationen heute allgemein anerkannt, und nur übertroffen wird durch die Eitel¬
keit desselben Verfassers, diese glücklicherweise halbvergessenen Mißschilderungen in
einer besondern Sammlung herauszugeben. *) Sämmtliche Organe der deutschen
Hauptstadt mußten sich an Mittheilungen aus dem großen Hauptquartier genügen
lassen an den Collectivberichten Dr. Kayßlers, die sehr sorgfältig studirt waren,
aber doch auch von einem Laien herrührten; und auch der officielle Vertreter
der Berliner Presse hatte nicht einmal das Recht, ein einziges Telegramm
aufzugeben. Dagegen hatte jede namhafte englische Zeitung ihre Reporter in
allen deutschen Hauptquartieren, welche telegraphirten, soviel sie wollten und
besser unterichtet wurden, als irgend ein deutscher Berichterstatter. Wenn also
in der That ein französischer Spion zwei Monate lang sich in einem deut¬
schen Hauptquartier aufgehalten und dem Feind Spionendienste geleistet hat,
so sind wir gewiß, daß er den Stoff zu seinen Berichten von Deutschen
irgend welcher Stellung nicht erhalten hat, dagegen ist uns wohl die Ver¬
muthung gestattet, daß ihm dieser Stoff von Personen geliefert wurde, welche
mit undeutscher Gesinnung die Kenntnisse von Verhältnissen verbanden, die
ihnen ein unverdientes Vertrauen verschafft hatte. --

Ein gleichfalls im wesentlichen nur das Bedürfniß des Franzosen nach
phantastischer Geschäftigkeit und Wichtigthuerei erfüllendes Institut war der
"Ausschuß zur Erforschung der Vertheidigungsmittel," jene
unglückliche Behörde, die alle jene explosiven Stoffe, Gifte u, s. w. zu prüfen
hatte, welche der Wahnwitz der Verzweiflung den deutschen Barbaren in den
Weg zu werfen gedachte.

Die Zahl der Mannschaften, welche unter der Oberleitung des Obristen
de Loverdo, der, "um seine Autorität zu erhöhen," rasch zum General befördert
wurde, in vier Monaten "organisirt und vor den Feind geschickt worden sind,"
beläuft sich nach Freycinets Angaben auf 584,300 Mann**) und mit Artillerie




') Paul Hasset, Von der dritten Armee: Leipzig, 1871.
") Diese Gesammtzcchl besteht aus folgenden angeblichen Bestandtheilen- Linien-Infanterie
208 Bataillone 230,300; Mobilgarde: 31 Regimenter zu 300" Mann 111,000; Mobilisirte
Garde etwa 180,000; Cavallerie 54 Regimenter 32,000; Franctireurs etwa 30,000.

englische Berichterstatter, trotz ihrer unverständigen und uns feindseligsten
Referate begünstigt wurden. Das Buch Freycinets weiß in allen Situationen,
wo Frankreich uns den Sieg streitig macht oder Anklagen gegen unsre Krieg¬
führung schleudert, immer nur englische Correspondenten in beiden Heer¬
lagern gegen uns anzuführen, bis am Schlüsse der Schweizer Herr Tallichet
diese englische Aufgabe übernimmt.

Selbst der preußische Staatsanzeiger mußte sich von der dritten Armee
mit Berichten eines Laien begnügen, deren absoluter Mangel an kriegswissen¬
schaftlichen Kenntnissen und deren klägliche Entstellung aller militärischen Ope¬
rationen heute allgemein anerkannt, und nur übertroffen wird durch die Eitel¬
keit desselben Verfassers, diese glücklicherweise halbvergessenen Mißschilderungen in
einer besondern Sammlung herauszugeben. *) Sämmtliche Organe der deutschen
Hauptstadt mußten sich an Mittheilungen aus dem großen Hauptquartier genügen
lassen an den Collectivberichten Dr. Kayßlers, die sehr sorgfältig studirt waren,
aber doch auch von einem Laien herrührten; und auch der officielle Vertreter
der Berliner Presse hatte nicht einmal das Recht, ein einziges Telegramm
aufzugeben. Dagegen hatte jede namhafte englische Zeitung ihre Reporter in
allen deutschen Hauptquartieren, welche telegraphirten, soviel sie wollten und
besser unterichtet wurden, als irgend ein deutscher Berichterstatter. Wenn also
in der That ein französischer Spion zwei Monate lang sich in einem deut¬
schen Hauptquartier aufgehalten und dem Feind Spionendienste geleistet hat,
so sind wir gewiß, daß er den Stoff zu seinen Berichten von Deutschen
irgend welcher Stellung nicht erhalten hat, dagegen ist uns wohl die Ver¬
muthung gestattet, daß ihm dieser Stoff von Personen geliefert wurde, welche
mit undeutscher Gesinnung die Kenntnisse von Verhältnissen verbanden, die
ihnen ein unverdientes Vertrauen verschafft hatte. —

Ein gleichfalls im wesentlichen nur das Bedürfniß des Franzosen nach
phantastischer Geschäftigkeit und Wichtigthuerei erfüllendes Institut war der
„Ausschuß zur Erforschung der Vertheidigungsmittel," jene
unglückliche Behörde, die alle jene explosiven Stoffe, Gifte u, s. w. zu prüfen
hatte, welche der Wahnwitz der Verzweiflung den deutschen Barbaren in den
Weg zu werfen gedachte.

Die Zahl der Mannschaften, welche unter der Oberleitung des Obristen
de Loverdo, der, „um seine Autorität zu erhöhen," rasch zum General befördert
wurde, in vier Monaten „organisirt und vor den Feind geschickt worden sind,"
beläuft sich nach Freycinets Angaben auf 584,300 Mann**) und mit Artillerie




') Paul Hasset, Von der dritten Armee: Leipzig, 1871.
") Diese Gesammtzcchl besteht aus folgenden angeblichen Bestandtheilen- Linien-Infanterie
208 Bataillone 230,300; Mobilgarde: 31 Regimenter zu 300» Mann 111,000; Mobilisirte
Garde etwa 180,000; Cavallerie 54 Regimenter 32,000; Franctireurs etwa 30,000.
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[0296] englische Berichterstatter, trotz ihrer unverständigen und uns feindseligsten Referate begünstigt wurden. Das Buch Freycinets weiß in allen Situationen, wo Frankreich uns den Sieg streitig macht oder Anklagen gegen unsre Krieg¬ führung schleudert, immer nur englische Correspondenten in beiden Heer¬ lagern gegen uns anzuführen, bis am Schlüsse der Schweizer Herr Tallichet diese englische Aufgabe übernimmt. Selbst der preußische Staatsanzeiger mußte sich von der dritten Armee mit Berichten eines Laien begnügen, deren absoluter Mangel an kriegswissen¬ schaftlichen Kenntnissen und deren klägliche Entstellung aller militärischen Ope¬ rationen heute allgemein anerkannt, und nur übertroffen wird durch die Eitel¬ keit desselben Verfassers, diese glücklicherweise halbvergessenen Mißschilderungen in einer besondern Sammlung herauszugeben. *) Sämmtliche Organe der deutschen Hauptstadt mußten sich an Mittheilungen aus dem großen Hauptquartier genügen lassen an den Collectivberichten Dr. Kayßlers, die sehr sorgfältig studirt waren, aber doch auch von einem Laien herrührten; und auch der officielle Vertreter der Berliner Presse hatte nicht einmal das Recht, ein einziges Telegramm aufzugeben. Dagegen hatte jede namhafte englische Zeitung ihre Reporter in allen deutschen Hauptquartieren, welche telegraphirten, soviel sie wollten und besser unterichtet wurden, als irgend ein deutscher Berichterstatter. Wenn also in der That ein französischer Spion zwei Monate lang sich in einem deut¬ schen Hauptquartier aufgehalten und dem Feind Spionendienste geleistet hat, so sind wir gewiß, daß er den Stoff zu seinen Berichten von Deutschen irgend welcher Stellung nicht erhalten hat, dagegen ist uns wohl die Ver¬ muthung gestattet, daß ihm dieser Stoff von Personen geliefert wurde, welche mit undeutscher Gesinnung die Kenntnisse von Verhältnissen verbanden, die ihnen ein unverdientes Vertrauen verschafft hatte. — Ein gleichfalls im wesentlichen nur das Bedürfniß des Franzosen nach phantastischer Geschäftigkeit und Wichtigthuerei erfüllendes Institut war der „Ausschuß zur Erforschung der Vertheidigungsmittel," jene unglückliche Behörde, die alle jene explosiven Stoffe, Gifte u, s. w. zu prüfen hatte, welche der Wahnwitz der Verzweiflung den deutschen Barbaren in den Weg zu werfen gedachte. Die Zahl der Mannschaften, welche unter der Oberleitung des Obristen de Loverdo, der, „um seine Autorität zu erhöhen," rasch zum General befördert wurde, in vier Monaten „organisirt und vor den Feind geschickt worden sind," beläuft sich nach Freycinets Angaben auf 584,300 Mann**) und mit Artillerie ') Paul Hasset, Von der dritten Armee: Leipzig, 1871. ") Diese Gesammtzcchl besteht aus folgenden angeblichen Bestandtheilen- Linien-Infanterie 208 Bataillone 230,300; Mobilgarde: 31 Regimenter zu 300» Mann 111,000; Mobilisirte Garde etwa 180,000; Cavallerie 54 Regimenter 32,000; Franctireurs etwa 30,000.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/296>, abgerufen am 25.08.2024.