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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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kommenden Tag als Vertreter der deutschen Nation in der großen Freiheits-
baumsprocession mit einherziehen zu müssen, und kurz vor dem Examen der
Norddeutschen eine unerwünschte Popularität zu erlangen -- das empfehlen wir
unsern Lesern im Urtext nachzuholen. Nun auf der Heimreise in Rastatt gar
die beglückende Kunde, in Karlsruhe sei Revolution ausgebrochen. Also nach
Karlsruhe! -- wo der übliche tiefe Landfriede sie zu Bambergers großem Ver¬
druß empfängt, und selbst eine am folgenden Tage anberaumte Volksver¬
sammlung mit thatsächlichen Beweisen rührendster Loyalität auseinandergeht,
obwohl der Kellner des Hotels Bamberger treuherzig versichert hatte, daß
"viel fremdes Volk in der Stadt sei, Handwerksburschen aus der Schweiz,
gefährliche Menschen, die keinen ganzen Schuh am Fuß haben; einige sollen
sich sogar mit Barrikaden versehen haben." Derselbe unzuverlässige Zeitge¬
nosse wußte freilich auch zu erzählen, in Straßburg seien sämmtliche Läden
ausgeplündert worden und schwimme Alles im Blute. Bei der Rückkehr nach
Heidelberg zeigt sich der revolutionäre Ansteckungsstoff in der gerüchtweise er¬
zählten Absicht, am folgenden Abend alle Juden und namentlich die Kleider-
Händler todt zu schlagen, weil sie unberechtigter Weise den Schneidern das
Brod vor dem Munde wegstahlen. Bamberger bewaffnet sich demgemäß zum
Schutze der bedrohten Trödler mit einer erborgten Pistole, Pulver und Blei
-- und wird nun sofort vor den Amtmann citirt und angewiesen, Heidelberg
mit dem nächsten Zuge nordwärts zu verlassen. Alles Protestiren, aller Un¬
wille über die verkehrte Auffassung seiner Volksbewaffnung ist vergeblich, und
er .beschließt feierlich, "daß dies Geschlecht diesseits und jenseits der Revo¬
lution verloren sei." Als er heimkam, sahen ihn die Seinen befremdlich an;
ein Brief aus Frankfurt hatte ihnen zwei Stunden zuvor gemeldet, er stehe
in Baden an der Spitze derer, die da "theilen" wollten.

Wir haben länger bei dieser Schilderung verweilt, weil der Mann und
die Zeit aus solchen "Augenblicksbildern" am besten erkannt wird. Nach
seiner Rückkehr nach Mainz suchte Bamberger übrigens durch nichts das un¬
günstige Vorurtheil, welches der Frankfurter Brief über seine politischen An¬
sichten verbreitet hatte, zu zerstören. Im Gegentheil, er ward ein Habitue
der stürmischen Volksversammlungen im "Wolfseck", wo die deutsche Repu¬
blik nach dem Muster der französischen von 1792 längst als das einzig er¬
strebenswerte Ziel jedes anständigen Deutschen anerkannt war, und wo er
seine Jungferrede hielt, ein rhetorisches Verdammungsurtheil gegen Robert
Blum und Franz Raveaux und deren "viel zu gemäßigte" Haltung. Zum
Vorparlament ging Bamberger nach Frankfurt. In gewissem Sinne hatte er
von seinem Standpunkte aus damals das richtige Vorgefühl, daß der deut¬
schen Revolution die Thaten fehlen würden. Und mit ganz richtigem Blick
"gab er die Bewegung innerlich auf", als nach dem 18. März von Berlin


kommenden Tag als Vertreter der deutschen Nation in der großen Freiheits-
baumsprocession mit einherziehen zu müssen, und kurz vor dem Examen der
Norddeutschen eine unerwünschte Popularität zu erlangen — das empfehlen wir
unsern Lesern im Urtext nachzuholen. Nun auf der Heimreise in Rastatt gar
die beglückende Kunde, in Karlsruhe sei Revolution ausgebrochen. Also nach
Karlsruhe! — wo der übliche tiefe Landfriede sie zu Bambergers großem Ver¬
druß empfängt, und selbst eine am folgenden Tage anberaumte Volksver¬
sammlung mit thatsächlichen Beweisen rührendster Loyalität auseinandergeht,
obwohl der Kellner des Hotels Bamberger treuherzig versichert hatte, daß
„viel fremdes Volk in der Stadt sei, Handwerksburschen aus der Schweiz,
gefährliche Menschen, die keinen ganzen Schuh am Fuß haben; einige sollen
sich sogar mit Barrikaden versehen haben." Derselbe unzuverlässige Zeitge¬
nosse wußte freilich auch zu erzählen, in Straßburg seien sämmtliche Läden
ausgeplündert worden und schwimme Alles im Blute. Bei der Rückkehr nach
Heidelberg zeigt sich der revolutionäre Ansteckungsstoff in der gerüchtweise er¬
zählten Absicht, am folgenden Abend alle Juden und namentlich die Kleider-
Händler todt zu schlagen, weil sie unberechtigter Weise den Schneidern das
Brod vor dem Munde wegstahlen. Bamberger bewaffnet sich demgemäß zum
Schutze der bedrohten Trödler mit einer erborgten Pistole, Pulver und Blei
— und wird nun sofort vor den Amtmann citirt und angewiesen, Heidelberg
mit dem nächsten Zuge nordwärts zu verlassen. Alles Protestiren, aller Un¬
wille über die verkehrte Auffassung seiner Volksbewaffnung ist vergeblich, und
er .beschließt feierlich, „daß dies Geschlecht diesseits und jenseits der Revo¬
lution verloren sei." Als er heimkam, sahen ihn die Seinen befremdlich an;
ein Brief aus Frankfurt hatte ihnen zwei Stunden zuvor gemeldet, er stehe
in Baden an der Spitze derer, die da „theilen" wollten.

Wir haben länger bei dieser Schilderung verweilt, weil der Mann und
die Zeit aus solchen „Augenblicksbildern" am besten erkannt wird. Nach
seiner Rückkehr nach Mainz suchte Bamberger übrigens durch nichts das un¬
günstige Vorurtheil, welches der Frankfurter Brief über seine politischen An¬
sichten verbreitet hatte, zu zerstören. Im Gegentheil, er ward ein Habitue
der stürmischen Volksversammlungen im „Wolfseck", wo die deutsche Repu¬
blik nach dem Muster der französischen von 1792 längst als das einzig er¬
strebenswerte Ziel jedes anständigen Deutschen anerkannt war, und wo er
seine Jungferrede hielt, ein rhetorisches Verdammungsurtheil gegen Robert
Blum und Franz Raveaux und deren „viel zu gemäßigte" Haltung. Zum
Vorparlament ging Bamberger nach Frankfurt. In gewissem Sinne hatte er
von seinem Standpunkte aus damals das richtige Vorgefühl, daß der deut¬
schen Revolution die Thaten fehlen würden. Und mit ganz richtigem Blick
„gab er die Bewegung innerlich auf", als nach dem 18. März von Berlin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/98>, abgerufen am 22.07.2024.