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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Wallfahrt den Tod zu finden, so haben wir über eine solche Anschauung nicht
ein Wort zu verlieren. Anders stellt sich die Sache freilich, wenn diese Frommen
den Tod verbreiten und das geschieht durch die Mekkapilger. in der That.
So oft die Cholera von Indien nach Mekka eingeschleppt wird, gewinnt sie
dort durch ein Zusammenwirken von Umständen eine entsetzliche Kraftver¬
mehrung und verbreitet sich wie von einem Brennpunkt strahlenförmig nach
allen Richtungen. Seit dieses bekannt geworden, hat man auf abwehrende
Maßregeln gesonnen, die 1866 zu Konstantinopel vom internationalen Ge¬
sundheitsausschuß berathen wurden. Man hatte im Jahre 1865 gesehen, wie
durch die von Mekka zurückkehrenden Pilger die Cholera nach Aegypten, Syrien,
der europäischen Türkei, Südfrankreich, Italien und Spanien verschleppt wor¬
den war. In Alexandria, Konstantinopel und Marseille starben ebensoviel
Menschen wie in den schrecklichsten Cholerajahren und es entstand damals eine
große und gerechte Entrüstung"). Die türkische Regierung ließ damals durch
ihren Vertreter auf der Conferenz, Dr. Bartoletti, erklären, wie sie in Mekka
selbst von nun an eine Reihe gesundheitspolizeiliche Einrichtungen einführen
werde; die Pilgerschiffe sollten controllirt werden u. s. w. Die internationale
Conferenz selbst ging von dem Grundsatze aus, daß man der Verbreitung der
Cholera um so wirksamer entgegen trete, je näher ihrem Entstehungsorte
man dies thue. Als ihre Heimat war ja damals schon Ostindien bekannt
und die englische Regierung erbot sich Quarantänevorrichtungen für alle
von Indien nach Mekka fahrenden Pilgerschiffe herzustellen. Daß die Vor¬
richtungen nicht ohne Erfolg geblieben sind, beweist das laufende Jahr, in
dem, nach amtlichen Berichten, 110,000 Pilger in Mekka waren, unter denen
nicht ein einziger Cholerafall, weder in der Stadt noch auf den Schiffen, vor¬
gekommen ist. Von Konstantinopel aus war Dr. Arof-Bey, der Vicepräsident
des Sanitätsamtes nach Mekka gesandt worden, dem eine Anzahl junger
Aerzte beigegeben war, welche mit der äußersten Strenge die gesundheitspoli¬
zeilichen Maßregeln überwachten.

Der Hauptheerd der Cholera liegt aber in Persien und Ostindien; von
der jährlich abgehaltenen religiösen Messe der Hindus zu Hardiwar, wo 1867
nicht weniger als 2,800,000 Pilger zugegen waren! -- verbreitete sich in
jenem Jahre die Cholera mit ungeheurer Wuth über das nördliche Indien,
dann der großen Handelsstraße folgend, nach Afghanistan und Persien, wo
die wichtige Handels- und Pilgerstadt Mesched einen fast nie verlöschenden
Cholerasocus bildet. Persien, wo die ausgehungerte Bevölkerung eine besondere
Beute und günstiger Boden für die Seuche sind, wird uns aber gegenwärtig



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pliersoll, M. v. kormsr sursooll in tus IMiau ^rw/. I^olläoa. RanKsu inn vomp. 1872.

Wallfahrt den Tod zu finden, so haben wir über eine solche Anschauung nicht
ein Wort zu verlieren. Anders stellt sich die Sache freilich, wenn diese Frommen
den Tod verbreiten und das geschieht durch die Mekkapilger. in der That.
So oft die Cholera von Indien nach Mekka eingeschleppt wird, gewinnt sie
dort durch ein Zusammenwirken von Umständen eine entsetzliche Kraftver¬
mehrung und verbreitet sich wie von einem Brennpunkt strahlenförmig nach
allen Richtungen. Seit dieses bekannt geworden, hat man auf abwehrende
Maßregeln gesonnen, die 1866 zu Konstantinopel vom internationalen Ge¬
sundheitsausschuß berathen wurden. Man hatte im Jahre 1865 gesehen, wie
durch die von Mekka zurückkehrenden Pilger die Cholera nach Aegypten, Syrien,
der europäischen Türkei, Südfrankreich, Italien und Spanien verschleppt wor¬
den war. In Alexandria, Konstantinopel und Marseille starben ebensoviel
Menschen wie in den schrecklichsten Cholerajahren und es entstand damals eine
große und gerechte Entrüstung"). Die türkische Regierung ließ damals durch
ihren Vertreter auf der Conferenz, Dr. Bartoletti, erklären, wie sie in Mekka
selbst von nun an eine Reihe gesundheitspolizeiliche Einrichtungen einführen
werde; die Pilgerschiffe sollten controllirt werden u. s. w. Die internationale
Conferenz selbst ging von dem Grundsatze aus, daß man der Verbreitung der
Cholera um so wirksamer entgegen trete, je näher ihrem Entstehungsorte
man dies thue. Als ihre Heimat war ja damals schon Ostindien bekannt
und die englische Regierung erbot sich Quarantänevorrichtungen für alle
von Indien nach Mekka fahrenden Pilgerschiffe herzustellen. Daß die Vor¬
richtungen nicht ohne Erfolg geblieben sind, beweist das laufende Jahr, in
dem, nach amtlichen Berichten, 110,000 Pilger in Mekka waren, unter denen
nicht ein einziger Cholerafall, weder in der Stadt noch auf den Schiffen, vor¬
gekommen ist. Von Konstantinopel aus war Dr. Arof-Bey, der Vicepräsident
des Sanitätsamtes nach Mekka gesandt worden, dem eine Anzahl junger
Aerzte beigegeben war, welche mit der äußersten Strenge die gesundheitspoli¬
zeilichen Maßregeln überwachten.

Der Hauptheerd der Cholera liegt aber in Persien und Ostindien; von
der jährlich abgehaltenen religiösen Messe der Hindus zu Hardiwar, wo 1867
nicht weniger als 2,800,000 Pilger zugegen waren! — verbreitete sich in
jenem Jahre die Cholera mit ungeheurer Wuth über das nördliche Indien,
dann der großen Handelsstraße folgend, nach Afghanistan und Persien, wo
die wichtige Handels- und Pilgerstadt Mesched einen fast nie verlöschenden
Cholerasocus bildet. Persien, wo die ausgehungerte Bevölkerung eine besondere
Beute und günstiger Boden für die Seuche sind, wird uns aber gegenwärtig



-) ^llusls ok VKolsrs, kron tds earliest ?erioäs to ete ?eg,r 1817. Lz? ^vim Slav-
pliersoll, M. v. kormsr sursooll in tus IMiau ^rw/. I^olläoa. RanKsu inn vomp. 1872.
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[0144] Wallfahrt den Tod zu finden, so haben wir über eine solche Anschauung nicht ein Wort zu verlieren. Anders stellt sich die Sache freilich, wenn diese Frommen den Tod verbreiten und das geschieht durch die Mekkapilger. in der That. So oft die Cholera von Indien nach Mekka eingeschleppt wird, gewinnt sie dort durch ein Zusammenwirken von Umständen eine entsetzliche Kraftver¬ mehrung und verbreitet sich wie von einem Brennpunkt strahlenförmig nach allen Richtungen. Seit dieses bekannt geworden, hat man auf abwehrende Maßregeln gesonnen, die 1866 zu Konstantinopel vom internationalen Ge¬ sundheitsausschuß berathen wurden. Man hatte im Jahre 1865 gesehen, wie durch die von Mekka zurückkehrenden Pilger die Cholera nach Aegypten, Syrien, der europäischen Türkei, Südfrankreich, Italien und Spanien verschleppt wor¬ den war. In Alexandria, Konstantinopel und Marseille starben ebensoviel Menschen wie in den schrecklichsten Cholerajahren und es entstand damals eine große und gerechte Entrüstung"). Die türkische Regierung ließ damals durch ihren Vertreter auf der Conferenz, Dr. Bartoletti, erklären, wie sie in Mekka selbst von nun an eine Reihe gesundheitspolizeiliche Einrichtungen einführen werde; die Pilgerschiffe sollten controllirt werden u. s. w. Die internationale Conferenz selbst ging von dem Grundsatze aus, daß man der Verbreitung der Cholera um so wirksamer entgegen trete, je näher ihrem Entstehungsorte man dies thue. Als ihre Heimat war ja damals schon Ostindien bekannt und die englische Regierung erbot sich Quarantänevorrichtungen für alle von Indien nach Mekka fahrenden Pilgerschiffe herzustellen. Daß die Vor¬ richtungen nicht ohne Erfolg geblieben sind, beweist das laufende Jahr, in dem, nach amtlichen Berichten, 110,000 Pilger in Mekka waren, unter denen nicht ein einziger Cholerafall, weder in der Stadt noch auf den Schiffen, vor¬ gekommen ist. Von Konstantinopel aus war Dr. Arof-Bey, der Vicepräsident des Sanitätsamtes nach Mekka gesandt worden, dem eine Anzahl junger Aerzte beigegeben war, welche mit der äußersten Strenge die gesundheitspoli¬ zeilichen Maßregeln überwachten. Der Hauptheerd der Cholera liegt aber in Persien und Ostindien; von der jährlich abgehaltenen religiösen Messe der Hindus zu Hardiwar, wo 1867 nicht weniger als 2,800,000 Pilger zugegen waren! — verbreitete sich in jenem Jahre die Cholera mit ungeheurer Wuth über das nördliche Indien, dann der großen Handelsstraße folgend, nach Afghanistan und Persien, wo die wichtige Handels- und Pilgerstadt Mesched einen fast nie verlöschenden Cholerasocus bildet. Persien, wo die ausgehungerte Bevölkerung eine besondere Beute und günstiger Boden für die Seuche sind, wird uns aber gegenwärtig -) ^llusls ok VKolsrs, kron tds earliest ?erioäs to ete ?eg,r 1817. Lz? ^vim Slav- pliersoll, M. v. kormsr sursooll in tus IMiau ^rw/. I^olläoa. RanKsu inn vomp. 1872.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/144>, abgerufen am 22.07.2024.