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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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wies, und hier, wo es sich um die Heranbildung tüchtiger Vaterlandsverthei-
diger handelte, wurde zunächst das Bedürfniß fühlbarer, auf geeignete Mittel
zur Abhülfe dieses Uebelstandes zu denken. Allein der Gegenstand, um den
es sich handelte, entzog sich völlig der Befugnis; und Wirksamkeit des Bundes.
Denn die Volksschule ist Sache der cantonalen Hoheit und das Uebel liegt
gerade in der mangelnden Strenge einzelner Cantonsregierungen. Auch hier
bot nun die Berathung einer Reform des schweizerischen Grundgesetzes Gele¬
genheit, diesen Punkt ins Auge zu fassen.

Einen ganz besonderen Antrieb empfingen aber diese Bestrebungen durch
die jüngsten Borgänge auf kirchlichem Gebiete. Es war die Besorgnis;, daß
der Jesuitismus sich der katholischen Volksschule zu bemächtigen suchen werde,
nachdem ihm an anderen Orten der Weg verlegt worden, welche setzt ganz
besonders" ins Gewicht siel. Jedoch die Mittel und Wege wie diesem schlei¬
chenden Uebel mit Erfolg zu begegnen, erschienen bei näherem Zusehen nicht
so leicht zu finden, als man es sich im ersten wohlgemeinten Anlaufe vorge¬
stellt hatte. Das zunächst sich aufdrängende Mittel wäre die Einführung
des confessionslosen Primarunterrichtes gewesen und dies wurde auch in der
That von einer Seite in Vorschlag gebracht. Hier stellte sich jedoch als un-
übersteigliches Hinderniß formell die Souveränität der Cantone entgegen,
materiell die Unmöglichkeit für manche Cantone, sich der Mitwirkung nicht
nur der geistlichen Orden, sondern selbst der Geistlichen überhaupt auf
diesem Gebiete zu entschlagen. Man nahm daher etwas rückwärts hinter
dieser Linie Stellung, und verlangte wenigstens den Ausschluß der Ordensleute
von der Volksschule, daneben aber obligatorischen und unentgeltlichen Unter¬
richt und daß die Bundesgcsetzgebung ermächtigt sei, ein Minimum von Lei¬
stungen aufzustellen. Aber auch diese Forderungen stießen auf erhebliche Hin¬
dernisse. Nur das Obligatorium hätte man ganz gut hinnehmen können, da
es thatsächlich bereits überall bestand, gesetzlich merkwürdiger Weise nur in
Genf noch nicht eingeführt ist. Die Unentgeltlichkeit hingegen riß in manchen
Cantonen, großen und kleinen, reichen und armen, große Lücken in die Bud¬
gets des Staates wie- der Gemeinden, welche man mit nichts auszufüllen
wußte oder vielmehr wagte. Auch konnte gegenüber de.in Vorhalte, es sei
Pflicht des Staates, auch dem Aermsten die Wohlthat des Primarunterrichtes
angedeihen zu lassen, geltend gemacht werden, daß überall den Armen das
Schulgeld erlassen werde, während es in Beziehung auf die übrigen eine auch
unter den besten Autoritäten noch bestrittene Frage sei, ob nicht ein kleines
Schulgeld den Eifer für die Erziehung der Kinder eher erhöhe, als mindere.
Die hochverdiente schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft, welche sich seit
Jahren schon mit dieser Frage einläßlich beschäftigte, war noch bei ihrer
letzten Wanderversammlung zu Schaffhausen hierüber nicht schlüssig geworden.


wies, und hier, wo es sich um die Heranbildung tüchtiger Vaterlandsverthei-
diger handelte, wurde zunächst das Bedürfniß fühlbarer, auf geeignete Mittel
zur Abhülfe dieses Uebelstandes zu denken. Allein der Gegenstand, um den
es sich handelte, entzog sich völlig der Befugnis; und Wirksamkeit des Bundes.
Denn die Volksschule ist Sache der cantonalen Hoheit und das Uebel liegt
gerade in der mangelnden Strenge einzelner Cantonsregierungen. Auch hier
bot nun die Berathung einer Reform des schweizerischen Grundgesetzes Gele¬
genheit, diesen Punkt ins Auge zu fassen.

Einen ganz besonderen Antrieb empfingen aber diese Bestrebungen durch
die jüngsten Borgänge auf kirchlichem Gebiete. Es war die Besorgnis;, daß
der Jesuitismus sich der katholischen Volksschule zu bemächtigen suchen werde,
nachdem ihm an anderen Orten der Weg verlegt worden, welche setzt ganz
besonders" ins Gewicht siel. Jedoch die Mittel und Wege wie diesem schlei¬
chenden Uebel mit Erfolg zu begegnen, erschienen bei näherem Zusehen nicht
so leicht zu finden, als man es sich im ersten wohlgemeinten Anlaufe vorge¬
stellt hatte. Das zunächst sich aufdrängende Mittel wäre die Einführung
des confessionslosen Primarunterrichtes gewesen und dies wurde auch in der
That von einer Seite in Vorschlag gebracht. Hier stellte sich jedoch als un-
übersteigliches Hinderniß formell die Souveränität der Cantone entgegen,
materiell die Unmöglichkeit für manche Cantone, sich der Mitwirkung nicht
nur der geistlichen Orden, sondern selbst der Geistlichen überhaupt auf
diesem Gebiete zu entschlagen. Man nahm daher etwas rückwärts hinter
dieser Linie Stellung, und verlangte wenigstens den Ausschluß der Ordensleute
von der Volksschule, daneben aber obligatorischen und unentgeltlichen Unter¬
richt und daß die Bundesgcsetzgebung ermächtigt sei, ein Minimum von Lei¬
stungen aufzustellen. Aber auch diese Forderungen stießen auf erhebliche Hin¬
dernisse. Nur das Obligatorium hätte man ganz gut hinnehmen können, da
es thatsächlich bereits überall bestand, gesetzlich merkwürdiger Weise nur in
Genf noch nicht eingeführt ist. Die Unentgeltlichkeit hingegen riß in manchen
Cantonen, großen und kleinen, reichen und armen, große Lücken in die Bud¬
gets des Staates wie- der Gemeinden, welche man mit nichts auszufüllen
wußte oder vielmehr wagte. Auch konnte gegenüber de.in Vorhalte, es sei
Pflicht des Staates, auch dem Aermsten die Wohlthat des Primarunterrichtes
angedeihen zu lassen, geltend gemacht werden, daß überall den Armen das
Schulgeld erlassen werde, während es in Beziehung auf die übrigen eine auch
unter den besten Autoritäten noch bestrittene Frage sei, ob nicht ein kleines
Schulgeld den Eifer für die Erziehung der Kinder eher erhöhe, als mindere.
Die hochverdiente schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft, welche sich seit
Jahren schon mit dieser Frage einläßlich beschäftigte, war noch bei ihrer
letzten Wanderversammlung zu Schaffhausen hierüber nicht schlüssig geworden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/75>, abgerufen am 22.12.2024.