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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Niemand erwartet ja die Biographie eines Engels von einem Manne
zu lesen, dessen Laufbahn 1835 mit "Angeworben" beginnt. Er ist eben ein
französischer Soldat, der von der Pike an gedient hat, ein Mann, gewiß
nicht ohne Verdienste und Talente. So recht zeigt sich aber wieder an ihm,
daß wo die sittliche Grundlage fehlt, wo des Charakters Lauterkeit mangelt,
alle Verdienste und Talente vor der Verdammung nicht schützen. Bazaine
erntet jetzt den Fluch böser Thaten.

Die äußersten Schlaglichter werfen die Vorgänge in Mexiko auf den Charakter
des Mannes, der dort drüben der Marschallsstab erwarb. Der Abzug der fran-
zosen unter dem Druck der Vereinigten Staaten war bestimmt; mit Maximilian
waren Napoleon III. und Bazaine zerfallen; der Romantiker paßte ihnen nicht
mehr, er ging seine eigenen Wege und wurde geopfert. Bazaine hoffte noch
immer, daß Maximilian abreisen und auf einem französischen Schiff, von den
Franzosen begleitet, nach Europa zurückkehren werde. Die Schmach siel dann
für daß mißglückte Unternehmen nicht auf Frankreich und Napoleon -- sondern
auf den österreichischen Erzherzog, der seinen Kaiserthron im Stiche ließ.
Allein die Erwartungen des Marschalls trafen nicht ein, der Kaiser blieb und
nahm den Kampf mit den Republikanern auf. Was nun folgt, berichten wir
hier, um die Erinnerung aufzufrischen, nach dem Werke des kaiserlichen Leib¬
arztes Dr. S. Basch (Geschichte der letzten zehn Monate des Kaiserreichs,
Leipzig 1868. Duncker Humblot.) Wüthend darüber, daß er sich getäuscht,
ließ nun der Marschall die Maske, die er so lange zu tragen sich bemüht
hatte^ fallen; offen und ohne Scheu zeigte er noch in den letzten Tagen, die er
in Mexiko hauste, seine Erbitterung und seinen Groll. Soviel noch in seiner
Macht stand, sollte aufgeboten werden, das Kaiserreich zu unterwühlen und
den Kampf um seinen Bestand unmöglich zu machen.

Vor Hunderten von Zuschauern ließ Bazaine -- was Basch ausdrücklich
bezeugt -- ganze Ladungen von Pulver ins Wasser werfen, Lafetten zertrümmern
und Kanonen sprengen. Granaten wurden, um sie versteckt zu halten, in die
Erde gegraben, kurz alles zerstört, was an vorhandenem Kriegsmaterial nur
irgend zerstört werden konnte. In diesem niedrigen Treiben einmal befangen,
scheute der Marschall von Frankreich sich nicht, Acte rohester Willkür und
schmutzigster Habsucht zu begehen. Zu seiner Hochzeit hatte ihm Maximilian
einen Palast in Mexiko zum Geschenke gemacht, für welchen die Regentschaft
eine große Anzahl Möbel anschasste und diese der Verfügung des Marschalls
und seinem zeitweiligen Gebrauch überließ. Marschall Bazaine hat, die
Eigenthumsrechte unbedenklich bei Seite setzend, diese sämmtlichen Geräthschaften
verkauft; das Gleiche hat er mit dem, selbst von Juarez vormals geschonten,
dem Staate gehörigen Wagen des ehemaligen Dictators Santa Anna gethan.


Grenzboten II. 1872. 65

Niemand erwartet ja die Biographie eines Engels von einem Manne
zu lesen, dessen Laufbahn 1835 mit „Angeworben" beginnt. Er ist eben ein
französischer Soldat, der von der Pike an gedient hat, ein Mann, gewiß
nicht ohne Verdienste und Talente. So recht zeigt sich aber wieder an ihm,
daß wo die sittliche Grundlage fehlt, wo des Charakters Lauterkeit mangelt,
alle Verdienste und Talente vor der Verdammung nicht schützen. Bazaine
erntet jetzt den Fluch böser Thaten.

Die äußersten Schlaglichter werfen die Vorgänge in Mexiko auf den Charakter
des Mannes, der dort drüben der Marschallsstab erwarb. Der Abzug der fran-
zosen unter dem Druck der Vereinigten Staaten war bestimmt; mit Maximilian
waren Napoleon III. und Bazaine zerfallen; der Romantiker paßte ihnen nicht
mehr, er ging seine eigenen Wege und wurde geopfert. Bazaine hoffte noch
immer, daß Maximilian abreisen und auf einem französischen Schiff, von den
Franzosen begleitet, nach Europa zurückkehren werde. Die Schmach siel dann
für daß mißglückte Unternehmen nicht auf Frankreich und Napoleon — sondern
auf den österreichischen Erzherzog, der seinen Kaiserthron im Stiche ließ.
Allein die Erwartungen des Marschalls trafen nicht ein, der Kaiser blieb und
nahm den Kampf mit den Republikanern auf. Was nun folgt, berichten wir
hier, um die Erinnerung aufzufrischen, nach dem Werke des kaiserlichen Leib¬
arztes Dr. S. Basch (Geschichte der letzten zehn Monate des Kaiserreichs,
Leipzig 1868. Duncker Humblot.) Wüthend darüber, daß er sich getäuscht,
ließ nun der Marschall die Maske, die er so lange zu tragen sich bemüht
hatte^ fallen; offen und ohne Scheu zeigte er noch in den letzten Tagen, die er
in Mexiko hauste, seine Erbitterung und seinen Groll. Soviel noch in seiner
Macht stand, sollte aufgeboten werden, das Kaiserreich zu unterwühlen und
den Kampf um seinen Bestand unmöglich zu machen.

Vor Hunderten von Zuschauern ließ Bazaine — was Basch ausdrücklich
bezeugt — ganze Ladungen von Pulver ins Wasser werfen, Lafetten zertrümmern
und Kanonen sprengen. Granaten wurden, um sie versteckt zu halten, in die
Erde gegraben, kurz alles zerstört, was an vorhandenem Kriegsmaterial nur
irgend zerstört werden konnte. In diesem niedrigen Treiben einmal befangen,
scheute der Marschall von Frankreich sich nicht, Acte rohester Willkür und
schmutzigster Habsucht zu begehen. Zu seiner Hochzeit hatte ihm Maximilian
einen Palast in Mexiko zum Geschenke gemacht, für welchen die Regentschaft
eine große Anzahl Möbel anschasste und diese der Verfügung des Marschalls
und seinem zeitweiligen Gebrauch überließ. Marschall Bazaine hat, die
Eigenthumsrechte unbedenklich bei Seite setzend, diese sämmtlichen Geräthschaften
verkauft; das Gleiche hat er mit dem, selbst von Juarez vormals geschonten,
dem Staate gehörigen Wagen des ehemaligen Dictators Santa Anna gethan.


Grenzboten II. 1872. 65
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[0509] Niemand erwartet ja die Biographie eines Engels von einem Manne zu lesen, dessen Laufbahn 1835 mit „Angeworben" beginnt. Er ist eben ein französischer Soldat, der von der Pike an gedient hat, ein Mann, gewiß nicht ohne Verdienste und Talente. So recht zeigt sich aber wieder an ihm, daß wo die sittliche Grundlage fehlt, wo des Charakters Lauterkeit mangelt, alle Verdienste und Talente vor der Verdammung nicht schützen. Bazaine erntet jetzt den Fluch böser Thaten. Die äußersten Schlaglichter werfen die Vorgänge in Mexiko auf den Charakter des Mannes, der dort drüben der Marschallsstab erwarb. Der Abzug der fran- zosen unter dem Druck der Vereinigten Staaten war bestimmt; mit Maximilian waren Napoleon III. und Bazaine zerfallen; der Romantiker paßte ihnen nicht mehr, er ging seine eigenen Wege und wurde geopfert. Bazaine hoffte noch immer, daß Maximilian abreisen und auf einem französischen Schiff, von den Franzosen begleitet, nach Europa zurückkehren werde. Die Schmach siel dann für daß mißglückte Unternehmen nicht auf Frankreich und Napoleon — sondern auf den österreichischen Erzherzog, der seinen Kaiserthron im Stiche ließ. Allein die Erwartungen des Marschalls trafen nicht ein, der Kaiser blieb und nahm den Kampf mit den Republikanern auf. Was nun folgt, berichten wir hier, um die Erinnerung aufzufrischen, nach dem Werke des kaiserlichen Leib¬ arztes Dr. S. Basch (Geschichte der letzten zehn Monate des Kaiserreichs, Leipzig 1868. Duncker Humblot.) Wüthend darüber, daß er sich getäuscht, ließ nun der Marschall die Maske, die er so lange zu tragen sich bemüht hatte^ fallen; offen und ohne Scheu zeigte er noch in den letzten Tagen, die er in Mexiko hauste, seine Erbitterung und seinen Groll. Soviel noch in seiner Macht stand, sollte aufgeboten werden, das Kaiserreich zu unterwühlen und den Kampf um seinen Bestand unmöglich zu machen. Vor Hunderten von Zuschauern ließ Bazaine — was Basch ausdrücklich bezeugt — ganze Ladungen von Pulver ins Wasser werfen, Lafetten zertrümmern und Kanonen sprengen. Granaten wurden, um sie versteckt zu halten, in die Erde gegraben, kurz alles zerstört, was an vorhandenem Kriegsmaterial nur irgend zerstört werden konnte. In diesem niedrigen Treiben einmal befangen, scheute der Marschall von Frankreich sich nicht, Acte rohester Willkür und schmutzigster Habsucht zu begehen. Zu seiner Hochzeit hatte ihm Maximilian einen Palast in Mexiko zum Geschenke gemacht, für welchen die Regentschaft eine große Anzahl Möbel anschasste und diese der Verfügung des Marschalls und seinem zeitweiligen Gebrauch überließ. Marschall Bazaine hat, die Eigenthumsrechte unbedenklich bei Seite setzend, diese sämmtlichen Geräthschaften verkauft; das Gleiche hat er mit dem, selbst von Juarez vormals geschonten, dem Staate gehörigen Wagen des ehemaligen Dictators Santa Anna gethan. Grenzboten II. 1872. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/509>, abgerufen am 22.07.2024.