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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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zwei Candidaten in Frage kommen und von einer Stimmenzersplitterung gar
keine Rede sein kann, so wird für jeden Candidaten eine große Kiste aufge¬
stellt, in welcher die Wähler ihre Stöcke hineinwerfen. Aber wie schwer von
Begriffen sind diese oft! Die Korkes mögen sie noch so viel eingepeitscht
haben, ihnen noch so sehr die politischen Begriffe von Rechts nach Links aus¬
einander gesetzt haben, es ereignete sich doch, daß die Wähler in das Wahl¬
lokal kamen und dort ihre Stöcke in die Ecke stellten, statt sie in die Kiste
zu werfen. Aber auch diese Dummheit war durch eine List der Gegenpartei
bewirkt worden; sie hatten überflüssige Stöcke in die Ecken gestellt und die
bornirten Slowaken oder Wallachen hatten zu diesen ihre Wahlstöcke gestellt.
Schon dieser eine Vorgang zeigt, in wie roher und irrthümlicher Weise hier
zu Lande die Wahlen noch betrieben werden, bei dem Volke, das sich für ein
"vorzugsweise politisch gerichtetes" ausgiebt. Ehe es aber bis zur Abgabe
der Stimmen kommt, sind noch andere Dinge vorausgegangen, die einer be¬
sonderen Erwähnung werth sind.

Wir befinden uns draußen auf dem platten Lande, in einem Comitat,
dessen Dörfer außer den Bauern tausende von Edelleuten aller Abstufungen
umschließen, vom reichen Magnaten mit fürstlichem Einkommen angefangen und
dem wohlhabenden Edelmann bis herab zum "Bundschuh Edelmann" (boeskoros
mzmös Linker) herab, der sich vom Bauer nur durch seine ehemaligen Vor¬
rechte unterscheidet. Auch national gemischt ist das Comitat: es wohnen
außer den Magyaren hier Slowaken und einige deutsche Gemeinden sind ein¬
gestreut. Wo schöne Obstgärten stehen und freundliche rothe Ziegeldächer aus
ihnen hervorlugen, da sucht die deutschen Dörfer. Die elenden schmutzigen
Strohhütten gehören den übrigen Nationalitäten. Heute können wir alle
Nationalitäten beisammen sehen; sie kommen zu Fuß, zu Pferde, zu Wagen
heran. Die "Banderien" mit Bändern geputzt, auf muntern Rossen sprengen
herbei; grün-weiß-rothe Fahnen flattern, die Zigeunermusik spielt auf und
auch eine Compagnie Infanterie rückt an, welche die Ordnung aufrecht erhalten
soll. Die für den Candidaten der Deakpartei stimmenden Bauern begeben
sich nach der adligen "Curie", dem langen, ebenerdigen Wohnhaus des
Ortsherrn, mit der breiten offnen Vorhalle und den verblichenen Schildereien
im Giebelfeld. Der Herr Graf steht in der Veranda, neben ihm seine Ge¬
mahlin, die hübschen Töchter, die alle heute in Politik machen, mit den
Stimmführern verkehren, ihnen feurigen Wein einschenken. Auf dem wüsten
Platze abseit von der "Curie", wo drei einsame Pappeln und der melancholisch
quietschende Ziehbrunnen stehen, da wälzt sich des rohen Volks gedankenlose
Masse, da gilt es nur Fressen und Saufen -- die Ausdrücke sind hier völlig
im Platze -- da fließt der Wein und Branntwein, da wird der Speck mit
den Zähnen zerfleischt, da schrille die Fiedel, heulen die Töne des Rakoczy-


zwei Candidaten in Frage kommen und von einer Stimmenzersplitterung gar
keine Rede sein kann, so wird für jeden Candidaten eine große Kiste aufge¬
stellt, in welcher die Wähler ihre Stöcke hineinwerfen. Aber wie schwer von
Begriffen sind diese oft! Die Korkes mögen sie noch so viel eingepeitscht
haben, ihnen noch so sehr die politischen Begriffe von Rechts nach Links aus¬
einander gesetzt haben, es ereignete sich doch, daß die Wähler in das Wahl¬
lokal kamen und dort ihre Stöcke in die Ecke stellten, statt sie in die Kiste
zu werfen. Aber auch diese Dummheit war durch eine List der Gegenpartei
bewirkt worden; sie hatten überflüssige Stöcke in die Ecken gestellt und die
bornirten Slowaken oder Wallachen hatten zu diesen ihre Wahlstöcke gestellt.
Schon dieser eine Vorgang zeigt, in wie roher und irrthümlicher Weise hier
zu Lande die Wahlen noch betrieben werden, bei dem Volke, das sich für ein
„vorzugsweise politisch gerichtetes" ausgiebt. Ehe es aber bis zur Abgabe
der Stimmen kommt, sind noch andere Dinge vorausgegangen, die einer be¬
sonderen Erwähnung werth sind.

Wir befinden uns draußen auf dem platten Lande, in einem Comitat,
dessen Dörfer außer den Bauern tausende von Edelleuten aller Abstufungen
umschließen, vom reichen Magnaten mit fürstlichem Einkommen angefangen und
dem wohlhabenden Edelmann bis herab zum „Bundschuh Edelmann" (boeskoros
mzmös Linker) herab, der sich vom Bauer nur durch seine ehemaligen Vor¬
rechte unterscheidet. Auch national gemischt ist das Comitat: es wohnen
außer den Magyaren hier Slowaken und einige deutsche Gemeinden sind ein¬
gestreut. Wo schöne Obstgärten stehen und freundliche rothe Ziegeldächer aus
ihnen hervorlugen, da sucht die deutschen Dörfer. Die elenden schmutzigen
Strohhütten gehören den übrigen Nationalitäten. Heute können wir alle
Nationalitäten beisammen sehen; sie kommen zu Fuß, zu Pferde, zu Wagen
heran. Die „Banderien" mit Bändern geputzt, auf muntern Rossen sprengen
herbei; grün-weiß-rothe Fahnen flattern, die Zigeunermusik spielt auf und
auch eine Compagnie Infanterie rückt an, welche die Ordnung aufrecht erhalten
soll. Die für den Candidaten der Deakpartei stimmenden Bauern begeben
sich nach der adligen „Curie", dem langen, ebenerdigen Wohnhaus des
Ortsherrn, mit der breiten offnen Vorhalle und den verblichenen Schildereien
im Giebelfeld. Der Herr Graf steht in der Veranda, neben ihm seine Ge¬
mahlin, die hübschen Töchter, die alle heute in Politik machen, mit den
Stimmführern verkehren, ihnen feurigen Wein einschenken. Auf dem wüsten
Platze abseit von der „Curie", wo drei einsame Pappeln und der melancholisch
quietschende Ziehbrunnen stehen, da wälzt sich des rohen Volks gedankenlose
Masse, da gilt es nur Fressen und Saufen — die Ausdrücke sind hier völlig
im Platze — da fließt der Wein und Branntwein, da wird der Speck mit
den Zähnen zerfleischt, da schrille die Fiedel, heulen die Töne des Rakoczy-


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[0197] zwei Candidaten in Frage kommen und von einer Stimmenzersplitterung gar keine Rede sein kann, so wird für jeden Candidaten eine große Kiste aufge¬ stellt, in welcher die Wähler ihre Stöcke hineinwerfen. Aber wie schwer von Begriffen sind diese oft! Die Korkes mögen sie noch so viel eingepeitscht haben, ihnen noch so sehr die politischen Begriffe von Rechts nach Links aus¬ einander gesetzt haben, es ereignete sich doch, daß die Wähler in das Wahl¬ lokal kamen und dort ihre Stöcke in die Ecke stellten, statt sie in die Kiste zu werfen. Aber auch diese Dummheit war durch eine List der Gegenpartei bewirkt worden; sie hatten überflüssige Stöcke in die Ecken gestellt und die bornirten Slowaken oder Wallachen hatten zu diesen ihre Wahlstöcke gestellt. Schon dieser eine Vorgang zeigt, in wie roher und irrthümlicher Weise hier zu Lande die Wahlen noch betrieben werden, bei dem Volke, das sich für ein „vorzugsweise politisch gerichtetes" ausgiebt. Ehe es aber bis zur Abgabe der Stimmen kommt, sind noch andere Dinge vorausgegangen, die einer be¬ sonderen Erwähnung werth sind. Wir befinden uns draußen auf dem platten Lande, in einem Comitat, dessen Dörfer außer den Bauern tausende von Edelleuten aller Abstufungen umschließen, vom reichen Magnaten mit fürstlichem Einkommen angefangen und dem wohlhabenden Edelmann bis herab zum „Bundschuh Edelmann" (boeskoros mzmös Linker) herab, der sich vom Bauer nur durch seine ehemaligen Vor¬ rechte unterscheidet. Auch national gemischt ist das Comitat: es wohnen außer den Magyaren hier Slowaken und einige deutsche Gemeinden sind ein¬ gestreut. Wo schöne Obstgärten stehen und freundliche rothe Ziegeldächer aus ihnen hervorlugen, da sucht die deutschen Dörfer. Die elenden schmutzigen Strohhütten gehören den übrigen Nationalitäten. Heute können wir alle Nationalitäten beisammen sehen; sie kommen zu Fuß, zu Pferde, zu Wagen heran. Die „Banderien" mit Bändern geputzt, auf muntern Rossen sprengen herbei; grün-weiß-rothe Fahnen flattern, die Zigeunermusik spielt auf und auch eine Compagnie Infanterie rückt an, welche die Ordnung aufrecht erhalten soll. Die für den Candidaten der Deakpartei stimmenden Bauern begeben sich nach der adligen „Curie", dem langen, ebenerdigen Wohnhaus des Ortsherrn, mit der breiten offnen Vorhalle und den verblichenen Schildereien im Giebelfeld. Der Herr Graf steht in der Veranda, neben ihm seine Ge¬ mahlin, die hübschen Töchter, die alle heute in Politik machen, mit den Stimmführern verkehren, ihnen feurigen Wein einschenken. Auf dem wüsten Platze abseit von der „Curie", wo drei einsame Pappeln und der melancholisch quietschende Ziehbrunnen stehen, da wälzt sich des rohen Volks gedankenlose Masse, da gilt es nur Fressen und Saufen — die Ausdrücke sind hier völlig im Platze — da fließt der Wein und Branntwein, da wird der Speck mit den Zähnen zerfleischt, da schrille die Fiedel, heulen die Töne des Rakoczy-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/197>, abgerufen am 22.12.2024.