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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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ein Amt nach dem andern gelangte in ihre Hände. Im Jahre 1871 entdeckte
New-York plötzlich, daß es unter einer Herrschaft von Gaunern und Dieben
lebte.

Wäre dies länger so fortgegangen, so würde das Gewürm sich in das
Herz der amerikanischen Freiheit eingenistet haben. Die Seuche verbreitete
sich von Stadt zu Stadt. Die ungeheure Unwissenheit unsrer römisch-katho¬
lischen Mitbürger, denen man systematisch die Bildung vorenthielt, wurde der
ganzen Union gefährlich. Da nahm die Presse sich der Sache an, deckte das
Uebel auf und bewirkte wenigstens nach einer Seite hin Abhilfe.

Unerbittliche statistische Zahlen wurden als Vorhut beim Sturmlaufen
vorausgeschickt. Es beträgt die Zahl solcher Personen, die des Lesens und
Schreibens unkundig und über zehn Jahre alt sind, 1870 nicht weniger als
5,660,074, wovon 777,864 im Auslande geboren (bei 40 Millionen Einwoh¬
nern). Von diesen letzteren wohnen 663,983 in den nördlichen und nordöst¬
lichen Staaten, meist katholische Jrländer. Während von je 10,000
Einwohnern der Vereinigten Staaten 8711 Weiße, 1266 Farbige. 16 Chinesen
und 7 Indianer sind, beträgt die Zahl der des Lesens und Schreibens Un¬
kundigen Farbigen ebensoviel wie die der gleich ungebildeten Weißen, also im
Verhältniß siebenmal so viel. Es sind der Weißen, die nicht lesen und schrei¬
ben können 2,879,543, der Farbigen 2.763.991. Der Census geht dann auf
die religiösen Verhältnisse ein und constatirt, daß unter den Weißen des Lesens
und Schreibens Unkundigen etwa 60 Procent auf die Katholiken entfallen,
trotzdem die Katholiken in den Vereinigten Staaten gegenüber den Protestan¬
ten sehr in der Minderzahl sind und das Verhältniß ein umgekehrtes sein
müßte, wäre der Bildungsgrad bei den Religionsbekenntnissen ein gleicher.

Einsichtsvolle und tüchtige Katholiken konnten sich nicht länger mit diesen
Zahlen vor Augen den Thatsachen verschließen und strebten Reformen an.
Eine Anzahl gebildeter Katholiken hat sich hier vereinigt, um für die Hebung
des Schulbesuchs unter katholischen Kindern zu wirken, denn an Schulen fehlt
es nicht. Aber diese Schulen sind eben nicht nach dem Geschmacke der Jesuiten
und daher auch die Unwissenheit. Wir hoffen, daß auch hier die altkatholische
Richtung erstarken werde, denn unsere Katholiken, gleichviel welcher Abkunft
sie sein mögen, sind von Natur nicht vaterlandslos -- sie werden erst künst¬
lich dazu präparirt. Die europäischen Thatsachen vor Augen beginnt man
auch hier mehr und mehr auf die Jesuiten aufmerksam zu werden. Was man
von ihnen hielt, möge Ihnen noch folgende Stelle aus einer neuen Broschüre
von Eugene Lawrence zeigen- "Es ist die jesuitische Fraction der römischen
Kirche, jene Fraction, die in Deutschland, Italien, Oesterreich jetzt als staats-
gefährlich bekämpft wird, welche allein Schuld ist an einer langen Reihe von
Vergehen gegen unsere öffentlichen Einrichtungen und unsere nationale Selbst-


ein Amt nach dem andern gelangte in ihre Hände. Im Jahre 1871 entdeckte
New-York plötzlich, daß es unter einer Herrschaft von Gaunern und Dieben
lebte.

Wäre dies länger so fortgegangen, so würde das Gewürm sich in das
Herz der amerikanischen Freiheit eingenistet haben. Die Seuche verbreitete
sich von Stadt zu Stadt. Die ungeheure Unwissenheit unsrer römisch-katho¬
lischen Mitbürger, denen man systematisch die Bildung vorenthielt, wurde der
ganzen Union gefährlich. Da nahm die Presse sich der Sache an, deckte das
Uebel auf und bewirkte wenigstens nach einer Seite hin Abhilfe.

Unerbittliche statistische Zahlen wurden als Vorhut beim Sturmlaufen
vorausgeschickt. Es beträgt die Zahl solcher Personen, die des Lesens und
Schreibens unkundig und über zehn Jahre alt sind, 1870 nicht weniger als
5,660,074, wovon 777,864 im Auslande geboren (bei 40 Millionen Einwoh¬
nern). Von diesen letzteren wohnen 663,983 in den nördlichen und nordöst¬
lichen Staaten, meist katholische Jrländer. Während von je 10,000
Einwohnern der Vereinigten Staaten 8711 Weiße, 1266 Farbige. 16 Chinesen
und 7 Indianer sind, beträgt die Zahl der des Lesens und Schreibens Un¬
kundigen Farbigen ebensoviel wie die der gleich ungebildeten Weißen, also im
Verhältniß siebenmal so viel. Es sind der Weißen, die nicht lesen und schrei¬
ben können 2,879,543, der Farbigen 2.763.991. Der Census geht dann auf
die religiösen Verhältnisse ein und constatirt, daß unter den Weißen des Lesens
und Schreibens Unkundigen etwa 60 Procent auf die Katholiken entfallen,
trotzdem die Katholiken in den Vereinigten Staaten gegenüber den Protestan¬
ten sehr in der Minderzahl sind und das Verhältniß ein umgekehrtes sein
müßte, wäre der Bildungsgrad bei den Religionsbekenntnissen ein gleicher.

Einsichtsvolle und tüchtige Katholiken konnten sich nicht länger mit diesen
Zahlen vor Augen den Thatsachen verschließen und strebten Reformen an.
Eine Anzahl gebildeter Katholiken hat sich hier vereinigt, um für die Hebung
des Schulbesuchs unter katholischen Kindern zu wirken, denn an Schulen fehlt
es nicht. Aber diese Schulen sind eben nicht nach dem Geschmacke der Jesuiten
und daher auch die Unwissenheit. Wir hoffen, daß auch hier die altkatholische
Richtung erstarken werde, denn unsere Katholiken, gleichviel welcher Abkunft
sie sein mögen, sind von Natur nicht vaterlandslos — sie werden erst künst¬
lich dazu präparirt. Die europäischen Thatsachen vor Augen beginnt man
auch hier mehr und mehr auf die Jesuiten aufmerksam zu werden. Was man
von ihnen hielt, möge Ihnen noch folgende Stelle aus einer neuen Broschüre
von Eugene Lawrence zeigen- „Es ist die jesuitische Fraction der römischen
Kirche, jene Fraction, die in Deutschland, Italien, Oesterreich jetzt als staats-
gefährlich bekämpft wird, welche allein Schuld ist an einer langen Reihe von
Vergehen gegen unsere öffentlichen Einrichtungen und unsere nationale Selbst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/271>, abgerufen am 23.07.2024.