Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu heben. Bekannt sind die künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen,
welche die Maskenzüge documentirten. Alles kettete sich an strenge Ordnung -
man hatte ein Correctiv für die Freiheit der Bewegung. Schon durch das
Billet war der Besucher an gewisse Colonnen und Quarrcs gebunden, wenn
es mitunter auch schwierig war, übermäßiges Trinken zu beseitigen, welches
wie das Pharospiel die Gemüther mehr als lebhaft machte. Irgend wo wünschte
Goethe eine öffentliche Warnung gegen dasselbe erlassen zu sehen. -- Der ge¬
schlossenen Gesellschaften gab es natürlich viele, seit 1800 tauchte schon der
adlich-bürgerliche Club auf; aber immerhin erschwerte man dem nicht unbe¬
dingt Befähigten den Zutritt, während der Bürger in untergeordneten Wirths¬
häusern verkehrte, wo man nach dem damaligen Stande der Bildung, als der
Wechsel des Jahrhunderts oben in sinnig geistreicher Weise gefeiert wurde,
sich stritt, ob mit dem 1. Januar 1800 das 18te. oder 19te Jahrhundert be¬
gonnen habe.

Seit 180S erhielt Weimar mit der Einweihung des neuen von Karl August
erbauten Schießhauses das seit 30 Jahren unterbrochene Bogelschießen,
das soviel man auch jetzt darüber sagen mag, bei dem Charakter der thüringischen
Bevölkerung ganz bedeutende Wirkungen auf dem socialen Gebiete erzielte.
Dies Fest gewann seine Bedeutung, weil es ein Volksfest war. das allen
Ständen zu gute kam, von denen jeder sein eignes Schneckenhaus behauptet hatte.
Und ein Fürst an der Spitze, der bürgerlich denken und verkehren konnte, gab
persönlich Veranlassung, daß Frische und Leben in die Kreise hineingetragen
wurde. Auch dort verkehrte Carl August, der mit sich die abgeschlossenen
höhern Stände fortriß, und"das Wdenken an jene Tage lebt noch heute als
herrliche Erinnerung in dem Gedächtniß unserer Väter fort. Dabei dürfen
wir freilich nicht vergessen, daß der Polizeistaat noch überall seine Wirkungen
verspüren ließ, und dem gesellschaftlichen Leben manche Wunde schlug. Wenn
1806 die erste geschlossene Gesellschaft innerhalb der Stadt keine Kegelbahn
anlegen durfte, so mochte dies mit deiw gemeinen Rechte zu vereinbaren
sein. Aber ob die Polizei wohl gethan hat, 1815 die Gründung eines Winter¬
gartens in Weimar selbst zu verweigern, in dem man gemüthlich bei einem
Täßchen Kaffee sitzen wollte, das bedarf keiner Erörterungen. In Weimar,
sagte damals die Polizei, "giebt es ohnehin zu viel Gelegenheit
zum Geldverthun," und seit dem ist man auf dieser Bahn rüstig
und consequent vorwärts gegangen und hat seit 1816 auf lange Zeit,
Komödianten, Gauklern, Seiltänzern, Marionetten-, Taschen-, Hazard- und
Glückstopfspielern die Wege verlegt, und dann auch auf den Redouten eine
Nathscommission tagen lassen, welche sich sofort über die Zulässigkeit der Er¬
scheinenden auszusprechen hatte, bis dann 1836 alle öffentlichen Redouten ver¬
boten oder nur mit Genehmigung der Polizei oder des Hofamtes abgehalten


zu heben. Bekannt sind die künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen,
welche die Maskenzüge documentirten. Alles kettete sich an strenge Ordnung -
man hatte ein Correctiv für die Freiheit der Bewegung. Schon durch das
Billet war der Besucher an gewisse Colonnen und Quarrcs gebunden, wenn
es mitunter auch schwierig war, übermäßiges Trinken zu beseitigen, welches
wie das Pharospiel die Gemüther mehr als lebhaft machte. Irgend wo wünschte
Goethe eine öffentliche Warnung gegen dasselbe erlassen zu sehen. — Der ge¬
schlossenen Gesellschaften gab es natürlich viele, seit 1800 tauchte schon der
adlich-bürgerliche Club auf; aber immerhin erschwerte man dem nicht unbe¬
dingt Befähigten den Zutritt, während der Bürger in untergeordneten Wirths¬
häusern verkehrte, wo man nach dem damaligen Stande der Bildung, als der
Wechsel des Jahrhunderts oben in sinnig geistreicher Weise gefeiert wurde,
sich stritt, ob mit dem 1. Januar 1800 das 18te. oder 19te Jahrhundert be¬
gonnen habe.

Seit 180S erhielt Weimar mit der Einweihung des neuen von Karl August
erbauten Schießhauses das seit 30 Jahren unterbrochene Bogelschießen,
das soviel man auch jetzt darüber sagen mag, bei dem Charakter der thüringischen
Bevölkerung ganz bedeutende Wirkungen auf dem socialen Gebiete erzielte.
Dies Fest gewann seine Bedeutung, weil es ein Volksfest war. das allen
Ständen zu gute kam, von denen jeder sein eignes Schneckenhaus behauptet hatte.
Und ein Fürst an der Spitze, der bürgerlich denken und verkehren konnte, gab
persönlich Veranlassung, daß Frische und Leben in die Kreise hineingetragen
wurde. Auch dort verkehrte Carl August, der mit sich die abgeschlossenen
höhern Stände fortriß, und»das Wdenken an jene Tage lebt noch heute als
herrliche Erinnerung in dem Gedächtniß unserer Väter fort. Dabei dürfen
wir freilich nicht vergessen, daß der Polizeistaat noch überall seine Wirkungen
verspüren ließ, und dem gesellschaftlichen Leben manche Wunde schlug. Wenn
1806 die erste geschlossene Gesellschaft innerhalb der Stadt keine Kegelbahn
anlegen durfte, so mochte dies mit deiw gemeinen Rechte zu vereinbaren
sein. Aber ob die Polizei wohl gethan hat, 1815 die Gründung eines Winter¬
gartens in Weimar selbst zu verweigern, in dem man gemüthlich bei einem
Täßchen Kaffee sitzen wollte, das bedarf keiner Erörterungen. In Weimar,
sagte damals die Polizei, „giebt es ohnehin zu viel Gelegenheit
zum Geldverthun," und seit dem ist man auf dieser Bahn rüstig
und consequent vorwärts gegangen und hat seit 1816 auf lange Zeit,
Komödianten, Gauklern, Seiltänzern, Marionetten-, Taschen-, Hazard- und
Glückstopfspielern die Wege verlegt, und dann auch auf den Redouten eine
Nathscommission tagen lassen, welche sich sofort über die Zulässigkeit der Er¬
scheinenden auszusprechen hatte, bis dann 1836 alle öffentlichen Redouten ver¬
boten oder nur mit Genehmigung der Polizei oder des Hofamtes abgehalten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127950"/>
          <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> zu heben. Bekannt sind die künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen,<lb/>
welche die Maskenzüge documentirten. Alles kettete sich an strenge Ordnung -<lb/>
man hatte ein Correctiv für die Freiheit der Bewegung. Schon durch das<lb/>
Billet war der Besucher an gewisse Colonnen und Quarrcs gebunden, wenn<lb/>
es mitunter auch schwierig war, übermäßiges Trinken zu beseitigen, welches<lb/>
wie das Pharospiel die Gemüther mehr als lebhaft machte. Irgend wo wünschte<lb/>
Goethe eine öffentliche Warnung gegen dasselbe erlassen zu sehen. &#x2014; Der ge¬<lb/>
schlossenen Gesellschaften gab es natürlich viele, seit 1800 tauchte schon der<lb/>
adlich-bürgerliche Club auf; aber immerhin erschwerte man dem nicht unbe¬<lb/>
dingt Befähigten den Zutritt, während der Bürger in untergeordneten Wirths¬<lb/>
häusern verkehrte, wo man nach dem damaligen Stande der Bildung, als der<lb/>
Wechsel des Jahrhunderts oben in sinnig geistreicher Weise gefeiert wurde,<lb/>
sich stritt, ob mit dem 1. Januar 1800 das 18te. oder 19te Jahrhundert be¬<lb/>
gonnen habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42" next="#ID_43"> Seit 180S erhielt Weimar mit der Einweihung des neuen von Karl August<lb/>
erbauten Schießhauses das seit 30 Jahren unterbrochene Bogelschießen,<lb/>
das soviel man auch jetzt darüber sagen mag, bei dem Charakter der thüringischen<lb/>
Bevölkerung ganz bedeutende Wirkungen auf dem socialen Gebiete erzielte.<lb/>
Dies Fest gewann seine Bedeutung, weil es ein Volksfest war. das allen<lb/>
Ständen zu gute kam, von denen jeder sein eignes Schneckenhaus behauptet hatte.<lb/>
Und ein Fürst an der Spitze, der bürgerlich denken und verkehren konnte, gab<lb/>
persönlich Veranlassung, daß Frische und Leben in die Kreise hineingetragen<lb/>
wurde. Auch dort verkehrte Carl August, der mit sich die abgeschlossenen<lb/>
höhern Stände fortriß, und»das Wdenken an jene Tage lebt noch heute als<lb/>
herrliche Erinnerung in dem Gedächtniß unserer Väter fort. Dabei dürfen<lb/>
wir freilich nicht vergessen, daß der Polizeistaat noch überall seine Wirkungen<lb/>
verspüren ließ, und dem gesellschaftlichen Leben manche Wunde schlug. Wenn<lb/>
1806 die erste geschlossene Gesellschaft innerhalb der Stadt keine Kegelbahn<lb/>
anlegen durfte, so mochte dies mit deiw gemeinen Rechte zu vereinbaren<lb/>
sein. Aber ob die Polizei wohl gethan hat, 1815 die Gründung eines Winter¬<lb/>
gartens in Weimar selbst zu verweigern, in dem man gemüthlich bei einem<lb/>
Täßchen Kaffee sitzen wollte, das bedarf keiner Erörterungen. In Weimar,<lb/>
sagte damals die Polizei, &#x201E;giebt es ohnehin zu viel Gelegenheit<lb/>
zum Geldverthun," und seit dem ist man auf dieser Bahn rüstig<lb/>
und consequent vorwärts gegangen und hat seit 1816 auf lange Zeit,<lb/>
Komödianten, Gauklern, Seiltänzern, Marionetten-, Taschen-, Hazard- und<lb/>
Glückstopfspielern die Wege verlegt, und dann auch auf den Redouten eine<lb/>
Nathscommission tagen lassen, welche sich sofort über die Zulässigkeit der Er¬<lb/>
scheinenden auszusprechen hatte, bis dann 1836 alle öffentlichen Redouten ver¬<lb/>
boten oder nur mit Genehmigung der Polizei oder des Hofamtes abgehalten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] zu heben. Bekannt sind die künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen, welche die Maskenzüge documentirten. Alles kettete sich an strenge Ordnung - man hatte ein Correctiv für die Freiheit der Bewegung. Schon durch das Billet war der Besucher an gewisse Colonnen und Quarrcs gebunden, wenn es mitunter auch schwierig war, übermäßiges Trinken zu beseitigen, welches wie das Pharospiel die Gemüther mehr als lebhaft machte. Irgend wo wünschte Goethe eine öffentliche Warnung gegen dasselbe erlassen zu sehen. — Der ge¬ schlossenen Gesellschaften gab es natürlich viele, seit 1800 tauchte schon der adlich-bürgerliche Club auf; aber immerhin erschwerte man dem nicht unbe¬ dingt Befähigten den Zutritt, während der Bürger in untergeordneten Wirths¬ häusern verkehrte, wo man nach dem damaligen Stande der Bildung, als der Wechsel des Jahrhunderts oben in sinnig geistreicher Weise gefeiert wurde, sich stritt, ob mit dem 1. Januar 1800 das 18te. oder 19te Jahrhundert be¬ gonnen habe. Seit 180S erhielt Weimar mit der Einweihung des neuen von Karl August erbauten Schießhauses das seit 30 Jahren unterbrochene Bogelschießen, das soviel man auch jetzt darüber sagen mag, bei dem Charakter der thüringischen Bevölkerung ganz bedeutende Wirkungen auf dem socialen Gebiete erzielte. Dies Fest gewann seine Bedeutung, weil es ein Volksfest war. das allen Ständen zu gute kam, von denen jeder sein eignes Schneckenhaus behauptet hatte. Und ein Fürst an der Spitze, der bürgerlich denken und verkehren konnte, gab persönlich Veranlassung, daß Frische und Leben in die Kreise hineingetragen wurde. Auch dort verkehrte Carl August, der mit sich die abgeschlossenen höhern Stände fortriß, und»das Wdenken an jene Tage lebt noch heute als herrliche Erinnerung in dem Gedächtniß unserer Väter fort. Dabei dürfen wir freilich nicht vergessen, daß der Polizeistaat noch überall seine Wirkungen verspüren ließ, und dem gesellschaftlichen Leben manche Wunde schlug. Wenn 1806 die erste geschlossene Gesellschaft innerhalb der Stadt keine Kegelbahn anlegen durfte, so mochte dies mit deiw gemeinen Rechte zu vereinbaren sein. Aber ob die Polizei wohl gethan hat, 1815 die Gründung eines Winter¬ gartens in Weimar selbst zu verweigern, in dem man gemüthlich bei einem Täßchen Kaffee sitzen wollte, das bedarf keiner Erörterungen. In Weimar, sagte damals die Polizei, „giebt es ohnehin zu viel Gelegenheit zum Geldverthun," und seit dem ist man auf dieser Bahn rüstig und consequent vorwärts gegangen und hat seit 1816 auf lange Zeit, Komödianten, Gauklern, Seiltänzern, Marionetten-, Taschen-, Hazard- und Glückstopfspielern die Wege verlegt, und dann auch auf den Redouten eine Nathscommission tagen lassen, welche sich sofort über die Zulässigkeit der Er¬ scheinenden auszusprechen hatte, bis dann 1836 alle öffentlichen Redouten ver¬ boten oder nur mit Genehmigung der Polizei oder des Hofamtes abgehalten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/22
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/22>, abgerufen am 22.12.2024.