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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Wie es aber mit solchen Verträgen zu gehen pflegt -- sie erleiden durch
die Gewalt der Thatsachen bedenkliche Aenderungen. Auf dem Wiener Kon¬
greß, namentlich durch den zwischen Preußen und Sachsen geschlossenen Ver¬
trag vom 18. Mai 1815 und durch Artikel XV und XVI der Congreßakte
selbst, wodurch Sachsen genöthigt wurde, die ganze Nieder- und einen Theil
der Ober-Lausitz an Preußen abzutreten, wurde die ganze Vertragsherrlichkeit
eigentlich zerrissen. Kaiser Franz als König von Böhmen verzichtete bezüglich
dieser abgetretenen Theile im Artikel XVIII auf die Lehens-Oberherrlichkeit,
aber er verwahrte sich -- k^on as xarlsr! -- das Recht des Heimfalls zur
Krone Böhmen für diese Theile der Lausitz ausdrücklich in demselben Artikel
auf den Fall des gänzlichen Aussterbens der regierenden Familie in Preußen.

Unsre Tschechen behaupten nun, hieraus gehe hervor, daß der Krone
Böhmen das Oberlehensrecht zustehe über den sächsischen Antheil der Ober¬
lausitz und das Recht der Auslösung derselben nach dem Aussterben der könig¬
lich sächsischen Familie in der männlichen Nachfolge, dann das Heimfallsrecht
bezüglich beider Lausitzer beim Aussterben der beiden gegenwärtig regierenden
Königsfamilien in Preußen und Sachsen. Man wartet hier mit Schmerzen
auf dieses Aussterben der beiden blühenden Königshäuser; dann würde Böhmen
von 900 auf 1000 Quadratmeilen gebracht und die neue europäische Großmacht
wäre fertig.

Uebrigens ist das Heimfallsrecht vom Hause Sachsen durch die Accessions-
akte vom 18. November 1817 anerkannt worden, mit welcher es alle Be¬
stimmungen der Wiener Congreßakte gut hieß, ohne irgend eine Bedingung
rücksichtlich der Lausitz zu machen. Dasselbe Recht verwahrte auch das Haus
Oesterreich mehreremale zu Gunsten der böhmischen Krone.

Das alles ist heutzutage dem deutschen Reiche gegenüber ohne jeglichen
practischen Werth. Aber auf etwas, was in praktischer Ausübung fort¬
besteht und nicht ohne Interesse ist, möchten wir hier nachdrücklich hinweisen.
Das Schutzrecht, welches dem Könige von Böhmen bezüglich der katholischen
Corporationen und der geistlichen Institutionen in der Lausitz "zusteht", wurde
ununterbrochen ausgeübt, und ausdrücklich anerkannt durch die zwischen dem
österreichischen und sächsischen Cabinete ausgewechselten Urkunden vom 9. resp.
21. Mai 1845.

Sie werden in Sachsen besser beurtheilen können als wir hier, was es
mit diesem österreichischen resp, böhmischen Schutzrecht katholischer Corporatio¬
nen in Sachsen auf sich hat und wie Ihre Reichsgesetzgebung zu derlei Fällen
sich stellt. Ich habe nur anregen können. ^ . , . ^5 -




Wie es aber mit solchen Verträgen zu gehen pflegt — sie erleiden durch
die Gewalt der Thatsachen bedenkliche Aenderungen. Auf dem Wiener Kon¬
greß, namentlich durch den zwischen Preußen und Sachsen geschlossenen Ver¬
trag vom 18. Mai 1815 und durch Artikel XV und XVI der Congreßakte
selbst, wodurch Sachsen genöthigt wurde, die ganze Nieder- und einen Theil
der Ober-Lausitz an Preußen abzutreten, wurde die ganze Vertragsherrlichkeit
eigentlich zerrissen. Kaiser Franz als König von Böhmen verzichtete bezüglich
dieser abgetretenen Theile im Artikel XVIII auf die Lehens-Oberherrlichkeit,
aber er verwahrte sich — k^on as xarlsr! — das Recht des Heimfalls zur
Krone Böhmen für diese Theile der Lausitz ausdrücklich in demselben Artikel
auf den Fall des gänzlichen Aussterbens der regierenden Familie in Preußen.

Unsre Tschechen behaupten nun, hieraus gehe hervor, daß der Krone
Böhmen das Oberlehensrecht zustehe über den sächsischen Antheil der Ober¬
lausitz und das Recht der Auslösung derselben nach dem Aussterben der könig¬
lich sächsischen Familie in der männlichen Nachfolge, dann das Heimfallsrecht
bezüglich beider Lausitzer beim Aussterben der beiden gegenwärtig regierenden
Königsfamilien in Preußen und Sachsen. Man wartet hier mit Schmerzen
auf dieses Aussterben der beiden blühenden Königshäuser; dann würde Böhmen
von 900 auf 1000 Quadratmeilen gebracht und die neue europäische Großmacht
wäre fertig.

Uebrigens ist das Heimfallsrecht vom Hause Sachsen durch die Accessions-
akte vom 18. November 1817 anerkannt worden, mit welcher es alle Be¬
stimmungen der Wiener Congreßakte gut hieß, ohne irgend eine Bedingung
rücksichtlich der Lausitz zu machen. Dasselbe Recht verwahrte auch das Haus
Oesterreich mehreremale zu Gunsten der böhmischen Krone.

Das alles ist heutzutage dem deutschen Reiche gegenüber ohne jeglichen
practischen Werth. Aber auf etwas, was in praktischer Ausübung fort¬
besteht und nicht ohne Interesse ist, möchten wir hier nachdrücklich hinweisen.
Das Schutzrecht, welches dem Könige von Böhmen bezüglich der katholischen
Corporationen und der geistlichen Institutionen in der Lausitz „zusteht", wurde
ununterbrochen ausgeübt, und ausdrücklich anerkannt durch die zwischen dem
österreichischen und sächsischen Cabinete ausgewechselten Urkunden vom 9. resp.
21. Mai 1845.

Sie werden in Sachsen besser beurtheilen können als wir hier, was es
mit diesem österreichischen resp, böhmischen Schutzrecht katholischer Corporatio¬
nen in Sachsen auf sich hat und wie Ihre Reichsgesetzgebung zu derlei Fällen
sich stellt. Ich habe nur anregen können. ^ . , . ^5 -




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[0232] Wie es aber mit solchen Verträgen zu gehen pflegt — sie erleiden durch die Gewalt der Thatsachen bedenkliche Aenderungen. Auf dem Wiener Kon¬ greß, namentlich durch den zwischen Preußen und Sachsen geschlossenen Ver¬ trag vom 18. Mai 1815 und durch Artikel XV und XVI der Congreßakte selbst, wodurch Sachsen genöthigt wurde, die ganze Nieder- und einen Theil der Ober-Lausitz an Preußen abzutreten, wurde die ganze Vertragsherrlichkeit eigentlich zerrissen. Kaiser Franz als König von Böhmen verzichtete bezüglich dieser abgetretenen Theile im Artikel XVIII auf die Lehens-Oberherrlichkeit, aber er verwahrte sich — k^on as xarlsr! — das Recht des Heimfalls zur Krone Böhmen für diese Theile der Lausitz ausdrücklich in demselben Artikel auf den Fall des gänzlichen Aussterbens der regierenden Familie in Preußen. Unsre Tschechen behaupten nun, hieraus gehe hervor, daß der Krone Böhmen das Oberlehensrecht zustehe über den sächsischen Antheil der Ober¬ lausitz und das Recht der Auslösung derselben nach dem Aussterben der könig¬ lich sächsischen Familie in der männlichen Nachfolge, dann das Heimfallsrecht bezüglich beider Lausitzer beim Aussterben der beiden gegenwärtig regierenden Königsfamilien in Preußen und Sachsen. Man wartet hier mit Schmerzen auf dieses Aussterben der beiden blühenden Königshäuser; dann würde Böhmen von 900 auf 1000 Quadratmeilen gebracht und die neue europäische Großmacht wäre fertig. Uebrigens ist das Heimfallsrecht vom Hause Sachsen durch die Accessions- akte vom 18. November 1817 anerkannt worden, mit welcher es alle Be¬ stimmungen der Wiener Congreßakte gut hieß, ohne irgend eine Bedingung rücksichtlich der Lausitz zu machen. Dasselbe Recht verwahrte auch das Haus Oesterreich mehreremale zu Gunsten der böhmischen Krone. Das alles ist heutzutage dem deutschen Reiche gegenüber ohne jeglichen practischen Werth. Aber auf etwas, was in praktischer Ausübung fort¬ besteht und nicht ohne Interesse ist, möchten wir hier nachdrücklich hinweisen. Das Schutzrecht, welches dem Könige von Böhmen bezüglich der katholischen Corporationen und der geistlichen Institutionen in der Lausitz „zusteht", wurde ununterbrochen ausgeübt, und ausdrücklich anerkannt durch die zwischen dem österreichischen und sächsischen Cabinete ausgewechselten Urkunden vom 9. resp. 21. Mai 1845. Sie werden in Sachsen besser beurtheilen können als wir hier, was es mit diesem österreichischen resp, böhmischen Schutzrecht katholischer Corporatio¬ nen in Sachsen auf sich hat und wie Ihre Reichsgesetzgebung zu derlei Fällen sich stellt. Ich habe nur anregen können. ^ . , . ^5 -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/232>, abgerufen am 18.06.2024.