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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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bezogen: "Noch ist die Zahl der Monde nicht voll, und schon kommen viele
Krieger. Wehe Dir, große Stadt! Siehe, da sind die vom Herrn gewaffneter
Könige." Unter den Monden verstehen die Ausleger den Mondcyklus von
neunzehn Jahren, welcher Zeitraum ziemlich genau mit der Dauer der Re¬
gierung Napoleons, vom December-Staatsstreich an gerechnet, zusammenfällt.
Das Wehe gilt dem belagerten Paris, und die von Gott bewahrten Könige
sind die deutschen Fürsten. Die Lieblingsstelle der legitimistischen Interpreten
ist aber die folgende: "Schon hat das Feuer sie (die Stadt) der Erde gleich
gemacht, aber die Gerechten werden nicht umkommen. Gott hat sie erhört.
Die Stätte des Frevels ist durch Feuer zerstört. Die große Gosse (die Seine)
hat alle ihre Gewässer roth von Blut in das Meer geführt, und das zerrissene
Gallien wird sich wieder zusammenthun. Gott liebt den Frieden. Komm,
junger Fürst! Verlaß die Insel der Gefangenschaft! Vereine den Löwen und
die weiße Blume! Komm!" Der junge Fürst ist selbstverständlich der Graf
Chambord. Als derselbe im vorigen Jahre nach Frankreich kam, setzte das
seine Anhänger in einige Verlegenheit. Er kam nicht von einer Insel, auch
konnte man den Fünfzigjähriger nicht gerade mehr einen jungen Fürsten nen¬
nen. Endlich war nicht recht abzusehen, wie er den belgischen Löwen mit der
bourbonischen Lilie vereinigen könnte.

Nachallen diesen Dingen weissagt der Prophet von Orval die Vertilgung aller
Ketzereien, die Bekehrung des Kaisers von Rußland (wo 1793 die Jesuiten
sich eingenistet hatten und von der Regierung warm gehegt und gepflegt
wurden) und eines deutschen Fürsten zum alleinseligmachenden Glauben, (was
sich erfüllt hat, aber nur an einem ganz kleinen Potentatenknirps, dem Herzog
von Cöthen, der beiläufig seine Residenz auch mit einer Spielbank verzierte)
welcher dann die Bekehrung von England und Schottland folgt.

Seine letzte Vision freilich ist weniger erbaulich. Er verkündet die Geburt
des Antichrist, welcher der Sprößling aus der Heirath eines Juden mit einer
Türkin ist.

Auf all das wunderliche Zeug schwört nun der fromme Legitimist mit
inbrünstiger Zuversicht. Und in gleicher Weise vertraut er dem alten Nostra-
damus, der auch sehr merkwürdige Dinge weissagt, wenn man seinen Aus¬
beutern glauben darf. Wenn er von der "Vereinigung der Ebenen Lothringens
mit Niederdeutschland" orakelt, so kann ja nur die Einverleibung Elsaß-Loth¬
ringens in den Staat der Prusstens gemeint sein, und wenn es bei ihm heißt:
"Großes Menschengemetzel. Der große Neffe gefangen", so bezieht sich das
ohne allen Zweifel auf Sedan.

Eine Prophezeiung lassen sich selbst die Rothen wohl schmecken. Eine
italienische Klosterfrau hat prophezeit, Napoleon der Dritte werde wieder in
Paris einziehen, dann aber vor den Tuilerien gehenkt werden.


bezogen: „Noch ist die Zahl der Monde nicht voll, und schon kommen viele
Krieger. Wehe Dir, große Stadt! Siehe, da sind die vom Herrn gewaffneter
Könige." Unter den Monden verstehen die Ausleger den Mondcyklus von
neunzehn Jahren, welcher Zeitraum ziemlich genau mit der Dauer der Re¬
gierung Napoleons, vom December-Staatsstreich an gerechnet, zusammenfällt.
Das Wehe gilt dem belagerten Paris, und die von Gott bewahrten Könige
sind die deutschen Fürsten. Die Lieblingsstelle der legitimistischen Interpreten
ist aber die folgende: „Schon hat das Feuer sie (die Stadt) der Erde gleich
gemacht, aber die Gerechten werden nicht umkommen. Gott hat sie erhört.
Die Stätte des Frevels ist durch Feuer zerstört. Die große Gosse (die Seine)
hat alle ihre Gewässer roth von Blut in das Meer geführt, und das zerrissene
Gallien wird sich wieder zusammenthun. Gott liebt den Frieden. Komm,
junger Fürst! Verlaß die Insel der Gefangenschaft! Vereine den Löwen und
die weiße Blume! Komm!" Der junge Fürst ist selbstverständlich der Graf
Chambord. Als derselbe im vorigen Jahre nach Frankreich kam, setzte das
seine Anhänger in einige Verlegenheit. Er kam nicht von einer Insel, auch
konnte man den Fünfzigjähriger nicht gerade mehr einen jungen Fürsten nen¬
nen. Endlich war nicht recht abzusehen, wie er den belgischen Löwen mit der
bourbonischen Lilie vereinigen könnte.

Nachallen diesen Dingen weissagt der Prophet von Orval die Vertilgung aller
Ketzereien, die Bekehrung des Kaisers von Rußland (wo 1793 die Jesuiten
sich eingenistet hatten und von der Regierung warm gehegt und gepflegt
wurden) und eines deutschen Fürsten zum alleinseligmachenden Glauben, (was
sich erfüllt hat, aber nur an einem ganz kleinen Potentatenknirps, dem Herzog
von Cöthen, der beiläufig seine Residenz auch mit einer Spielbank verzierte)
welcher dann die Bekehrung von England und Schottland folgt.

Seine letzte Vision freilich ist weniger erbaulich. Er verkündet die Geburt
des Antichrist, welcher der Sprößling aus der Heirath eines Juden mit einer
Türkin ist.

Auf all das wunderliche Zeug schwört nun der fromme Legitimist mit
inbrünstiger Zuversicht. Und in gleicher Weise vertraut er dem alten Nostra-
damus, der auch sehr merkwürdige Dinge weissagt, wenn man seinen Aus¬
beutern glauben darf. Wenn er von der „Vereinigung der Ebenen Lothringens
mit Niederdeutschland" orakelt, so kann ja nur die Einverleibung Elsaß-Loth¬
ringens in den Staat der Prusstens gemeint sein, und wenn es bei ihm heißt:
„Großes Menschengemetzel. Der große Neffe gefangen", so bezieht sich das
ohne allen Zweifel auf Sedan.

Eine Prophezeiung lassen sich selbst die Rothen wohl schmecken. Eine
italienische Klosterfrau hat prophezeit, Napoleon der Dritte werde wieder in
Paris einziehen, dann aber vor den Tuilerien gehenkt werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/174>, abgerufen am 25.08.2024.