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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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als ob es zum Tode verurtheilt sei, und nicht dieKraft zu einer
Auferstehung habe.


Lebe wohl u. s. w.
Blum."

Frankfurt, den 3. October 1848.

Bei solch verzweifelter Stimmung, gewinnt die Vermuthung große Wahr¬
scheinlichkeit, daß Blum seine Wiener Reise (in der zweiten Hälfte des Monat
October), von welcher er nicht zurückkehren sollte, nur unternommen habe, um
für einige Wochen aus dem aufreibenden parlamentarischen Leben, und den
immer leidenschaftlicheren und einseitigeren Anschauungen der Parteien heraus¬
zukommen, um dann mit frischen Kräften, mit neuen Anschauungen die alten
Freunde oder doch einen Theil derselben, zu einem glücklicheren Kampfe zu
fuhren.

Seine Politik war, ohne Zweifel wider seine Absicht und zu seiner eige¬
nen schwersten inneren Kümmerniß nach allen Seiten hin eine im wesentlichen
blos negative, zuwartende geworden. Er hatte seit dem Frühjahr jede be¬
waffnete revolutionäre Schilderhebung verurtheilt, und gleichzeitig jeden An¬
schluß an die Mehrheit des Parlaments preisgegeben und verloren. Auch zu
Hause hatte er das Prestige von ehedem fast vollständig eingebüßt. So stand
er im October an der Spitze einer in sich selbst zerfallenen Minderheit. An
die revolutionäre Partei nach seiner Rückkehr von Wien sich anzuschließen, wäre
seiner Natur unmöglich gewesen. Ueberdem durfte er sich im Feldlager der Rothen
doch nur einer sehr zweifelhaften Aufnahme versichert halten. Sollten wir daher
irren, wenn wir vermuthen, daß er seinen Freunden bei seiner Rückkehr jenen
politischen Plan vorzulegen beabsichtigte, den im Frühjahr 1849 sein langjähriger
Freund Heinrich Simon erfolgreich ausführte: das Compromiß mit der Kaiserpartei.

Daß Robert Blum von Frankfurt fort und nach Wien entsendet sein wollte, '
dafür haben wir folgenden merkwürdigen Beleg. Sonst waren phrasenhafte
Demonstrationen gar nicht nach seinem Sinne, aber dießmal hatte er mit größtem
Nachdruck die Entsendung einer Deputation der Linken nach Wien bei den Partei¬
genossen befürwortet, lediglich zum Zwecke eines Pronunciamento zu Gunsten der
Wiener Erhebung, nachdem das Parlament die Entsendung einer officiellen
Deputation abgelehnt hatte. Roßmäßler hat uns stets mit größtem Stolze
den ZettelBlums gezeigt, den dieser am Morgen vor jenem Abend, an welchem
er von der Partei nach Wien deputirt wurde, während der Sitzung bei der
Partei cursiren ließ: "Wenn wir überhaupt nach Wien eine Deputation sen¬
den wollen", hieß es da, "müssen wir jetzt Beschluß fassen und heut Abend
wählen." Dieser Zettel trug die Unterschriften aller damals anwesenden
Mitglieder der Frankfurter Linken. -- Ferner aber erzählte auch Karl Vogt
dem Verfasser dieser Zeilen auf einer Reise von Basel nach Darmstadt vor


als ob es zum Tode verurtheilt sei, und nicht dieKraft zu einer
Auferstehung habe.


Lebe wohl u. s. w.
Blum."

Frankfurt, den 3. October 1848.

Bei solch verzweifelter Stimmung, gewinnt die Vermuthung große Wahr¬
scheinlichkeit, daß Blum seine Wiener Reise (in der zweiten Hälfte des Monat
October), von welcher er nicht zurückkehren sollte, nur unternommen habe, um
für einige Wochen aus dem aufreibenden parlamentarischen Leben, und den
immer leidenschaftlicheren und einseitigeren Anschauungen der Parteien heraus¬
zukommen, um dann mit frischen Kräften, mit neuen Anschauungen die alten
Freunde oder doch einen Theil derselben, zu einem glücklicheren Kampfe zu
fuhren.

Seine Politik war, ohne Zweifel wider seine Absicht und zu seiner eige¬
nen schwersten inneren Kümmerniß nach allen Seiten hin eine im wesentlichen
blos negative, zuwartende geworden. Er hatte seit dem Frühjahr jede be¬
waffnete revolutionäre Schilderhebung verurtheilt, und gleichzeitig jeden An¬
schluß an die Mehrheit des Parlaments preisgegeben und verloren. Auch zu
Hause hatte er das Prestige von ehedem fast vollständig eingebüßt. So stand
er im October an der Spitze einer in sich selbst zerfallenen Minderheit. An
die revolutionäre Partei nach seiner Rückkehr von Wien sich anzuschließen, wäre
seiner Natur unmöglich gewesen. Ueberdem durfte er sich im Feldlager der Rothen
doch nur einer sehr zweifelhaften Aufnahme versichert halten. Sollten wir daher
irren, wenn wir vermuthen, daß er seinen Freunden bei seiner Rückkehr jenen
politischen Plan vorzulegen beabsichtigte, den im Frühjahr 1849 sein langjähriger
Freund Heinrich Simon erfolgreich ausführte: das Compromiß mit der Kaiserpartei.

Daß Robert Blum von Frankfurt fort und nach Wien entsendet sein wollte, '
dafür haben wir folgenden merkwürdigen Beleg. Sonst waren phrasenhafte
Demonstrationen gar nicht nach seinem Sinne, aber dießmal hatte er mit größtem
Nachdruck die Entsendung einer Deputation der Linken nach Wien bei den Partei¬
genossen befürwortet, lediglich zum Zwecke eines Pronunciamento zu Gunsten der
Wiener Erhebung, nachdem das Parlament die Entsendung einer officiellen
Deputation abgelehnt hatte. Roßmäßler hat uns stets mit größtem Stolze
den ZettelBlums gezeigt, den dieser am Morgen vor jenem Abend, an welchem
er von der Partei nach Wien deputirt wurde, während der Sitzung bei der
Partei cursiren ließ: „Wenn wir überhaupt nach Wien eine Deputation sen¬
den wollen", hieß es da, „müssen wir jetzt Beschluß fassen und heut Abend
wählen." Dieser Zettel trug die Unterschriften aller damals anwesenden
Mitglieder der Frankfurter Linken. — Ferner aber erzählte auch Karl Vogt
dem Verfasser dieser Zeilen auf einer Reise von Basel nach Darmstadt vor


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[0258] als ob es zum Tode verurtheilt sei, und nicht dieKraft zu einer Auferstehung habe. Lebe wohl u. s. w. Blum." Frankfurt, den 3. October 1848. Bei solch verzweifelter Stimmung, gewinnt die Vermuthung große Wahr¬ scheinlichkeit, daß Blum seine Wiener Reise (in der zweiten Hälfte des Monat October), von welcher er nicht zurückkehren sollte, nur unternommen habe, um für einige Wochen aus dem aufreibenden parlamentarischen Leben, und den immer leidenschaftlicheren und einseitigeren Anschauungen der Parteien heraus¬ zukommen, um dann mit frischen Kräften, mit neuen Anschauungen die alten Freunde oder doch einen Theil derselben, zu einem glücklicheren Kampfe zu fuhren. Seine Politik war, ohne Zweifel wider seine Absicht und zu seiner eige¬ nen schwersten inneren Kümmerniß nach allen Seiten hin eine im wesentlichen blos negative, zuwartende geworden. Er hatte seit dem Frühjahr jede be¬ waffnete revolutionäre Schilderhebung verurtheilt, und gleichzeitig jeden An¬ schluß an die Mehrheit des Parlaments preisgegeben und verloren. Auch zu Hause hatte er das Prestige von ehedem fast vollständig eingebüßt. So stand er im October an der Spitze einer in sich selbst zerfallenen Minderheit. An die revolutionäre Partei nach seiner Rückkehr von Wien sich anzuschließen, wäre seiner Natur unmöglich gewesen. Ueberdem durfte er sich im Feldlager der Rothen doch nur einer sehr zweifelhaften Aufnahme versichert halten. Sollten wir daher irren, wenn wir vermuthen, daß er seinen Freunden bei seiner Rückkehr jenen politischen Plan vorzulegen beabsichtigte, den im Frühjahr 1849 sein langjähriger Freund Heinrich Simon erfolgreich ausführte: das Compromiß mit der Kaiserpartei. Daß Robert Blum von Frankfurt fort und nach Wien entsendet sein wollte, ' dafür haben wir folgenden merkwürdigen Beleg. Sonst waren phrasenhafte Demonstrationen gar nicht nach seinem Sinne, aber dießmal hatte er mit größtem Nachdruck die Entsendung einer Deputation der Linken nach Wien bei den Partei¬ genossen befürwortet, lediglich zum Zwecke eines Pronunciamento zu Gunsten der Wiener Erhebung, nachdem das Parlament die Entsendung einer officiellen Deputation abgelehnt hatte. Roßmäßler hat uns stets mit größtem Stolze den ZettelBlums gezeigt, den dieser am Morgen vor jenem Abend, an welchem er von der Partei nach Wien deputirt wurde, während der Sitzung bei der Partei cursiren ließ: „Wenn wir überhaupt nach Wien eine Deputation sen¬ den wollen", hieß es da, „müssen wir jetzt Beschluß fassen und heut Abend wählen." Dieser Zettel trug die Unterschriften aller damals anwesenden Mitglieder der Frankfurter Linken. — Ferner aber erzählte auch Karl Vogt dem Verfasser dieser Zeilen auf einer Reise von Basel nach Darmstadt vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/258>, abgerufen am 22.07.2024.