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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Wichte, Maße, Münzen und Sprache, 9) Nothwendigkeit, den russischen Ein¬
fluß in Europa durch Anwendung des Prinzips zu vernichten, daß die Völker
das Recht haben, über sich selbst zu bestimmen, und Wiederherstellung Polens
auf socialdemokratischen Grundlagen, 10) die stehenden Heere in ihrem Ver¬
hältniß zur Production, 11) die religiösen Ideen, ihr Einfluß auf die sociale,
politische und intellectuelle Bewegung, 12) Errichtung einer Gesellschaft zu ge¬
genseitiger Unterstützung, Gewährung moralischen und materiellen Beistandes
für die Waisen der Genossenschaft. ,

Es wird sich Mancherlei gegen dieses Programm und noch mehr gegen
die Beantwortung mehrerer der von ihm gestellten Fragen von Seiten des
Congresses sagen lassen. Indeß muß man doch bemerken, daß die Frage vom
Eigenthum, welche auf den späteren Congressen so viel Zeit wegnehmen und
so, tolle Lösungsversuche hervorrufen sollte, in Genf wenigstens nicht auf
directe Weise Ausgeworfen wurde.

Sodann ließ der Congreß hinsichtlich der Frage der religiösen Ideen und
ihres Einflusses auf die sociale, politische und industrielle Bewegung in den
Bericht über seine Verhandlungen verschiedene wenig erbauliche Meinungen
aufnehmen, welche ein Theil seiner Mitglieder über diesen Gegenstand ge¬
äußert hatte, aber er weigerte sich wenigstens, sich förmlich gegen die Religion
auszusprechen.

Endlich hatte man in Genf die Klugheit, nicht- auf die Absichten der
Hitzköpfe einzugehen, die zu Declamationen gegen den russischen Despotismus
und für die Wiederherstellung Polens nach den Grundsätzen der Socialdemo¬
kraten aufforderten.

Der französische Geist, ein großer Freund von Generalisirungen, Syn¬
thesen und Systemen einer allgemeinen und radicalen Reform, gewann auf
dem Congresse einen Sieg über den praktischeren Geist der Engländer, die immer
für bescheidenere, aber erreichbare Ziele sind. Man tadelte die Trade-Unions,
daß sie sich zu ausschließlich mit naheliegenden Kämpfen beschäftigten, und
man verpflichtete sie, "gegen das kapitalistische System selbst aufzutreten und
das große Ziel der Emancipation der arbeitenden Classe ins Auge zu fassen."
Das war selbst von dem Standpunkt betrachtet, auf den sich die Mitglieder
des Congresses stellten, weder gut noch geschickt. Aber der gesunde Menschen-.
verstand rächte sich theilweise bei der Verhandlung über die Cooperativ-Gesell-
schaften, wo einige der bedeutendsten Mitglieder der Versammlung energisch
die vorgebrachte Idee bekämpften, die kooperative Bewegung zu leiten, um
ihr eine einheitliche Gestalt zu geben.

Im Uebrigen ging es auf dem ersten Congreß schon recht hart und


Wichte, Maße, Münzen und Sprache, 9) Nothwendigkeit, den russischen Ein¬
fluß in Europa durch Anwendung des Prinzips zu vernichten, daß die Völker
das Recht haben, über sich selbst zu bestimmen, und Wiederherstellung Polens
auf socialdemokratischen Grundlagen, 10) die stehenden Heere in ihrem Ver¬
hältniß zur Production, 11) die religiösen Ideen, ihr Einfluß auf die sociale,
politische und intellectuelle Bewegung, 12) Errichtung einer Gesellschaft zu ge¬
genseitiger Unterstützung, Gewährung moralischen und materiellen Beistandes
für die Waisen der Genossenschaft. ,

Es wird sich Mancherlei gegen dieses Programm und noch mehr gegen
die Beantwortung mehrerer der von ihm gestellten Fragen von Seiten des
Congresses sagen lassen. Indeß muß man doch bemerken, daß die Frage vom
Eigenthum, welche auf den späteren Congressen so viel Zeit wegnehmen und
so, tolle Lösungsversuche hervorrufen sollte, in Genf wenigstens nicht auf
directe Weise Ausgeworfen wurde.

Sodann ließ der Congreß hinsichtlich der Frage der religiösen Ideen und
ihres Einflusses auf die sociale, politische und industrielle Bewegung in den
Bericht über seine Verhandlungen verschiedene wenig erbauliche Meinungen
aufnehmen, welche ein Theil seiner Mitglieder über diesen Gegenstand ge¬
äußert hatte, aber er weigerte sich wenigstens, sich förmlich gegen die Religion
auszusprechen.

Endlich hatte man in Genf die Klugheit, nicht- auf die Absichten der
Hitzköpfe einzugehen, die zu Declamationen gegen den russischen Despotismus
und für die Wiederherstellung Polens nach den Grundsätzen der Socialdemo¬
kraten aufforderten.

Der französische Geist, ein großer Freund von Generalisirungen, Syn¬
thesen und Systemen einer allgemeinen und radicalen Reform, gewann auf
dem Congresse einen Sieg über den praktischeren Geist der Engländer, die immer
für bescheidenere, aber erreichbare Ziele sind. Man tadelte die Trade-Unions,
daß sie sich zu ausschließlich mit naheliegenden Kämpfen beschäftigten, und
man verpflichtete sie, „gegen das kapitalistische System selbst aufzutreten und
das große Ziel der Emancipation der arbeitenden Classe ins Auge zu fassen."
Das war selbst von dem Standpunkt betrachtet, auf den sich die Mitglieder
des Congresses stellten, weder gut noch geschickt. Aber der gesunde Menschen-.
verstand rächte sich theilweise bei der Verhandlung über die Cooperativ-Gesell-
schaften, wo einige der bedeutendsten Mitglieder der Versammlung energisch
die vorgebrachte Idee bekämpften, die kooperative Bewegung zu leiten, um
ihr eine einheitliche Gestalt zu geben.

Im Uebrigen ging es auf dem ersten Congreß schon recht hart und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/62>, abgerufen am 24.08.2024.