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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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gewesen. Der Abstand gar zwischen unserem Ideenkreise und dem festge¬
wurzelten Regiment der kleinen deutschen Potentaten schien so unmeßbar, daß
wir noch viel weniger daran dachten, diese Kluft zu Hause zu überspringen."
Die erste That Bambergers nach der großen Kunde bestand darin, daß er
auf die Straße hinunterstürzte. "Sie war still und einsam. Neun Uhr war
vorüber, und die Katzen glitten zu einem Rinnsteinloch heraus und zum an¬
dern hinein, als wenn Ludwig Philipp noch in den Tuilerien säße." Ihn
erfaßte eine unbändige Lust, Jemanden zu umarmen. Aber wen? Die
Freunde waren nicht aufzutreiben. Er eilt auf das "Museum." Hier er¬
bittertster politischer Wortwechsel mit dem alten Professor Z. (Zöpfl?) über
die Februarrevolution, Franzosen, Louis Philipp, George Sand, Lord Byron
und noch vieles Andere, welchen Disput Bamberger bei steigender Ereiferung
in heiserem Discant und fackelfeuerroth im Gesicht führt, bis Z. "erschreckt
von meinem Wortschwall, und beflissen mich zu verachten, einen breiträndrigen
Hut vom Haken nimmt und kopfschüttelnd zur Thür hinausschreitet; und zwei
Corpsburschen von den Westphalen, während sie Billard spielten, mit ver¬
wunderten Blicken durch ihre Brillen quer auf mich herüberschauten, mit
Blicken, die fragten, was der Mensch denn noch an Freiheit begehren könne,
seitdem es erlaubt sei, grün-weiß-schwarze Bänder auf offener Straße über
die Brust zu tragen?" Endlich "blieb ihm niederträchtiger Weise nichts
übrig, als sich ins Bett zu legen, wie an andern Nächten. Der eine der
Freunde lag schon im Bett, der andere excerpirte Schnauberts Erläuterungen
des Lehnrechts bei einer klimperkleinen Studirlampe." Da platzt Bamberger
unter sie hinein mit den Worten: "Kinder, wir müssen die Republik umarmen,
wir müssen nach Paris, Ihr müßt mit!" Das war nun allerdings schon
aus schnöden finanziellen Rücksichten eine Unmöglichkeit. Aber der Vermitt¬
lungsvorschlag Bambergers, nach Straßburg zu reisen, wird von den arglosen
norddeutschen Freunden, die wenig vertraut waren mit der Sprache, Geschichte
und Gegenwart Frankreichs, als das geringere Uebel angenommen, und ver¬
mittelst einer Anleihe bei einem väterlichen Geschäftsfreunde Bambergers auch
ausgeführt. Wie nun das Kleeblatt in dem Quartier Ladin von Straßburg,
im Cafe' Suisse mit Hülfe der allezeit bereiten französischen Phantasie als
"Deputation der Universität Heidelberg, ja der deutschen Hochschulen insge¬
sammt, betrachtet wird; welche abgesandt worden, um die Studenten der Uni¬
versität Straßburg zur Herstellung der Republik zu beglückwünschen", und an
dem nämlichen Abend noch von dem Officiercorps der Nationalgarde
empfangen und gefeiert wird, welch rothe Reden Bamberger redet, und welches
trübselige Gesicht die beklagenswerthen Pommern bei alledem zur Schau
tragen; wie die Drei endlich bei Nacht und Nebel entrinnen, um nicht den


Grenzboten II. 1872. 12

gewesen. Der Abstand gar zwischen unserem Ideenkreise und dem festge¬
wurzelten Regiment der kleinen deutschen Potentaten schien so unmeßbar, daß
wir noch viel weniger daran dachten, diese Kluft zu Hause zu überspringen."
Die erste That Bambergers nach der großen Kunde bestand darin, daß er
auf die Straße hinunterstürzte. „Sie war still und einsam. Neun Uhr war
vorüber, und die Katzen glitten zu einem Rinnsteinloch heraus und zum an¬
dern hinein, als wenn Ludwig Philipp noch in den Tuilerien säße." Ihn
erfaßte eine unbändige Lust, Jemanden zu umarmen. Aber wen? Die
Freunde waren nicht aufzutreiben. Er eilt auf das „Museum." Hier er¬
bittertster politischer Wortwechsel mit dem alten Professor Z. (Zöpfl?) über
die Februarrevolution, Franzosen, Louis Philipp, George Sand, Lord Byron
und noch vieles Andere, welchen Disput Bamberger bei steigender Ereiferung
in heiserem Discant und fackelfeuerroth im Gesicht führt, bis Z. „erschreckt
von meinem Wortschwall, und beflissen mich zu verachten, einen breiträndrigen
Hut vom Haken nimmt und kopfschüttelnd zur Thür hinausschreitet; und zwei
Corpsburschen von den Westphalen, während sie Billard spielten, mit ver¬
wunderten Blicken durch ihre Brillen quer auf mich herüberschauten, mit
Blicken, die fragten, was der Mensch denn noch an Freiheit begehren könne,
seitdem es erlaubt sei, grün-weiß-schwarze Bänder auf offener Straße über
die Brust zu tragen?" Endlich „blieb ihm niederträchtiger Weise nichts
übrig, als sich ins Bett zu legen, wie an andern Nächten. Der eine der
Freunde lag schon im Bett, der andere excerpirte Schnauberts Erläuterungen
des Lehnrechts bei einer klimperkleinen Studirlampe." Da platzt Bamberger
unter sie hinein mit den Worten: „Kinder, wir müssen die Republik umarmen,
wir müssen nach Paris, Ihr müßt mit!" Das war nun allerdings schon
aus schnöden finanziellen Rücksichten eine Unmöglichkeit. Aber der Vermitt¬
lungsvorschlag Bambergers, nach Straßburg zu reisen, wird von den arglosen
norddeutschen Freunden, die wenig vertraut waren mit der Sprache, Geschichte
und Gegenwart Frankreichs, als das geringere Uebel angenommen, und ver¬
mittelst einer Anleihe bei einem väterlichen Geschäftsfreunde Bambergers auch
ausgeführt. Wie nun das Kleeblatt in dem Quartier Ladin von Straßburg,
im Cafe' Suisse mit Hülfe der allezeit bereiten französischen Phantasie als
„Deputation der Universität Heidelberg, ja der deutschen Hochschulen insge¬
sammt, betrachtet wird; welche abgesandt worden, um die Studenten der Uni¬
versität Straßburg zur Herstellung der Republik zu beglückwünschen", und an
dem nämlichen Abend noch von dem Officiercorps der Nationalgarde
empfangen und gefeiert wird, welch rothe Reden Bamberger redet, und welches
trübselige Gesicht die beklagenswerthen Pommern bei alledem zur Schau
tragen; wie die Drei endlich bei Nacht und Nebel entrinnen, um nicht den


Grenzboten II. 1872. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/97>, abgerufen am 22.12.2024.