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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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wagte. Selbst das Unterkommen in Tours für die Mitglieder und Bureaux
der neuen Regierung stieß auf Schwierigkeiten.

Man begann in Tours die Thätigkeit mit Beseitigung des fühlbarsten
Mangels, dem an Beamten. Eisenbahnbeamte, Ingenieure, u. s. w. über¬
nahmen freiwillig, und nach Freycinets Urtheil sehr tüchtig, die hervorragend¬
sten Posten im Kriegsministerium. Dann sorgte man für Karten. Die
Einforderung von Karten aus den Departements mißlang; man erhielt nur
unvollständige und zu wenig Exemplare. Die Wittwe (!) eines höhern Officiers
lieferte glücklicherweise eine vollständige französische Generalstabskarte. Diese be¬
schloß man photographisch und autographisch durch einen Marine-Jnfanterieosfi-
cier,Jusfelain, vervielfältigen zu lassen. Erstellte 15,000Exemplarein 4 Monaten
her. Diese Karten reducirten das Größenverhältniß der französischen General¬
stabskarte auf 2/z. d. h. den Maßstab von 1:80.000 auf 1:120.000. Der
Bericht Jusselain's über diese Leistungen wie über die Methode seines Ver¬
fahrens, den Freycinet vollständig mittheilt, bietet viel Interessantes.
Namentlich ist die Opferwilligkeit der betheiligten Ingenieure, Zeichner u. f. w.
sehr rühmend hervorgehoben. Wenige Karten mit den neuesten Einzeichnungen
der Mcinalwege u. f. w. wurden, durch Uebertragung auf Zink gewonnen,
auf sehr dünnem Papier von Paris aus im Oetober 1870 per Ballon
in die Provinzen geschickt. "Außer diesen Karten", schließt Jusselain seinen
Bericht, "hat sich das Centralbureau des Kriegsministeriums andere, fast
alle deutschen Ursprungs (!) im Auslande verschafft." Auch an einer
späteren Stelle seines Buches kommt Freycinet auf die Güte deutscher Karten
zurück. Er sagt nämlich (S. 24), daß bei Beginn des Feldzugs im Osten
(unter Bourbaki) einem Ingenieur, Herrn Prompt, gelungenIei, "sich eine
große Menge sehr genauer topographischer Karten der Grenzdepartements zu
verschaffen, die in Preußen gezeichnet waren." Es wird hoffentlich den
deutschen Behörden gelingen, die Wahrheit dieser Thatsachen, so wie die nicht
unwichtige Frage festzustellen, auf welchem Wege der Feind diese Erzeugnisse
der überlegenen deutschen Kartographie sich zu erwerben wußte: ob auch hier
die Intervention unserer guten Freunde der "Neutralen" den Feind mit
Kriegsmaterial -- denn das sind Karten -- versorgte, oder ob gar eine Ver¬
schuldung deutscher Individuen vorliegt.

Aehnliche Untersuchungen dürften die Frehcinetschen Enthüllungen über das
"Kundsch astsamt" der Delegation von Tours und Bordeaux hervorrufen.
Unter dem Kaiserreich, sagt Freycinet, schien ein derartiges Amt völlig unbekannt,
denn es bestand nicht einmal ein Ausgabeposten im Budget dafür, und die
republikanischen Generale empfanden eine solche Abneigung dagegen, die ihnen
hierfür zur Verfügung gestellten geheimen Fonds zu verwenden, daß Frey¬
cinet von dem ihm überwiesenen Kundschaftsfond von 760,000 Franken mit


wagte. Selbst das Unterkommen in Tours für die Mitglieder und Bureaux
der neuen Regierung stieß auf Schwierigkeiten.

Man begann in Tours die Thätigkeit mit Beseitigung des fühlbarsten
Mangels, dem an Beamten. Eisenbahnbeamte, Ingenieure, u. s. w. über¬
nahmen freiwillig, und nach Freycinets Urtheil sehr tüchtig, die hervorragend¬
sten Posten im Kriegsministerium. Dann sorgte man für Karten. Die
Einforderung von Karten aus den Departements mißlang; man erhielt nur
unvollständige und zu wenig Exemplare. Die Wittwe (!) eines höhern Officiers
lieferte glücklicherweise eine vollständige französische Generalstabskarte. Diese be¬
schloß man photographisch und autographisch durch einen Marine-Jnfanterieosfi-
cier,Jusfelain, vervielfältigen zu lassen. Erstellte 15,000Exemplarein 4 Monaten
her. Diese Karten reducirten das Größenverhältniß der französischen General¬
stabskarte auf 2/z. d. h. den Maßstab von 1:80.000 auf 1:120.000. Der
Bericht Jusselain's über diese Leistungen wie über die Methode seines Ver¬
fahrens, den Freycinet vollständig mittheilt, bietet viel Interessantes.
Namentlich ist die Opferwilligkeit der betheiligten Ingenieure, Zeichner u. f. w.
sehr rühmend hervorgehoben. Wenige Karten mit den neuesten Einzeichnungen
der Mcinalwege u. f. w. wurden, durch Uebertragung auf Zink gewonnen,
auf sehr dünnem Papier von Paris aus im Oetober 1870 per Ballon
in die Provinzen geschickt. „Außer diesen Karten", schließt Jusselain seinen
Bericht, „hat sich das Centralbureau des Kriegsministeriums andere, fast
alle deutschen Ursprungs (!) im Auslande verschafft." Auch an einer
späteren Stelle seines Buches kommt Freycinet auf die Güte deutscher Karten
zurück. Er sagt nämlich (S. 24), daß bei Beginn des Feldzugs im Osten
(unter Bourbaki) einem Ingenieur, Herrn Prompt, gelungenIei, „sich eine
große Menge sehr genauer topographischer Karten der Grenzdepartements zu
verschaffen, die in Preußen gezeichnet waren." Es wird hoffentlich den
deutschen Behörden gelingen, die Wahrheit dieser Thatsachen, so wie die nicht
unwichtige Frage festzustellen, auf welchem Wege der Feind diese Erzeugnisse
der überlegenen deutschen Kartographie sich zu erwerben wußte: ob auch hier
die Intervention unserer guten Freunde der „Neutralen" den Feind mit
Kriegsmaterial — denn das sind Karten — versorgte, oder ob gar eine Ver¬
schuldung deutscher Individuen vorliegt.

Aehnliche Untersuchungen dürften die Frehcinetschen Enthüllungen über das
„Kundsch astsamt" der Delegation von Tours und Bordeaux hervorrufen.
Unter dem Kaiserreich, sagt Freycinet, schien ein derartiges Amt völlig unbekannt,
denn es bestand nicht einmal ein Ausgabeposten im Budget dafür, und die
republikanischen Generale empfanden eine solche Abneigung dagegen, die ihnen
hierfür zur Verfügung gestellten geheimen Fonds zu verwenden, daß Frey¬
cinet von dem ihm überwiesenen Kundschaftsfond von 760,000 Franken mit


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[0294] wagte. Selbst das Unterkommen in Tours für die Mitglieder und Bureaux der neuen Regierung stieß auf Schwierigkeiten. Man begann in Tours die Thätigkeit mit Beseitigung des fühlbarsten Mangels, dem an Beamten. Eisenbahnbeamte, Ingenieure, u. s. w. über¬ nahmen freiwillig, und nach Freycinets Urtheil sehr tüchtig, die hervorragend¬ sten Posten im Kriegsministerium. Dann sorgte man für Karten. Die Einforderung von Karten aus den Departements mißlang; man erhielt nur unvollständige und zu wenig Exemplare. Die Wittwe (!) eines höhern Officiers lieferte glücklicherweise eine vollständige französische Generalstabskarte. Diese be¬ schloß man photographisch und autographisch durch einen Marine-Jnfanterieosfi- cier,Jusfelain, vervielfältigen zu lassen. Erstellte 15,000Exemplarein 4 Monaten her. Diese Karten reducirten das Größenverhältniß der französischen General¬ stabskarte auf 2/z. d. h. den Maßstab von 1:80.000 auf 1:120.000. Der Bericht Jusselain's über diese Leistungen wie über die Methode seines Ver¬ fahrens, den Freycinet vollständig mittheilt, bietet viel Interessantes. Namentlich ist die Opferwilligkeit der betheiligten Ingenieure, Zeichner u. f. w. sehr rühmend hervorgehoben. Wenige Karten mit den neuesten Einzeichnungen der Mcinalwege u. f. w. wurden, durch Uebertragung auf Zink gewonnen, auf sehr dünnem Papier von Paris aus im Oetober 1870 per Ballon in die Provinzen geschickt. „Außer diesen Karten", schließt Jusselain seinen Bericht, „hat sich das Centralbureau des Kriegsministeriums andere, fast alle deutschen Ursprungs (!) im Auslande verschafft." Auch an einer späteren Stelle seines Buches kommt Freycinet auf die Güte deutscher Karten zurück. Er sagt nämlich (S. 24), daß bei Beginn des Feldzugs im Osten (unter Bourbaki) einem Ingenieur, Herrn Prompt, gelungenIei, „sich eine große Menge sehr genauer topographischer Karten der Grenzdepartements zu verschaffen, die in Preußen gezeichnet waren." Es wird hoffentlich den deutschen Behörden gelingen, die Wahrheit dieser Thatsachen, so wie die nicht unwichtige Frage festzustellen, auf welchem Wege der Feind diese Erzeugnisse der überlegenen deutschen Kartographie sich zu erwerben wußte: ob auch hier die Intervention unserer guten Freunde der „Neutralen" den Feind mit Kriegsmaterial — denn das sind Karten — versorgte, oder ob gar eine Ver¬ schuldung deutscher Individuen vorliegt. Aehnliche Untersuchungen dürften die Frehcinetschen Enthüllungen über das „Kundsch astsamt" der Delegation von Tours und Bordeaux hervorrufen. Unter dem Kaiserreich, sagt Freycinet, schien ein derartiges Amt völlig unbekannt, denn es bestand nicht einmal ein Ausgabeposten im Budget dafür, und die republikanischen Generale empfanden eine solche Abneigung dagegen, die ihnen hierfür zur Verfügung gestellten geheimen Fonds zu verwenden, daß Frey¬ cinet von dem ihm überwiesenen Kundschaftsfond von 760,000 Franken mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/294>, abgerufen am 22.07.2024.