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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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desstaates löste er unerbittlich in Dunst und Nebel auf. Dagegen pflanzte er
die Tendenz des Einheitsstaates als die historisch begründete und von der
Zukunft zu erhoffende Richtung unserer nationalen Entwickelung zum Banner
unserer nationalen Partei. Und in dem engsten Anschluß aller Patrioten an
Preußen, selbst an das Preußen unter Herrn von Bismarck, in der anzustre¬
benden Vergrößerung Preußens sah er den Weg zum deutschen Staate
vor uns.

Die Wirkung war eine mächtige. Die historischen Pedanten und Klein¬
krämer ärgerten sich weidlich über die Kühnheit des Gesammtblickes und die
Keckheit der Sprache: manche zünftigen Meister auf historischen Lehrstühlen
schüttelten bedenklich ihre bezopften Häupter. Der liberale Musterphilister im
Norden und mehr noch der im Süden unseres Vaterlandes knurrte oder heulte
Entsetzen und Wehe über den abtrünnigen Verräther, dem die liberale Phrase
so erschrecklich wenig Respect eingeflößt hatte. Und wenn in der That dem
Bedürfnisse politischer Besinnung und politischer Belehrung in manchem Zirkel
Treitschke's historische Abhandlungen entgegenkamen, selbst ihnen war der Ton
und Vortrag des Redners zu heftig, zu lebhaft, zu zuversichtlich und apodik¬
tisch. Ganz unbedingten Beifall fand Treitschke Anfangs nur bei Wenigen.
Aber je mehr man ihn las, je mehr man neben seine begeisterten Reden die
nüchternen Thatsachen der Geschichte hielt, desto mehr brach sich die Ueber¬
zeugung in seinen Lesern Bahn, daß hier eine warme patriotische Leidenschaft
mit einem merkwürdig klaren und tiefen Urtheile über die neuere deutsche Ge¬
schichte sich verbunden habe. Anfangs mochten wohl die frisch hingeworfenen
Sätze des jugendlichen Publicisten als politische Phantasieen, als tendenziöse
Behauptungen erscheinen: bei näherer Betrachtung, bei wiederholter Vertiefung
mußte man sich von dem Fundamente historischer Studien überzeugen, auf
denen das politische Urtheil solide und ausreichend sich aufgebaut hatte. Auch
in den wissenschaftlichen Kreisen der Fachgenossen stieg die Würdigung und
Anerkennung Treitschke's. Und im großen Publicum achtete man ihn immer
höher, seit der Gang der Dinge in Deutschland selbst ihm Recht zu geben
schien.

Unvergessen soll es Treitschke bleiben, welchen Eindruck sein entschiedenes
Auftreten im Februar 1866 hervorgerufen hat. Einer der allerwärmster
deutschen Patrioten, den die liberale Kaiserpartei zu ihren theuersten Vor¬
kämpfern gezählt, Ludwig Hauffer hatte die Wendung der deutschen Ge¬
schicke nicht mitgemacht, die durch die Politik Bismarck herbeigeführt war.
Er hatte sich nicht entschließen können, die Gefühle des Mißtrauens und der
Abneigung gegen den "Junker", dessen Freunde 1849 das deutsche Werk ver¬
nichtet hatten, zu unterdrücken oder zu überwinden: trübe und aussichtslos
erschien ihm die Lage Deutschlands. Seine "Sylvesterbetrachtungen aus Süd-


desstaates löste er unerbittlich in Dunst und Nebel auf. Dagegen pflanzte er
die Tendenz des Einheitsstaates als die historisch begründete und von der
Zukunft zu erhoffende Richtung unserer nationalen Entwickelung zum Banner
unserer nationalen Partei. Und in dem engsten Anschluß aller Patrioten an
Preußen, selbst an das Preußen unter Herrn von Bismarck, in der anzustre¬
benden Vergrößerung Preußens sah er den Weg zum deutschen Staate
vor uns.

Die Wirkung war eine mächtige. Die historischen Pedanten und Klein¬
krämer ärgerten sich weidlich über die Kühnheit des Gesammtblickes und die
Keckheit der Sprache: manche zünftigen Meister auf historischen Lehrstühlen
schüttelten bedenklich ihre bezopften Häupter. Der liberale Musterphilister im
Norden und mehr noch der im Süden unseres Vaterlandes knurrte oder heulte
Entsetzen und Wehe über den abtrünnigen Verräther, dem die liberale Phrase
so erschrecklich wenig Respect eingeflößt hatte. Und wenn in der That dem
Bedürfnisse politischer Besinnung und politischer Belehrung in manchem Zirkel
Treitschke's historische Abhandlungen entgegenkamen, selbst ihnen war der Ton
und Vortrag des Redners zu heftig, zu lebhaft, zu zuversichtlich und apodik¬
tisch. Ganz unbedingten Beifall fand Treitschke Anfangs nur bei Wenigen.
Aber je mehr man ihn las, je mehr man neben seine begeisterten Reden die
nüchternen Thatsachen der Geschichte hielt, desto mehr brach sich die Ueber¬
zeugung in seinen Lesern Bahn, daß hier eine warme patriotische Leidenschaft
mit einem merkwürdig klaren und tiefen Urtheile über die neuere deutsche Ge¬
schichte sich verbunden habe. Anfangs mochten wohl die frisch hingeworfenen
Sätze des jugendlichen Publicisten als politische Phantasieen, als tendenziöse
Behauptungen erscheinen: bei näherer Betrachtung, bei wiederholter Vertiefung
mußte man sich von dem Fundamente historischer Studien überzeugen, auf
denen das politische Urtheil solide und ausreichend sich aufgebaut hatte. Auch
in den wissenschaftlichen Kreisen der Fachgenossen stieg die Würdigung und
Anerkennung Treitschke's. Und im großen Publicum achtete man ihn immer
höher, seit der Gang der Dinge in Deutschland selbst ihm Recht zu geben
schien.

Unvergessen soll es Treitschke bleiben, welchen Eindruck sein entschiedenes
Auftreten im Februar 1866 hervorgerufen hat. Einer der allerwärmster
deutschen Patrioten, den die liberale Kaiserpartei zu ihren theuersten Vor¬
kämpfern gezählt, Ludwig Hauffer hatte die Wendung der deutschen Ge¬
schicke nicht mitgemacht, die durch die Politik Bismarck herbeigeführt war.
Er hatte sich nicht entschließen können, die Gefühle des Mißtrauens und der
Abneigung gegen den „Junker", dessen Freunde 1849 das deutsche Werk ver¬
nichtet hatten, zu unterdrücken oder zu überwinden: trübe und aussichtslos
erschien ihm die Lage Deutschlands. Seine „Sylvesterbetrachtungen aus Süd-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/52>, abgerufen am 22.07.2024.