Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.Ansicht ist man nicht mehr liberal", scheuen heutzutage sehr ehrenwerthe Die unparteiische und objective Würdigung, die er als Historiker der Ueber den Styl, über die formelle Seite dieser Aufsätze noch etwas Loben¬ Zu den aufrichtigsten Bewunderern seiner Schreibart gehören auch wir. Ansicht ist man nicht mehr liberal", scheuen heutzutage sehr ehrenwerthe Die unparteiische und objective Würdigung, die er als Historiker der Ueber den Styl, über die formelle Seite dieser Aufsätze noch etwas Loben¬ Zu den aufrichtigsten Bewunderern seiner Schreibart gehören auch wir. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127455"/> <p xml:id="ID_194" prev="#ID_193"> Ansicht ist man nicht mehr liberal", scheuen heutzutage sehr ehrenwerthe<lb/> Menschen wie die Pest: mit diesem „Kainsstempel" der Abtrünnigkeit von den<lb/> „liberalen Ideen" liebt man es nicht gebrandmarkt zu werden. Feige Unter¬<lb/> werfung unter die Meinung des sogenannten gebildeten Publicums, sei sie<lb/> durch ausdrückliche Zustimmung oder durch bloßes Stillschweigen bekundet, ist<lb/> das Glaubensbekenntniß, nach dem Viele ihr Leben einrichten. Solchen ist<lb/> allerdings schon wiederholt durch Treitschke ein Aergerniß bereitet worden:<lb/> solchen wird, so hoffen wir, noch recht oft dieser Aerger und Anstoß sich<lb/> wiederholen.</p><lb/> <p xml:id="ID_195"> Die unparteiische und objective Würdigung, die er als Historiker der<lb/> konservativen Partei in Preußen angedeihen läßt, die unumwundene Anerken¬<lb/> nung dieser seiner eigenen Gegner, die scharfen Worte patriotischer Entrüstung<lb/> wider das Gebahren derjenigen Partei, die wie incus s, non luesnä» die<lb/> „deutsche Fortschrittspartei" sich getauft hat, — alles das und noch manches<lb/> andere, das wir ausheben könnten, sind Punkte, in denen Treitschke der<lb/> öffentlichen Meinung mit sittlichem Ernste sich entgegengeworfen hat, Punkte,<lb/> in denen — wir hegen daran keinen Zweifel — die Geschichtschreibung der<lb/> Zukunft sein Urtheil adoptiren und gutheißen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_196"> Ueber den Styl, über die formelle Seite dieser Aufsätze noch etwas Loben¬<lb/> des zu sagen, wird kaum nöthig sein. Eine ganz wunderbare und mächtige<lb/> Diction ist es, über die Treitschke verfügt: berauschend und unwiderstehlich<lb/> erfaßt er seines Lesers Ohr: einer gewaltigen Rede glaubt man zu lauschen,<lb/> während man seine Sätze aufnimmt. Die Wirkung eines Essays von Treitschke<lb/> ist immer eine ganz sichere.</p><lb/> <p xml:id="ID_197"> Zu den aufrichtigsten Bewunderern seiner Schreibart gehören auch wir.<lb/> Aber wir glauben doch eine Beobachtung, die wir gemacht, nicht unterdrücken<lb/> zu dürfen. Der einzelne Essay übt einen unzweifelhaften Zauber auf uns<lb/> aus. Die ganze Reihe, wie sie nun hintereinander gedruckt ist, wirkt mit<lb/> ihrem ununterbrochen gleichförmigen Redestrome doch etwas eintönig und er¬<lb/> müdend. Es ist wenig Wechsel in diesem Bortrage. Das gehobene Pathos<lb/> des begeisterten Redners läßt selten ruhigeren Schritt zu. Pausen giebt es<lb/> wenige, in denen man zur Besinnung kommen kann. Und dieser ohne grö¬<lb/> ßere Zwischenglieder einherbrausende deklamatorische Ton der Darstellung, so<lb/> gewaltig er anfangs uns gefesselt hat, spannt auf die Dauer unsere Nerven<lb/> ab und stimmt auf die Dauer unsere Empfänglichkeit herunter. Es ließe<lb/> sich wohl denken, daß der Autor, wenn er noch einmal diese oder neue Essays<lb/> zu einem inhaltlich zusammenhängenden Ganzen zusammenstellt, bei einer<lb/> Ueberarbeitung auf diesen Umstand Acht hätte, und durch angebrachte Nuancen<lb/> der Schreibart den neuen Reiz des Wechsels und der Mannigfaltigkeit ihnen<lb/> verliehe.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
Ansicht ist man nicht mehr liberal", scheuen heutzutage sehr ehrenwerthe
Menschen wie die Pest: mit diesem „Kainsstempel" der Abtrünnigkeit von den
„liberalen Ideen" liebt man es nicht gebrandmarkt zu werden. Feige Unter¬
werfung unter die Meinung des sogenannten gebildeten Publicums, sei sie
durch ausdrückliche Zustimmung oder durch bloßes Stillschweigen bekundet, ist
das Glaubensbekenntniß, nach dem Viele ihr Leben einrichten. Solchen ist
allerdings schon wiederholt durch Treitschke ein Aergerniß bereitet worden:
solchen wird, so hoffen wir, noch recht oft dieser Aerger und Anstoß sich
wiederholen.
Die unparteiische und objective Würdigung, die er als Historiker der
konservativen Partei in Preußen angedeihen läßt, die unumwundene Anerken¬
nung dieser seiner eigenen Gegner, die scharfen Worte patriotischer Entrüstung
wider das Gebahren derjenigen Partei, die wie incus s, non luesnä» die
„deutsche Fortschrittspartei" sich getauft hat, — alles das und noch manches
andere, das wir ausheben könnten, sind Punkte, in denen Treitschke der
öffentlichen Meinung mit sittlichem Ernste sich entgegengeworfen hat, Punkte,
in denen — wir hegen daran keinen Zweifel — die Geschichtschreibung der
Zukunft sein Urtheil adoptiren und gutheißen wird.
Ueber den Styl, über die formelle Seite dieser Aufsätze noch etwas Loben¬
des zu sagen, wird kaum nöthig sein. Eine ganz wunderbare und mächtige
Diction ist es, über die Treitschke verfügt: berauschend und unwiderstehlich
erfaßt er seines Lesers Ohr: einer gewaltigen Rede glaubt man zu lauschen,
während man seine Sätze aufnimmt. Die Wirkung eines Essays von Treitschke
ist immer eine ganz sichere.
Zu den aufrichtigsten Bewunderern seiner Schreibart gehören auch wir.
Aber wir glauben doch eine Beobachtung, die wir gemacht, nicht unterdrücken
zu dürfen. Der einzelne Essay übt einen unzweifelhaften Zauber auf uns
aus. Die ganze Reihe, wie sie nun hintereinander gedruckt ist, wirkt mit
ihrem ununterbrochen gleichförmigen Redestrome doch etwas eintönig und er¬
müdend. Es ist wenig Wechsel in diesem Bortrage. Das gehobene Pathos
des begeisterten Redners läßt selten ruhigeren Schritt zu. Pausen giebt es
wenige, in denen man zur Besinnung kommen kann. Und dieser ohne grö¬
ßere Zwischenglieder einherbrausende deklamatorische Ton der Darstellung, so
gewaltig er anfangs uns gefesselt hat, spannt auf die Dauer unsere Nerven
ab und stimmt auf die Dauer unsere Empfänglichkeit herunter. Es ließe
sich wohl denken, daß der Autor, wenn er noch einmal diese oder neue Essays
zu einem inhaltlich zusammenhängenden Ganzen zusammenstellt, bei einer
Ueberarbeitung auf diesen Umstand Acht hätte, und durch angebrachte Nuancen
der Schreibart den neuen Reiz des Wechsels und der Mannigfaltigkeit ihnen
verliehe.
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