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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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altbayerische Gemüth verabreichen. Solchen verschlungenen Mächten gegen¬
über kann, wie uns scheint, die Schule allein wenig ausrichten. Es gäbe
nur einen einzigen Weg, auf dem sie es erreichte. Dieser liegt sehr nahe, aber
daß bis jetzt noch Niemand daran gedacht hat, ihn zu betreten, ist aus der
Arbeitsscheu und der angeborenen Trägheit aller, auch der Besseren und Ein¬
sichtigern leicht zu erklären. Die oberschlesische Volksschule kann natürlich nicht
daran denken, die deutsche Sprache zu ihrem Unterrichtsmedium zu machen.
Jeder solcher zwangsweise Versuch wäre ein Schandfleck für den specifisch
humanen Geist unserer Nation und Sprache, außerdem auch völlig unpraktisch.
Sie muß sich daher an die Volkssprache halten und diese denn auch für den
etwaigen Unterricht im Deutschen zur Basis machen. Als Volkssprache gilt
jetzt die polnische Schriftsprache, in ihr lehrt die Schule, sind die Schul- und
kirchlichen Bücher verfaßt. Nun ist es eine jedem Linguisten und Ethnographen
längst bekannte Thatsache, daß die oberschlesische slavische Sprache gar kein
Zweig des Polnischen ist. Das Polnische hat sich nur gewaltsam und hinter¬
listig, wie in Galizien, Westpreußen, Litthauen, hier eingenistet und die Deutschen
haben, gläubig und ehrlich wie immer, der Glattzüngigkeit der Polen getraut,
die das Land nur von "Polen" bewohnt ausgeben. Es müßte also zuerst,
um dem Volke wirklich zum Unterricht in seiner Muttersprache zu verhelfen,
dieß durch bloße freche Lüge eingedrungene Polenthum herausgeworfen und
Schule und Kirche der Volkssprache zurückgegeben werden. Dann würden die
Oberschlesier, die jetzt eine ihnen eigentlich fremde Sprache erst zu lernen haben,
ehe sie das Lernen selbst anfangen, weit lieber in die Schule gehen. --


15.


Wu Grabe Worbecke's.

Der Mann, der vorgestern im Haag verschieden ist, Prof. I, R. Thor-
becke, trat mit dem Anfang des Jahres 1871 zum dritten Mal als Minister-
Präsident seines Landes auf. Wenn wir sagen: Minister-Präsident, so müssen
wir hinzufügen, daß häufig behauptet wird, in den Niederlanden kenne das
Ministerium keinen Präsidenten, weil das Amt eines Vorsitzenden im Minister¬
rath wechselt. Wie dem aber auch sei, Thorbecke war immer die Haupt¬
person und der Leiter seines Ministeriums. Man wird sich erinnern, daß
seinem letzten Auftreten eine lange Krisis vorherging; die liberale Partei war
gespalten und konnte außer Thorbecke keine Persönlichkeit aufstellen, die als


altbayerische Gemüth verabreichen. Solchen verschlungenen Mächten gegen¬
über kann, wie uns scheint, die Schule allein wenig ausrichten. Es gäbe
nur einen einzigen Weg, auf dem sie es erreichte. Dieser liegt sehr nahe, aber
daß bis jetzt noch Niemand daran gedacht hat, ihn zu betreten, ist aus der
Arbeitsscheu und der angeborenen Trägheit aller, auch der Besseren und Ein¬
sichtigern leicht zu erklären. Die oberschlesische Volksschule kann natürlich nicht
daran denken, die deutsche Sprache zu ihrem Unterrichtsmedium zu machen.
Jeder solcher zwangsweise Versuch wäre ein Schandfleck für den specifisch
humanen Geist unserer Nation und Sprache, außerdem auch völlig unpraktisch.
Sie muß sich daher an die Volkssprache halten und diese denn auch für den
etwaigen Unterricht im Deutschen zur Basis machen. Als Volkssprache gilt
jetzt die polnische Schriftsprache, in ihr lehrt die Schule, sind die Schul- und
kirchlichen Bücher verfaßt. Nun ist es eine jedem Linguisten und Ethnographen
längst bekannte Thatsache, daß die oberschlesische slavische Sprache gar kein
Zweig des Polnischen ist. Das Polnische hat sich nur gewaltsam und hinter¬
listig, wie in Galizien, Westpreußen, Litthauen, hier eingenistet und die Deutschen
haben, gläubig und ehrlich wie immer, der Glattzüngigkeit der Polen getraut,
die das Land nur von „Polen" bewohnt ausgeben. Es müßte also zuerst,
um dem Volke wirklich zum Unterricht in seiner Muttersprache zu verhelfen,
dieß durch bloße freche Lüge eingedrungene Polenthum herausgeworfen und
Schule und Kirche der Volkssprache zurückgegeben werden. Dann würden die
Oberschlesier, die jetzt eine ihnen eigentlich fremde Sprache erst zu lernen haben,
ehe sie das Lernen selbst anfangen, weit lieber in die Schule gehen. —


15.


Wu Grabe Worbecke's.

Der Mann, der vorgestern im Haag verschieden ist, Prof. I, R. Thor-
becke, trat mit dem Anfang des Jahres 1871 zum dritten Mal als Minister-
Präsident seines Landes auf. Wenn wir sagen: Minister-Präsident, so müssen
wir hinzufügen, daß häufig behauptet wird, in den Niederlanden kenne das
Ministerium keinen Präsidenten, weil das Amt eines Vorsitzenden im Minister¬
rath wechselt. Wie dem aber auch sei, Thorbecke war immer die Haupt¬
person und der Leiter seines Ministeriums. Man wird sich erinnern, daß
seinem letzten Auftreten eine lange Krisis vorherging; die liberale Partei war
gespalten und konnte außer Thorbecke keine Persönlichkeit aufstellen, die als


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[0503] altbayerische Gemüth verabreichen. Solchen verschlungenen Mächten gegen¬ über kann, wie uns scheint, die Schule allein wenig ausrichten. Es gäbe nur einen einzigen Weg, auf dem sie es erreichte. Dieser liegt sehr nahe, aber daß bis jetzt noch Niemand daran gedacht hat, ihn zu betreten, ist aus der Arbeitsscheu und der angeborenen Trägheit aller, auch der Besseren und Ein¬ sichtigern leicht zu erklären. Die oberschlesische Volksschule kann natürlich nicht daran denken, die deutsche Sprache zu ihrem Unterrichtsmedium zu machen. Jeder solcher zwangsweise Versuch wäre ein Schandfleck für den specifisch humanen Geist unserer Nation und Sprache, außerdem auch völlig unpraktisch. Sie muß sich daher an die Volkssprache halten und diese denn auch für den etwaigen Unterricht im Deutschen zur Basis machen. Als Volkssprache gilt jetzt die polnische Schriftsprache, in ihr lehrt die Schule, sind die Schul- und kirchlichen Bücher verfaßt. Nun ist es eine jedem Linguisten und Ethnographen längst bekannte Thatsache, daß die oberschlesische slavische Sprache gar kein Zweig des Polnischen ist. Das Polnische hat sich nur gewaltsam und hinter¬ listig, wie in Galizien, Westpreußen, Litthauen, hier eingenistet und die Deutschen haben, gläubig und ehrlich wie immer, der Glattzüngigkeit der Polen getraut, die das Land nur von „Polen" bewohnt ausgeben. Es müßte also zuerst, um dem Volke wirklich zum Unterricht in seiner Muttersprache zu verhelfen, dieß durch bloße freche Lüge eingedrungene Polenthum herausgeworfen und Schule und Kirche der Volkssprache zurückgegeben werden. Dann würden die Oberschlesier, die jetzt eine ihnen eigentlich fremde Sprache erst zu lernen haben, ehe sie das Lernen selbst anfangen, weit lieber in die Schule gehen. — 15. Wu Grabe Worbecke's. Der Mann, der vorgestern im Haag verschieden ist, Prof. I, R. Thor- becke, trat mit dem Anfang des Jahres 1871 zum dritten Mal als Minister- Präsident seines Landes auf. Wenn wir sagen: Minister-Präsident, so müssen wir hinzufügen, daß häufig behauptet wird, in den Niederlanden kenne das Ministerium keinen Präsidenten, weil das Amt eines Vorsitzenden im Minister¬ rath wechselt. Wie dem aber auch sei, Thorbecke war immer die Haupt¬ person und der Leiter seines Ministeriums. Man wird sich erinnern, daß seinem letzten Auftreten eine lange Krisis vorherging; die liberale Partei war gespalten und konnte außer Thorbecke keine Persönlichkeit aufstellen, die als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/503>, abgerufen am 22.07.2024.