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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete"
Ludwig Bau berger.

Jetzt vor zehn Jahren gab Ludwig Simon, der bekannte feurige Redner
der Paulskirche "im Selbstverlage des Verfassers zu Frankfurt a, M. -- während er
in Paris im Exil lebte --eine Broschüre heraus unter dem Titel "Meine Desertion,
ein Zeitbild im Rahmen des preußischen Gottesgnadenthums." Veranlaßt ist
diese Flugschrift durch die Ludwig Simon auf das schmerzlichste erregende
Thatsache, daß die Krönungsamnestie von 1861 ihm nicht zu gute kam, weil
er nicht wegen politischer Vergehen, sondern wegen Desertion 1860 in contumaciam
zum Tode verurtheilt worden war. Die Kernsätze dieser Flugschrift, diejenigen,
in welchen der Mann, dessen Haar die Verbannung gebleicht hatte, die höchste
Weisheit seiner Jahre auszusprechen vermeinte, sind die folgenden: "Und
abermals wendet der deutsche Patriotismus sich an die Hohenzollern, welche
schon einmal bewiesen haben, daß sie die vertrockneten Pergamente eigner und
fremder Legitimität höher schätzen, als den fruchtbaren Lebensdrang der Nation;
welche schon einmal das deutsche Volk im entscheidenden Augenblicke zurück¬
wiesen und in seine alte Zersplitterung zurücksinken ließen. Der Werth dieser
Bestrebungen besteht jedoch offenbar mehr darin, daß manches freie und
wahre Wort mit unterläuft, als in einer wirklichen Aussicht auf irgend einen
praktischen Erfolg. Ja! wenn Ihr irgendwo einen Altar ausfindig machen
könntet, von dem man die deutsche Kaiserkrone mühelos hinwegnehmen könnte
-- ja! das wäre etwas Anderes. Denn wohl darf man festlich begehen, was
Andere in grauer Vorzeit mit etwas mehr oder weniger Rechtsanstand tapfer
erworben und ihren Enkeln hinterlassen haben; aber selbst erwerben darf man
nichts und stünde auch der Zeiger des urewigen Entwickelungsrechts der ge¬
schichtlichen und politischen Nothwendigkeit mitten auf Mittag! Was vor
Jahrhunderten geschehen, ist heilig; aber heute darf nichts mehr geschehen, es
sei denn in dem unglücklichen Italien oder Frankreich, wo die Lorbeern noch
grünen und wachsen, während wir auf den abgeschnittenen Zweigen vergange¬
ner Jahrhunderte ruhen, in denen der Saft längst seine gottlose Triebkraft
verloren hat." Und dann, einige Seiten später, sagt Simon: "Könnt Ihr
Eure Reform von Oben durchsetzen, gut! so find wir damit entwaffnet."


G>e"zb0ten it, 1872. H
Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete»
Ludwig Bau berger.

Jetzt vor zehn Jahren gab Ludwig Simon, der bekannte feurige Redner
der Paulskirche „im Selbstverlage des Verfassers zu Frankfurt a, M. — während er
in Paris im Exil lebte —eine Broschüre heraus unter dem Titel „Meine Desertion,
ein Zeitbild im Rahmen des preußischen Gottesgnadenthums." Veranlaßt ist
diese Flugschrift durch die Ludwig Simon auf das schmerzlichste erregende
Thatsache, daß die Krönungsamnestie von 1861 ihm nicht zu gute kam, weil
er nicht wegen politischer Vergehen, sondern wegen Desertion 1860 in contumaciam
zum Tode verurtheilt worden war. Die Kernsätze dieser Flugschrift, diejenigen,
in welchen der Mann, dessen Haar die Verbannung gebleicht hatte, die höchste
Weisheit seiner Jahre auszusprechen vermeinte, sind die folgenden: „Und
abermals wendet der deutsche Patriotismus sich an die Hohenzollern, welche
schon einmal bewiesen haben, daß sie die vertrockneten Pergamente eigner und
fremder Legitimität höher schätzen, als den fruchtbaren Lebensdrang der Nation;
welche schon einmal das deutsche Volk im entscheidenden Augenblicke zurück¬
wiesen und in seine alte Zersplitterung zurücksinken ließen. Der Werth dieser
Bestrebungen besteht jedoch offenbar mehr darin, daß manches freie und
wahre Wort mit unterläuft, als in einer wirklichen Aussicht auf irgend einen
praktischen Erfolg. Ja! wenn Ihr irgendwo einen Altar ausfindig machen
könntet, von dem man die deutsche Kaiserkrone mühelos hinwegnehmen könnte
— ja! das wäre etwas Anderes. Denn wohl darf man festlich begehen, was
Andere in grauer Vorzeit mit etwas mehr oder weniger Rechtsanstand tapfer
erworben und ihren Enkeln hinterlassen haben; aber selbst erwerben darf man
nichts und stünde auch der Zeiger des urewigen Entwickelungsrechts der ge¬
schichtlichen und politischen Nothwendigkeit mitten auf Mittag! Was vor
Jahrhunderten geschehen, ist heilig; aber heute darf nichts mehr geschehen, es
sei denn in dem unglücklichen Italien oder Frankreich, wo die Lorbeern noch
grünen und wachsen, während wir auf den abgeschnittenen Zweigen vergange¬
ner Jahrhunderte ruhen, in denen der Saft längst seine gottlose Triebkraft
verloren hat." Und dann, einige Seiten später, sagt Simon: „Könnt Ihr
Eure Reform von Oben durchsetzen, gut! so find wir damit entwaffnet."


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[0089] Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete» Ludwig Bau berger. Jetzt vor zehn Jahren gab Ludwig Simon, der bekannte feurige Redner der Paulskirche „im Selbstverlage des Verfassers zu Frankfurt a, M. — während er in Paris im Exil lebte —eine Broschüre heraus unter dem Titel „Meine Desertion, ein Zeitbild im Rahmen des preußischen Gottesgnadenthums." Veranlaßt ist diese Flugschrift durch die Ludwig Simon auf das schmerzlichste erregende Thatsache, daß die Krönungsamnestie von 1861 ihm nicht zu gute kam, weil er nicht wegen politischer Vergehen, sondern wegen Desertion 1860 in contumaciam zum Tode verurtheilt worden war. Die Kernsätze dieser Flugschrift, diejenigen, in welchen der Mann, dessen Haar die Verbannung gebleicht hatte, die höchste Weisheit seiner Jahre auszusprechen vermeinte, sind die folgenden: „Und abermals wendet der deutsche Patriotismus sich an die Hohenzollern, welche schon einmal bewiesen haben, daß sie die vertrockneten Pergamente eigner und fremder Legitimität höher schätzen, als den fruchtbaren Lebensdrang der Nation; welche schon einmal das deutsche Volk im entscheidenden Augenblicke zurück¬ wiesen und in seine alte Zersplitterung zurücksinken ließen. Der Werth dieser Bestrebungen besteht jedoch offenbar mehr darin, daß manches freie und wahre Wort mit unterläuft, als in einer wirklichen Aussicht auf irgend einen praktischen Erfolg. Ja! wenn Ihr irgendwo einen Altar ausfindig machen könntet, von dem man die deutsche Kaiserkrone mühelos hinwegnehmen könnte — ja! das wäre etwas Anderes. Denn wohl darf man festlich begehen, was Andere in grauer Vorzeit mit etwas mehr oder weniger Rechtsanstand tapfer erworben und ihren Enkeln hinterlassen haben; aber selbst erwerben darf man nichts und stünde auch der Zeiger des urewigen Entwickelungsrechts der ge¬ schichtlichen und politischen Nothwendigkeit mitten auf Mittag! Was vor Jahrhunderten geschehen, ist heilig; aber heute darf nichts mehr geschehen, es sei denn in dem unglücklichen Italien oder Frankreich, wo die Lorbeern noch grünen und wachsen, während wir auf den abgeschnittenen Zweigen vergange¬ ner Jahrhunderte ruhen, in denen der Saft längst seine gottlose Triebkraft verloren hat." Und dann, einige Seiten später, sagt Simon: „Könnt Ihr Eure Reform von Oben durchsetzen, gut! so find wir damit entwaffnet." G>e»zb0ten it, 1872. H

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/89>, abgerufen am 22.12.2024.