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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Nonne auf den Rücken trägt und der Teufel ist Pförtner. Es sind noch
andere Antiquitäten mehr, als z. B. das Loch in der Mauer, allwo es eben
so brauset wie in der See.

Unser Logis war im weißen Schwan bei Herrn Schindler, welcher uns
höflich und civil traktiret. Er ist ein guter Freund von Cousin Schubart.
Bei der Mahlzeit war ein Domherr und andere Fremde mehr. Wir aßen
da einen Fisch, Seebarsch genannt, der überaus delicat schmeckte.

Wir hatten zwar unseren Fuhrmann Hans von Braunschweig nicht
weiter als bis Magdeburg angenommen, allein weil wir ihn wohl befunden,
daß er gut gefahren und er selber auch Lust hatte weiter mit zu reisen, so
nahmen wir ihn ganz bis Leipzig an. Wie wir nun aus Magdeburg und
über die Elbbrücke fuhren, besahen wir mit eins die unvergleichliche Citadelle
oder Magdeburger Brille. Selbige ist von lauter Steinen aufgeführet
und die Mauer so breit, daß wohl ein Wagen darauf umwenden kann. Der
Wall ist ganz hohl. Indem wir nun solches besahen, hatte Hans wohl
nach dem Weg gefragt, aber entweder falsch verstanden oder vergessen wohin,
weswegen er uns nach Staßfurth fahren wollte. Wir aber frugen die
Leute, wohin der Weg nach Zerbst ginge, worüber sich Hans stark verwunderte
und sagte: nach Zerbst? nach Zerbst? ich meinte wir wollten nach Sta߬
furth? Wir mochten nun sagen, was wir wollten, er blieb bei seiner
Meinung, wir hätten ihn bedungen nach Staßfurth, und von da nach Leip¬
zig. Er fuhr aber doch endlich den ihm gezeigten Weg auf Zerbst zu, allein
alle seine Courage war weg. Wir passirten im Anfang sehr viele Brücken
und kamen dann auf Gönnern, zwei Meilen. Hier säuget das Chur-
fächsische Gebiet an. Dann weiter nach Kloster Ziezke eine Meile, und dann nach
Zerbst, zwei Meilen.

Zerbst ist eine wohlgebaute Stadt und ziemlich groß. Die Einwohner
sind halb reformirt, halb lutherisch. Die letztern haben zwei schöne Kirchen,
wovon die eine zur Schloßkirche dienet. Es ist daselbst auch ein hübsch
Rathhaus und großer Markt, an welchem viele schöne Häuser stehen. Es wird
daselbst ein schön bitter Bier gedräuet, so an alle Oerter der Welt, selbst in
Ostindien, verführet wird. Je weiter es transportier wird, je besser schmeckt
es. Weil nun viele Leute davon leben müssen, so wird deswegen eine eigene
Braupredigt gehalten, welche ich und Mr. Papa selbst mit angehöret, darin
Gott um seinen Segen angerufen und den Leuten zum höchsten recommandiret
wird, das Bier nicht schlechter zu machen als vor diesem, damit desfalls der
Handel nicht von der Stadt abgezogen würde. Hierbei ist auch der Gebrauch,
daß diejenigen, so die Braugerechtigkeit haben, nach geendigter Predigt opfern
müssen.

Des anderen Tages wurde Jhro hochfürstlichen Durchlaucht bekannt ge-


Nonne auf den Rücken trägt und der Teufel ist Pförtner. Es sind noch
andere Antiquitäten mehr, als z. B. das Loch in der Mauer, allwo es eben
so brauset wie in der See.

Unser Logis war im weißen Schwan bei Herrn Schindler, welcher uns
höflich und civil traktiret. Er ist ein guter Freund von Cousin Schubart.
Bei der Mahlzeit war ein Domherr und andere Fremde mehr. Wir aßen
da einen Fisch, Seebarsch genannt, der überaus delicat schmeckte.

Wir hatten zwar unseren Fuhrmann Hans von Braunschweig nicht
weiter als bis Magdeburg angenommen, allein weil wir ihn wohl befunden,
daß er gut gefahren und er selber auch Lust hatte weiter mit zu reisen, so
nahmen wir ihn ganz bis Leipzig an. Wie wir nun aus Magdeburg und
über die Elbbrücke fuhren, besahen wir mit eins die unvergleichliche Citadelle
oder Magdeburger Brille. Selbige ist von lauter Steinen aufgeführet
und die Mauer so breit, daß wohl ein Wagen darauf umwenden kann. Der
Wall ist ganz hohl. Indem wir nun solches besahen, hatte Hans wohl
nach dem Weg gefragt, aber entweder falsch verstanden oder vergessen wohin,
weswegen er uns nach Staßfurth fahren wollte. Wir aber frugen die
Leute, wohin der Weg nach Zerbst ginge, worüber sich Hans stark verwunderte
und sagte: nach Zerbst? nach Zerbst? ich meinte wir wollten nach Sta߬
furth? Wir mochten nun sagen, was wir wollten, er blieb bei seiner
Meinung, wir hätten ihn bedungen nach Staßfurth, und von da nach Leip¬
zig. Er fuhr aber doch endlich den ihm gezeigten Weg auf Zerbst zu, allein
alle seine Courage war weg. Wir passirten im Anfang sehr viele Brücken
und kamen dann auf Gönnern, zwei Meilen. Hier säuget das Chur-
fächsische Gebiet an. Dann weiter nach Kloster Ziezke eine Meile, und dann nach
Zerbst, zwei Meilen.

Zerbst ist eine wohlgebaute Stadt und ziemlich groß. Die Einwohner
sind halb reformirt, halb lutherisch. Die letztern haben zwei schöne Kirchen,
wovon die eine zur Schloßkirche dienet. Es ist daselbst auch ein hübsch
Rathhaus und großer Markt, an welchem viele schöne Häuser stehen. Es wird
daselbst ein schön bitter Bier gedräuet, so an alle Oerter der Welt, selbst in
Ostindien, verführet wird. Je weiter es transportier wird, je besser schmeckt
es. Weil nun viele Leute davon leben müssen, so wird deswegen eine eigene
Braupredigt gehalten, welche ich und Mr. Papa selbst mit angehöret, darin
Gott um seinen Segen angerufen und den Leuten zum höchsten recommandiret
wird, das Bier nicht schlechter zu machen als vor diesem, damit desfalls der
Handel nicht von der Stadt abgezogen würde. Hierbei ist auch der Gebrauch,
daß diejenigen, so die Braugerechtigkeit haben, nach geendigter Predigt opfern
müssen.

Des anderen Tages wurde Jhro hochfürstlichen Durchlaucht bekannt ge-


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[0151] Nonne auf den Rücken trägt und der Teufel ist Pförtner. Es sind noch andere Antiquitäten mehr, als z. B. das Loch in der Mauer, allwo es eben so brauset wie in der See. Unser Logis war im weißen Schwan bei Herrn Schindler, welcher uns höflich und civil traktiret. Er ist ein guter Freund von Cousin Schubart. Bei der Mahlzeit war ein Domherr und andere Fremde mehr. Wir aßen da einen Fisch, Seebarsch genannt, der überaus delicat schmeckte. Wir hatten zwar unseren Fuhrmann Hans von Braunschweig nicht weiter als bis Magdeburg angenommen, allein weil wir ihn wohl befunden, daß er gut gefahren und er selber auch Lust hatte weiter mit zu reisen, so nahmen wir ihn ganz bis Leipzig an. Wie wir nun aus Magdeburg und über die Elbbrücke fuhren, besahen wir mit eins die unvergleichliche Citadelle oder Magdeburger Brille. Selbige ist von lauter Steinen aufgeführet und die Mauer so breit, daß wohl ein Wagen darauf umwenden kann. Der Wall ist ganz hohl. Indem wir nun solches besahen, hatte Hans wohl nach dem Weg gefragt, aber entweder falsch verstanden oder vergessen wohin, weswegen er uns nach Staßfurth fahren wollte. Wir aber frugen die Leute, wohin der Weg nach Zerbst ginge, worüber sich Hans stark verwunderte und sagte: nach Zerbst? nach Zerbst? ich meinte wir wollten nach Sta߬ furth? Wir mochten nun sagen, was wir wollten, er blieb bei seiner Meinung, wir hätten ihn bedungen nach Staßfurth, und von da nach Leip¬ zig. Er fuhr aber doch endlich den ihm gezeigten Weg auf Zerbst zu, allein alle seine Courage war weg. Wir passirten im Anfang sehr viele Brücken und kamen dann auf Gönnern, zwei Meilen. Hier säuget das Chur- fächsische Gebiet an. Dann weiter nach Kloster Ziezke eine Meile, und dann nach Zerbst, zwei Meilen. Zerbst ist eine wohlgebaute Stadt und ziemlich groß. Die Einwohner sind halb reformirt, halb lutherisch. Die letztern haben zwei schöne Kirchen, wovon die eine zur Schloßkirche dienet. Es ist daselbst auch ein hübsch Rathhaus und großer Markt, an welchem viele schöne Häuser stehen. Es wird daselbst ein schön bitter Bier gedräuet, so an alle Oerter der Welt, selbst in Ostindien, verführet wird. Je weiter es transportier wird, je besser schmeckt es. Weil nun viele Leute davon leben müssen, so wird deswegen eine eigene Braupredigt gehalten, welche ich und Mr. Papa selbst mit angehöret, darin Gott um seinen Segen angerufen und den Leuten zum höchsten recommandiret wird, das Bier nicht schlechter zu machen als vor diesem, damit desfalls der Handel nicht von der Stadt abgezogen würde. Hierbei ist auch der Gebrauch, daß diejenigen, so die Braugerechtigkeit haben, nach geendigter Predigt opfern müssen. Des anderen Tages wurde Jhro hochfürstlichen Durchlaucht bekannt ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/151>, abgerufen am 25.08.2024.