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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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nicht ein rein Verlornes Jahr zu beklagen hat. -- Es ist jetzt
Messe in Leipzig und ich denke mit Kummer und Sorge daran, daß ich Dir
arme Frau, stets etwas gab zur Ergänzung kleiner Haushaltungsbedürfnisse;
wie viele mögen deren seyn, da Du auch die Ostermesse nichts beläuft! Und
doch kann ich leider nicht, ich habe nichts. Die letzten 14 Tage haben solch
riesenhafte Opfer gefordert, daß die ganze Linke auch finanziell ruinirt ist;
dem Unglücklichen muß man helfen, wie sehr man auch Ursache hat, mit ihm
zu zürnen. Und ich hatte wahrlich gerade jetzt Sorge genug. -- Neues ist
hier nichts, Stadt und Umgegend ist vollgespickt mit Soldaten und der
Schrecken führt das Regiment; wenn derselbe noch von der Kraft
gehandhabt würde, so ließe ich mir's gefallen: aber dieser
Schmerling ist das Sinnbild der Feigheit und der niederträch¬
tigsten diplomatischen Schurkerei -- und der ist Dictator! Lebe
recht wohl mit den Kindern. Ich habe noch viel zu schreiben diesen Morgen
und muß daher aufhören.

Hoffentlich sehen wir uns in S Wochen, Du wirst das ja aus den Ver¬
anstaltungen erfahren; es wäre mir sehr lieb. Aber wenn davon die Rede
ist in der Stadt, so erkläre nur rund heraus, daß ich keine Theilnahme an
politischen Dingen, welcher Art sie auch sind, will, sondern die 3 Tage, die
mir höchstens vergönnt seyn werden, lediglich zu Hause bleibe (abgesehen vom
Schillerfeste).

Also nochmals Lebewohl!


Gruß und Kuß von Herzen von
Deinem

Es gehe Euch so gut als möglich.


Robert."

Frankfurt, 4. Oetober 1848.

Noch offener und tragischer spricht Blum seine hoffnungslose Stimmung
in einem Briefe vom vorhergehenden Tage an Haubold aus. Er schreibt:


"Lieber Freund.

--Wie es hier geht? Es ist fast überflüssig zu sagen: schlecht. Man
fühlt diese schlechte Stellung fast um so mehr, als wir die beste hatten, und
gewissermaßen die Hand nur ausstrecken durften, um die Frucht viermonatlicher
schwerer Arbeit zu brechen. Dieser unsinnigste und fluchwürdigste
aller Straßenkampfe hat uns fast ebensoviel geschadet, als die
Februar- und Märzrevo ludion genützt, und man fragt sich oft ernst¬
lich, ob es wirklich ein revolutionäres Frühjahr gegeben habe? Und wie
stehen wir persönlich? Von der einen Seite gibt man uns "intellektuelle
Urheberschaft" eines Kampfes schuld, bei welchem nur wir verloren haben und
nur wir verlieren konnten. Auf der andern Seite wirft man uns
"Verrath des Volkes, Feigheit und Unentschiedenheit" u. f. w. vor.


nicht ein rein Verlornes Jahr zu beklagen hat. — Es ist jetzt
Messe in Leipzig und ich denke mit Kummer und Sorge daran, daß ich Dir
arme Frau, stets etwas gab zur Ergänzung kleiner Haushaltungsbedürfnisse;
wie viele mögen deren seyn, da Du auch die Ostermesse nichts beläuft! Und
doch kann ich leider nicht, ich habe nichts. Die letzten 14 Tage haben solch
riesenhafte Opfer gefordert, daß die ganze Linke auch finanziell ruinirt ist;
dem Unglücklichen muß man helfen, wie sehr man auch Ursache hat, mit ihm
zu zürnen. Und ich hatte wahrlich gerade jetzt Sorge genug. — Neues ist
hier nichts, Stadt und Umgegend ist vollgespickt mit Soldaten und der
Schrecken führt das Regiment; wenn derselbe noch von der Kraft
gehandhabt würde, so ließe ich mir's gefallen: aber dieser
Schmerling ist das Sinnbild der Feigheit und der niederträch¬
tigsten diplomatischen Schurkerei — und der ist Dictator! Lebe
recht wohl mit den Kindern. Ich habe noch viel zu schreiben diesen Morgen
und muß daher aufhören.

Hoffentlich sehen wir uns in S Wochen, Du wirst das ja aus den Ver¬
anstaltungen erfahren; es wäre mir sehr lieb. Aber wenn davon die Rede
ist in der Stadt, so erkläre nur rund heraus, daß ich keine Theilnahme an
politischen Dingen, welcher Art sie auch sind, will, sondern die 3 Tage, die
mir höchstens vergönnt seyn werden, lediglich zu Hause bleibe (abgesehen vom
Schillerfeste).

Also nochmals Lebewohl!


Gruß und Kuß von Herzen von
Deinem

Es gehe Euch so gut als möglich.


Robert."

Frankfurt, 4. Oetober 1848.

Noch offener und tragischer spricht Blum seine hoffnungslose Stimmung
in einem Briefe vom vorhergehenden Tage an Haubold aus. Er schreibt:


„Lieber Freund.

--Wie es hier geht? Es ist fast überflüssig zu sagen: schlecht. Man
fühlt diese schlechte Stellung fast um so mehr, als wir die beste hatten, und
gewissermaßen die Hand nur ausstrecken durften, um die Frucht viermonatlicher
schwerer Arbeit zu brechen. Dieser unsinnigste und fluchwürdigste
aller Straßenkampfe hat uns fast ebensoviel geschadet, als die
Februar- und Märzrevo ludion genützt, und man fragt sich oft ernst¬
lich, ob es wirklich ein revolutionäres Frühjahr gegeben habe? Und wie
stehen wir persönlich? Von der einen Seite gibt man uns „intellektuelle
Urheberschaft" eines Kampfes schuld, bei welchem nur wir verloren haben und
nur wir verlieren konnten. Auf der andern Seite wirft man uns
„Verrath des Volkes, Feigheit und Unentschiedenheit" u. f. w. vor.


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[0256] nicht ein rein Verlornes Jahr zu beklagen hat. — Es ist jetzt Messe in Leipzig und ich denke mit Kummer und Sorge daran, daß ich Dir arme Frau, stets etwas gab zur Ergänzung kleiner Haushaltungsbedürfnisse; wie viele mögen deren seyn, da Du auch die Ostermesse nichts beläuft! Und doch kann ich leider nicht, ich habe nichts. Die letzten 14 Tage haben solch riesenhafte Opfer gefordert, daß die ganze Linke auch finanziell ruinirt ist; dem Unglücklichen muß man helfen, wie sehr man auch Ursache hat, mit ihm zu zürnen. Und ich hatte wahrlich gerade jetzt Sorge genug. — Neues ist hier nichts, Stadt und Umgegend ist vollgespickt mit Soldaten und der Schrecken führt das Regiment; wenn derselbe noch von der Kraft gehandhabt würde, so ließe ich mir's gefallen: aber dieser Schmerling ist das Sinnbild der Feigheit und der niederträch¬ tigsten diplomatischen Schurkerei — und der ist Dictator! Lebe recht wohl mit den Kindern. Ich habe noch viel zu schreiben diesen Morgen und muß daher aufhören. Hoffentlich sehen wir uns in S Wochen, Du wirst das ja aus den Ver¬ anstaltungen erfahren; es wäre mir sehr lieb. Aber wenn davon die Rede ist in der Stadt, so erkläre nur rund heraus, daß ich keine Theilnahme an politischen Dingen, welcher Art sie auch sind, will, sondern die 3 Tage, die mir höchstens vergönnt seyn werden, lediglich zu Hause bleibe (abgesehen vom Schillerfeste). Also nochmals Lebewohl! Gruß und Kuß von Herzen von Deinem Es gehe Euch so gut als möglich. Robert." Frankfurt, 4. Oetober 1848. Noch offener und tragischer spricht Blum seine hoffnungslose Stimmung in einem Briefe vom vorhergehenden Tage an Haubold aus. Er schreibt: „Lieber Freund. --Wie es hier geht? Es ist fast überflüssig zu sagen: schlecht. Man fühlt diese schlechte Stellung fast um so mehr, als wir die beste hatten, und gewissermaßen die Hand nur ausstrecken durften, um die Frucht viermonatlicher schwerer Arbeit zu brechen. Dieser unsinnigste und fluchwürdigste aller Straßenkampfe hat uns fast ebensoviel geschadet, als die Februar- und Märzrevo ludion genützt, und man fragt sich oft ernst¬ lich, ob es wirklich ein revolutionäres Frühjahr gegeben habe? Und wie stehen wir persönlich? Von der einen Seite gibt man uns „intellektuelle Urheberschaft" eines Kampfes schuld, bei welchem nur wir verloren haben und nur wir verlieren konnten. Auf der andern Seite wirft man uns „Verrath des Volkes, Feigheit und Unentschiedenheit" u. f. w. vor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/256>, abgerufen am 22.07.2024.