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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Bieres, indem er dem einzelnen Gebräude einen Eimer Wasser mehr zu¬
gießen ließ.

Aber wie bemerkt, vorwärts ging es doch, auch im A euß ern der Stadt.
Das neue Theater wurde durch den Hofjäger Hauptmann an seiner uns be¬
kannten Stelle erbaut. Weniger gelang es bei dem obstinaten Bürgerthume,
die Ziegelhütte aus der Stadt zu verlegen. Mit dem Material des alten
Grimmenstein in der Gerbergasse, später mit dem des niedergerissener Trödel-
thors vergrößerte der Culturträger Bertuch sein Jndustriecomvtoir,, dann setzte
der Wiederaufbau des Schlosses 1789 ein, während das Theater schon nach
einigen Jahren verfiel. Wenigstens berichtet Carl August 1789 an seine in
Italien lebende Mutter: Neulich kroch einer meiner Spitze während der Co-
mödie unter die Dielen des ?!utLrr<z "odlu und fing dort einen solchen Lärm
an, daß die Comödianten genöthigt waren, aufzuhören, bis man einige Vreter
aushob und den Hund herauslangte.

Weitere Verschönerungen erfuhr der Carlsplatz, an dem sich allmählig
die lange Häuserreihe entfaltete, da ein Blitzstrahl die dort stehenden 42
Scheuern entfernte. Dem Ausbau des Stadthauses, dem erst im Beginn des
Jahrhunderts ein öffentlicher Concert- und Ballsaal gegeben wurde, dessen
Weimar bisher entbehrte, folgte die Erbauung des Schießhauses, das freilich
bei mangelnden Voranschlägen gerade vier Mal so viel kostete, als man sich
annäherungsweise eingebildet hatte. Die Nordseite des Stadtgrabens wurde
mit Häusern besetzt, das Schloß nahte seiner jetzigen Bollendung; aus der
Esplanade verschwand das Malzhaus, und -- wer mag alle die Verschöner¬
ungen zählen, über die das Weimarische Wochenblatt schon 1801 in die gro߬
artigsten Lobeserhebungen ausgebrochen war! Die Lumpen der Bürger, sagt
es bezeichnend, sind in ein reinliches, stattliches Gewandt verwandelt, die Hütten
heben zu schöneren Wohnungen allmählig sich empor, verschwunden sind die
Sümpfe, deren Aufbaues die Stadt vergiftete und Reinlichkeit erheitert jeden
Blick! Ein gläubiger Forscher beruhigt sich bei diesem Zeugniß; wir finden
noch viele quellenmäßige Schwächen, die die klassische Stadt leider noch immer
aufzuweisen hatte. Fegte man ja damals nur öffentliche Plätze, wo es die
höchste Nothdurft erforderte, und mit dem gepriesenen Aussehen der Residenz
hatte es doch 1814 noch eine eigne Bewandtniß, weil selbst die Polizei das
Sommern der Betten auf dem Carlsplatz und an der Esplanade gestattete,
während sie es unter keiner Bedingung auf dem Töpfermarkte leiden wollte.
Weimar halte im Anfang des Jahrhunderts noch ein an Dürftigkeit gren¬
zendes Aussehen; kleine meist zweistöckige, schmale Häuser zeugten für den ge¬
ringen Wohlstand. Wie oft sucht man im öffentlichen Wochenblatte ein Logis
von 2--3 Stuben', womöglich in ein und demselben Stock, des Innern der
Häuser gar nicht zu gedenken, auf das wir nothwendig zurückkommen müssen.


Bieres, indem er dem einzelnen Gebräude einen Eimer Wasser mehr zu¬
gießen ließ.

Aber wie bemerkt, vorwärts ging es doch, auch im A euß ern der Stadt.
Das neue Theater wurde durch den Hofjäger Hauptmann an seiner uns be¬
kannten Stelle erbaut. Weniger gelang es bei dem obstinaten Bürgerthume,
die Ziegelhütte aus der Stadt zu verlegen. Mit dem Material des alten
Grimmenstein in der Gerbergasse, später mit dem des niedergerissener Trödel-
thors vergrößerte der Culturträger Bertuch sein Jndustriecomvtoir,, dann setzte
der Wiederaufbau des Schlosses 1789 ein, während das Theater schon nach
einigen Jahren verfiel. Wenigstens berichtet Carl August 1789 an seine in
Italien lebende Mutter: Neulich kroch einer meiner Spitze während der Co-
mödie unter die Dielen des ?!utLrr<z »odlu und fing dort einen solchen Lärm
an, daß die Comödianten genöthigt waren, aufzuhören, bis man einige Vreter
aushob und den Hund herauslangte.

Weitere Verschönerungen erfuhr der Carlsplatz, an dem sich allmählig
die lange Häuserreihe entfaltete, da ein Blitzstrahl die dort stehenden 42
Scheuern entfernte. Dem Ausbau des Stadthauses, dem erst im Beginn des
Jahrhunderts ein öffentlicher Concert- und Ballsaal gegeben wurde, dessen
Weimar bisher entbehrte, folgte die Erbauung des Schießhauses, das freilich
bei mangelnden Voranschlägen gerade vier Mal so viel kostete, als man sich
annäherungsweise eingebildet hatte. Die Nordseite des Stadtgrabens wurde
mit Häusern besetzt, das Schloß nahte seiner jetzigen Bollendung; aus der
Esplanade verschwand das Malzhaus, und — wer mag alle die Verschöner¬
ungen zählen, über die das Weimarische Wochenblatt schon 1801 in die gro߬
artigsten Lobeserhebungen ausgebrochen war! Die Lumpen der Bürger, sagt
es bezeichnend, sind in ein reinliches, stattliches Gewandt verwandelt, die Hütten
heben zu schöneren Wohnungen allmählig sich empor, verschwunden sind die
Sümpfe, deren Aufbaues die Stadt vergiftete und Reinlichkeit erheitert jeden
Blick! Ein gläubiger Forscher beruhigt sich bei diesem Zeugniß; wir finden
noch viele quellenmäßige Schwächen, die die klassische Stadt leider noch immer
aufzuweisen hatte. Fegte man ja damals nur öffentliche Plätze, wo es die
höchste Nothdurft erforderte, und mit dem gepriesenen Aussehen der Residenz
hatte es doch 1814 noch eine eigne Bewandtniß, weil selbst die Polizei das
Sommern der Betten auf dem Carlsplatz und an der Esplanade gestattete,
während sie es unter keiner Bedingung auf dem Töpfermarkte leiden wollte.
Weimar halte im Anfang des Jahrhunderts noch ein an Dürftigkeit gren¬
zendes Aussehen; kleine meist zweistöckige, schmale Häuser zeugten für den ge¬
ringen Wohlstand. Wie oft sucht man im öffentlichen Wochenblatte ein Logis
von 2—3 Stuben', womöglich in ein und demselben Stock, des Innern der
Häuser gar nicht zu gedenken, auf das wir nothwendig zurückkommen müssen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/12>, abgerufen am 25.08.2024.