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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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betreffenden Schiffe auch nur die Hälfte ihrer Reise gemacht hätten. Die
Eisenbahnen würden ihren Betrieb fortsetzen, die Soldaten weiter gedrillt
werden, die Unter-Bonzen der Bureaukratie weiter nach dem Geheimrath, die
Geheimräthe nach dem Wirklichen, die Wirklichen nach der Excellenz angeln.

Auch die Zeitungen würden fortfahren zu erscheinen und ganz vortreffliche
Geschäfte machen. Die Redactionen hätten da einmal den Magnet eines
Themas, welches sich nicht nur nicht abnutzen, sondern vielmehr bis an das Ende
der Tage stündlich interessanter werden würde. Man denke sich, welche eine
Kette von schönsten Gelegenheiten zu Extrablättern! Welch ein Stoff für unsern
verehrten alten Freund, den illustrirten Weberin Leipzig! Jedermann
würde begierig sein, von der Presse in Bild und Wort die neuesten Nachrichten
über das Monstrum, das ihn nach dem Rathschluß der Vorsehung zu ver¬
speisen bestimmt wäre, über die täglich besser zu beobachtenden Einzelheiten seiner
Structur und das Ergebniß der letzten Berechnungen in Bezug auf Minute
und Stunde seines Zusammenpralls mit der Erde zu erfahren.

So ungefähr denken wir uns den Hergang der Dinge, wenn der Plan-
tamoursche Komet kommen sollte. Man wird finden, daß wir es nach einiger
Ueberlegung ziemlich leicht mit ihm nehmen, uns wenigstens die böse Zeit vor
Eintritt der Katastrophe, soweit sie Denken, Empfinden und Verhalten der
Menschen angeht, nicht allzu schlimm vorstellen. Jetzt wollen wir gestehen,
daß uns dies vermuthlich ein wenig durch die Erinnerung an Obenangedeutetes,
nämlich durch das Bewußtsein erleichtert worden ist, daß besagter Komet ein
reines Phantasiegebilde ist, und daß Kometen überhaupt gar keine so bös¬
artigen und gefährlichen Gesellen sind, wie man in alten Zeiten meinte, unter
ungelehrten Leuten heute noch meint, und wie wir Scherzes halber einmal
angenommen hatten.

Das ist recht unpoetisch, aber es hat den Vorzug, wahr zu sein.

Kannst Du den Leviathan mit einem Hamen fangen? wird im Buch
Hiob gefragt.

Nun in der That, die astronomische Wissenschaft hat mehr als das zu
Wege gebracht. Sie hat den fürchterlichen Kometendrachen, der in der Ein-
bildungswelt der Vorzeit durch die Himmel fuhr .und mit seinem Flammen¬
schwanz den Thierkreis zu entzünden und den Riesen Orion todtzupeitschen
drohte, in ihr geometrisches Netz eingefangen, ihm einen Angelhaken, gemacht
aus der eisernen Nothwendigkeit der Mathematik, durch die Nase gezogen und
das Ungeheuer in die wirkliche Welt bugsirt, wo sie es mit ihren Gläsern
ziemlich genau untersucht hat. Wie die Wissenschaft der Osteologie gewisse
Ungethüme der früheren Perioden des Erdlebens, die Riesenfaulthiere und
Rieseneidechsen der vormenschlichen Jahrtausende unsres Planeten, deren Un-
gestalt uns auf eine unheimliche Seele schließen ließ, als harmlose Grasfresser


betreffenden Schiffe auch nur die Hälfte ihrer Reise gemacht hätten. Die
Eisenbahnen würden ihren Betrieb fortsetzen, die Soldaten weiter gedrillt
werden, die Unter-Bonzen der Bureaukratie weiter nach dem Geheimrath, die
Geheimräthe nach dem Wirklichen, die Wirklichen nach der Excellenz angeln.

Auch die Zeitungen würden fortfahren zu erscheinen und ganz vortreffliche
Geschäfte machen. Die Redactionen hätten da einmal den Magnet eines
Themas, welches sich nicht nur nicht abnutzen, sondern vielmehr bis an das Ende
der Tage stündlich interessanter werden würde. Man denke sich, welche eine
Kette von schönsten Gelegenheiten zu Extrablättern! Welch ein Stoff für unsern
verehrten alten Freund, den illustrirten Weberin Leipzig! Jedermann
würde begierig sein, von der Presse in Bild und Wort die neuesten Nachrichten
über das Monstrum, das ihn nach dem Rathschluß der Vorsehung zu ver¬
speisen bestimmt wäre, über die täglich besser zu beobachtenden Einzelheiten seiner
Structur und das Ergebniß der letzten Berechnungen in Bezug auf Minute
und Stunde seines Zusammenpralls mit der Erde zu erfahren.

So ungefähr denken wir uns den Hergang der Dinge, wenn der Plan-
tamoursche Komet kommen sollte. Man wird finden, daß wir es nach einiger
Ueberlegung ziemlich leicht mit ihm nehmen, uns wenigstens die böse Zeit vor
Eintritt der Katastrophe, soweit sie Denken, Empfinden und Verhalten der
Menschen angeht, nicht allzu schlimm vorstellen. Jetzt wollen wir gestehen,
daß uns dies vermuthlich ein wenig durch die Erinnerung an Obenangedeutetes,
nämlich durch das Bewußtsein erleichtert worden ist, daß besagter Komet ein
reines Phantasiegebilde ist, und daß Kometen überhaupt gar keine so bös¬
artigen und gefährlichen Gesellen sind, wie man in alten Zeiten meinte, unter
ungelehrten Leuten heute noch meint, und wie wir Scherzes halber einmal
angenommen hatten.

Das ist recht unpoetisch, aber es hat den Vorzug, wahr zu sein.

Kannst Du den Leviathan mit einem Hamen fangen? wird im Buch
Hiob gefragt.

Nun in der That, die astronomische Wissenschaft hat mehr als das zu
Wege gebracht. Sie hat den fürchterlichen Kometendrachen, der in der Ein-
bildungswelt der Vorzeit durch die Himmel fuhr .und mit seinem Flammen¬
schwanz den Thierkreis zu entzünden und den Riesen Orion todtzupeitschen
drohte, in ihr geometrisches Netz eingefangen, ihm einen Angelhaken, gemacht
aus der eisernen Nothwendigkeit der Mathematik, durch die Nase gezogen und
das Ungeheuer in die wirkliche Welt bugsirt, wo sie es mit ihren Gläsern
ziemlich genau untersucht hat. Wie die Wissenschaft der Osteologie gewisse
Ungethüme der früheren Perioden des Erdlebens, die Riesenfaulthiere und
Rieseneidechsen der vormenschlichen Jahrtausende unsres Planeten, deren Un-
gestalt uns auf eine unheimliche Seele schließen ließ, als harmlose Grasfresser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/495>, abgerufen am 22.07.2024.