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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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-- das wäre Kleinigkeit; aber sie haben das Volk verrathen
durch ihre wahnsinnige Erhebung, es ist mitten im Siegeslauf
aufgehalten; das ist ein entsetzliches Verbrechen. Noch immer
habe ich von unsern Leuten keine Sylbe und weiß nichts über die Wahl; das
ist auch schönes Pack. *) Aber ich werde mir's merken, komme ich wieder nach
Haus, so werde ich thun, was ich muß. aber mich um keine Versammlung,
keine Veranstaltung und keinen Menschen bekümmern; ihr Verfahren gegen
mich ist zu schmachvoll. Dir und den Kindern alles Gute und Schöne nebst
Gruß und Kuß von Deinem


Robert."

3. Mai.

Hier schalten wir den folgenden höchst merkwürdigen Brief an Dr. Gustav
Haubold, Advocat in Leipzig (den spätern Vormund der Blumschen Kinder), von
demselben Tage ein, und bemerken gleich hier, daß der Adressat als Leipziger
Wortführer jener bedächtigen Märzfreisinnigen des großen Jahres gelten kann,
welche sich vorläufig unter den Fittigen eines möglichst populären Radicalen
am sichersten fühlten, und die deutsche Einheit auf dem trocknen Wege diverser
"freisinniger" Vereine und Versammlungen zu verdienen bestrebt waren. Um
so ehrenvoller für Blum, daß er sich auch in seinen Briefen an Haubold ganz
offen und rückhaltlos über seine politischen Anschauungen ausspricht. -- Der
Brief lautet:

"Mein lieber und geehrter Freund! Dein Brief v. 26. v. M. hat mich
sehr erfreut, weil er mir den Beweis bringt, daß Du mir auch in der Ferne
die Theilnahme erhalten hast, die Du mir dort geschenkt. Bewahre sie mir
auch ferner, selbst dann, wenn ich Deinen jedenfalls wohlgemeinten Rath nicht
befolge. Dieß ist aber der Fall hinsichtlich eines Glaubensbekenntnisses. Es
ist jetzt zu spät dazu, aber ich konnte und mochte es auch nicht geben, als
es noch Zeit war. Ich werde mich allezeit zu allen Wahlen anbieten und
geschieht dieß irgend, wo man mich nicht kennt, stets den Leuten sagen, was
ich will, damit sie wissen, was sie an mir haben. Aber jetzt, in Leipzig,
durfte ich das nicht thun. Ich will nicht von 16 Jahren meines bürgerlichen
nicht von 8 Jahren meines öffentlichen und puvlicistischen Lebens reden, ob¬
gleich auch das genügt; aber nach unsern Wirren im März, nach der un¬
gehemmten Aussprache in unzähligen Versammlungen, nach dem Vorparla¬
ment und der ungeheuer schwierigen Stellung, welche die nicht
revolutionäre Linke dort hatte, und nach dreiwöchentlichem Wirken
im Fünfziger Ausschuß, müßte ich mich selbst herabsetzen, wenn ich den Leip¬
zigern ein Glaubensbekenntniß gäbe. Wenn mein Leben und Thun keine
Gewährleistung gibt, wie soll denn mein Wort eine geben? Wenn ich im



") Vgl. unten den Brief vom 9. Mai.

— das wäre Kleinigkeit; aber sie haben das Volk verrathen
durch ihre wahnsinnige Erhebung, es ist mitten im Siegeslauf
aufgehalten; das ist ein entsetzliches Verbrechen. Noch immer
habe ich von unsern Leuten keine Sylbe und weiß nichts über die Wahl; das
ist auch schönes Pack. *) Aber ich werde mir's merken, komme ich wieder nach
Haus, so werde ich thun, was ich muß. aber mich um keine Versammlung,
keine Veranstaltung und keinen Menschen bekümmern; ihr Verfahren gegen
mich ist zu schmachvoll. Dir und den Kindern alles Gute und Schöne nebst
Gruß und Kuß von Deinem


Robert."

3. Mai.

Hier schalten wir den folgenden höchst merkwürdigen Brief an Dr. Gustav
Haubold, Advocat in Leipzig (den spätern Vormund der Blumschen Kinder), von
demselben Tage ein, und bemerken gleich hier, daß der Adressat als Leipziger
Wortführer jener bedächtigen Märzfreisinnigen des großen Jahres gelten kann,
welche sich vorläufig unter den Fittigen eines möglichst populären Radicalen
am sichersten fühlten, und die deutsche Einheit auf dem trocknen Wege diverser
„freisinniger" Vereine und Versammlungen zu verdienen bestrebt waren. Um
so ehrenvoller für Blum, daß er sich auch in seinen Briefen an Haubold ganz
offen und rückhaltlos über seine politischen Anschauungen ausspricht. — Der
Brief lautet:

„Mein lieber und geehrter Freund! Dein Brief v. 26. v. M. hat mich
sehr erfreut, weil er mir den Beweis bringt, daß Du mir auch in der Ferne
die Theilnahme erhalten hast, die Du mir dort geschenkt. Bewahre sie mir
auch ferner, selbst dann, wenn ich Deinen jedenfalls wohlgemeinten Rath nicht
befolge. Dieß ist aber der Fall hinsichtlich eines Glaubensbekenntnisses. Es
ist jetzt zu spät dazu, aber ich konnte und mochte es auch nicht geben, als
es noch Zeit war. Ich werde mich allezeit zu allen Wahlen anbieten und
geschieht dieß irgend, wo man mich nicht kennt, stets den Leuten sagen, was
ich will, damit sie wissen, was sie an mir haben. Aber jetzt, in Leipzig,
durfte ich das nicht thun. Ich will nicht von 16 Jahren meines bürgerlichen
nicht von 8 Jahren meines öffentlichen und puvlicistischen Lebens reden, ob¬
gleich auch das genügt; aber nach unsern Wirren im März, nach der un¬
gehemmten Aussprache in unzähligen Versammlungen, nach dem Vorparla¬
ment und der ungeheuer schwierigen Stellung, welche die nicht
revolutionäre Linke dort hatte, und nach dreiwöchentlichem Wirken
im Fünfziger Ausschuß, müßte ich mich selbst herabsetzen, wenn ich den Leip¬
zigern ein Glaubensbekenntniß gäbe. Wenn mein Leben und Thun keine
Gewährleistung gibt, wie soll denn mein Wort eine geben? Wenn ich im



") Vgl. unten den Brief vom 9. Mai.
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[0214] — das wäre Kleinigkeit; aber sie haben das Volk verrathen durch ihre wahnsinnige Erhebung, es ist mitten im Siegeslauf aufgehalten; das ist ein entsetzliches Verbrechen. Noch immer habe ich von unsern Leuten keine Sylbe und weiß nichts über die Wahl; das ist auch schönes Pack. *) Aber ich werde mir's merken, komme ich wieder nach Haus, so werde ich thun, was ich muß. aber mich um keine Versammlung, keine Veranstaltung und keinen Menschen bekümmern; ihr Verfahren gegen mich ist zu schmachvoll. Dir und den Kindern alles Gute und Schöne nebst Gruß und Kuß von Deinem Robert." 3. Mai. Hier schalten wir den folgenden höchst merkwürdigen Brief an Dr. Gustav Haubold, Advocat in Leipzig (den spätern Vormund der Blumschen Kinder), von demselben Tage ein, und bemerken gleich hier, daß der Adressat als Leipziger Wortführer jener bedächtigen Märzfreisinnigen des großen Jahres gelten kann, welche sich vorläufig unter den Fittigen eines möglichst populären Radicalen am sichersten fühlten, und die deutsche Einheit auf dem trocknen Wege diverser „freisinniger" Vereine und Versammlungen zu verdienen bestrebt waren. Um so ehrenvoller für Blum, daß er sich auch in seinen Briefen an Haubold ganz offen und rückhaltlos über seine politischen Anschauungen ausspricht. — Der Brief lautet: „Mein lieber und geehrter Freund! Dein Brief v. 26. v. M. hat mich sehr erfreut, weil er mir den Beweis bringt, daß Du mir auch in der Ferne die Theilnahme erhalten hast, die Du mir dort geschenkt. Bewahre sie mir auch ferner, selbst dann, wenn ich Deinen jedenfalls wohlgemeinten Rath nicht befolge. Dieß ist aber der Fall hinsichtlich eines Glaubensbekenntnisses. Es ist jetzt zu spät dazu, aber ich konnte und mochte es auch nicht geben, als es noch Zeit war. Ich werde mich allezeit zu allen Wahlen anbieten und geschieht dieß irgend, wo man mich nicht kennt, stets den Leuten sagen, was ich will, damit sie wissen, was sie an mir haben. Aber jetzt, in Leipzig, durfte ich das nicht thun. Ich will nicht von 16 Jahren meines bürgerlichen nicht von 8 Jahren meines öffentlichen und puvlicistischen Lebens reden, ob¬ gleich auch das genügt; aber nach unsern Wirren im März, nach der un¬ gehemmten Aussprache in unzähligen Versammlungen, nach dem Vorparla¬ ment und der ungeheuer schwierigen Stellung, welche die nicht revolutionäre Linke dort hatte, und nach dreiwöchentlichem Wirken im Fünfziger Ausschuß, müßte ich mich selbst herabsetzen, wenn ich den Leip¬ zigern ein Glaubensbekenntniß gäbe. Wenn mein Leben und Thun keine Gewährleistung gibt, wie soll denn mein Wort eine geben? Wenn ich im ") Vgl. unten den Brief vom 9. Mai.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/214>, abgerufen am 22.12.2024.