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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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in sich und verschmilzt es mit sich, soweit nicht Bruchstücke, die Anziehungs¬
kraft des Kometen in Folge der Stärke des Anpralls von drüben her über¬
windend, sich losgerissen haben und, jedes in einer neuen Bahn, durch das
Universum wirbeln, wo sie sich -- wir können's nicht beobachten, denn wir
haben längst das Schicksal unsrer Antipoden getheilt -- vielleicht mit irgend
einem andern Gestirn vereinigen, um den endlosen Tanz um die Sonne fort¬
zusetzen.

Nehmen mir den milderen Fall an, daß wir nicht mit dem harten, festen
Kern des Kometen zusammenstoßend nur von seinem flammenden Schweife
geschlagen und auf einige Stunden oder Tage umschlungen werden, so bleibt
die Erde zwar ganz, aber die vegetabilische und animalische Welt ist nicht
besser dran als in den andern Fällen. Unsre Felder und Wälder werden
von dem Kometenfeuer rein abgesengt. Die Oceane verwandeln sich in uner¬
meßliche Dampfwolken, und das ewige Eis der Alpengletscher und Polarkreise
schmilzt, füllt einen Augenblick die leergewordenen Becken der Landseeen und
Meere und verflüchtigt sich dann ebenfalls. Vergebens haben Menschen und
Landthiere in Kellern und Höhlen, die Fische in den untersten Tiefen der
Oceane Rettung vor der Gluth gesucht. Die hat sie erreicht und vernichtet.
Zu ihrem Glück; denn die Oberfläche der Erdkugel ist eine dürre Einöde ge¬
worden. Nichts ist, nachdem der fliegende Brand weiter gegangen ist, mehr
übrig, als eine ungeheure graue Aschenfläche, die sich allmählig in Schlamm
verwandelt, wenn die emporgedampften Wasser sich wieder verdichten und in
Sündfluthswolkenbrüchen auf den entvölkerten, dann- und graslosem Planeten
herabregnen. Wir besitzen die Phantasie nicht, die nöthig ist, um der grä߬
lichen Katastrophe in Worten völlig gerecht zu werden. Der Stätte, welcher
die nordische Götterdämmerung besingt, wie Muspelheims Söhne heranziehen,
Surtur mit dem Flammenschwert, der Midgardsdrache, der Leichenwolf, wie
"die Zwerge stöhnen vor steinernen Thüren, Gluthwirbel umwühlen den all¬
nährenden Weltbaum, die heiße Lohe den Himmel beleckt," dieser alte Poet,
der seine Bilder aus dem Krater des Hekla schöpfte, möchte der Aufgabe, den
Todeskampf der Erde in der Umarmung von Plantamours Kometen zu schil¬
dern, eher gewachsen sein. Indeß versuchen wir prosaischeren Leute, wir
Modernen, noch uns einigermaßen klar zu machen, was wir heute und in den
nächsten Tagen empfinden würden, wenn der englische Unheilsprophet die
Wahrheit geweissagt hätte.

Also den zwölften August, nachdem die Glocken, falls sie der Komet nicht
inzwischen geschmolzen hat, die Mittagsstunden ausgeschlagen haben, würde
die Menschheit von dem Himmelsdrachen auf die eine oder die andere Weise
gründlich vertilgt sein. Nicht ein Haarzopf bliebe unverzehrt von dem


Grenzboten II. 1872. gz

in sich und verschmilzt es mit sich, soweit nicht Bruchstücke, die Anziehungs¬
kraft des Kometen in Folge der Stärke des Anpralls von drüben her über¬
windend, sich losgerissen haben und, jedes in einer neuen Bahn, durch das
Universum wirbeln, wo sie sich — wir können's nicht beobachten, denn wir
haben längst das Schicksal unsrer Antipoden getheilt — vielleicht mit irgend
einem andern Gestirn vereinigen, um den endlosen Tanz um die Sonne fort¬
zusetzen.

Nehmen mir den milderen Fall an, daß wir nicht mit dem harten, festen
Kern des Kometen zusammenstoßend nur von seinem flammenden Schweife
geschlagen und auf einige Stunden oder Tage umschlungen werden, so bleibt
die Erde zwar ganz, aber die vegetabilische und animalische Welt ist nicht
besser dran als in den andern Fällen. Unsre Felder und Wälder werden
von dem Kometenfeuer rein abgesengt. Die Oceane verwandeln sich in uner¬
meßliche Dampfwolken, und das ewige Eis der Alpengletscher und Polarkreise
schmilzt, füllt einen Augenblick die leergewordenen Becken der Landseeen und
Meere und verflüchtigt sich dann ebenfalls. Vergebens haben Menschen und
Landthiere in Kellern und Höhlen, die Fische in den untersten Tiefen der
Oceane Rettung vor der Gluth gesucht. Die hat sie erreicht und vernichtet.
Zu ihrem Glück; denn die Oberfläche der Erdkugel ist eine dürre Einöde ge¬
worden. Nichts ist, nachdem der fliegende Brand weiter gegangen ist, mehr
übrig, als eine ungeheure graue Aschenfläche, die sich allmählig in Schlamm
verwandelt, wenn die emporgedampften Wasser sich wieder verdichten und in
Sündfluthswolkenbrüchen auf den entvölkerten, dann- und graslosem Planeten
herabregnen. Wir besitzen die Phantasie nicht, die nöthig ist, um der grä߬
lichen Katastrophe in Worten völlig gerecht zu werden. Der Stätte, welcher
die nordische Götterdämmerung besingt, wie Muspelheims Söhne heranziehen,
Surtur mit dem Flammenschwert, der Midgardsdrache, der Leichenwolf, wie
„die Zwerge stöhnen vor steinernen Thüren, Gluthwirbel umwühlen den all¬
nährenden Weltbaum, die heiße Lohe den Himmel beleckt," dieser alte Poet,
der seine Bilder aus dem Krater des Hekla schöpfte, möchte der Aufgabe, den
Todeskampf der Erde in der Umarmung von Plantamours Kometen zu schil¬
dern, eher gewachsen sein. Indeß versuchen wir prosaischeren Leute, wir
Modernen, noch uns einigermaßen klar zu machen, was wir heute und in den
nächsten Tagen empfinden würden, wenn der englische Unheilsprophet die
Wahrheit geweissagt hätte.

Also den zwölften August, nachdem die Glocken, falls sie der Komet nicht
inzwischen geschmolzen hat, die Mittagsstunden ausgeschlagen haben, würde
die Menschheit von dem Himmelsdrachen auf die eine oder die andere Weise
gründlich vertilgt sein. Nicht ein Haarzopf bliebe unverzehrt von dem


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[0493] in sich und verschmilzt es mit sich, soweit nicht Bruchstücke, die Anziehungs¬ kraft des Kometen in Folge der Stärke des Anpralls von drüben her über¬ windend, sich losgerissen haben und, jedes in einer neuen Bahn, durch das Universum wirbeln, wo sie sich — wir können's nicht beobachten, denn wir haben längst das Schicksal unsrer Antipoden getheilt — vielleicht mit irgend einem andern Gestirn vereinigen, um den endlosen Tanz um die Sonne fort¬ zusetzen. Nehmen mir den milderen Fall an, daß wir nicht mit dem harten, festen Kern des Kometen zusammenstoßend nur von seinem flammenden Schweife geschlagen und auf einige Stunden oder Tage umschlungen werden, so bleibt die Erde zwar ganz, aber die vegetabilische und animalische Welt ist nicht besser dran als in den andern Fällen. Unsre Felder und Wälder werden von dem Kometenfeuer rein abgesengt. Die Oceane verwandeln sich in uner¬ meßliche Dampfwolken, und das ewige Eis der Alpengletscher und Polarkreise schmilzt, füllt einen Augenblick die leergewordenen Becken der Landseeen und Meere und verflüchtigt sich dann ebenfalls. Vergebens haben Menschen und Landthiere in Kellern und Höhlen, die Fische in den untersten Tiefen der Oceane Rettung vor der Gluth gesucht. Die hat sie erreicht und vernichtet. Zu ihrem Glück; denn die Oberfläche der Erdkugel ist eine dürre Einöde ge¬ worden. Nichts ist, nachdem der fliegende Brand weiter gegangen ist, mehr übrig, als eine ungeheure graue Aschenfläche, die sich allmählig in Schlamm verwandelt, wenn die emporgedampften Wasser sich wieder verdichten und in Sündfluthswolkenbrüchen auf den entvölkerten, dann- und graslosem Planeten herabregnen. Wir besitzen die Phantasie nicht, die nöthig ist, um der grä߬ lichen Katastrophe in Worten völlig gerecht zu werden. Der Stätte, welcher die nordische Götterdämmerung besingt, wie Muspelheims Söhne heranziehen, Surtur mit dem Flammenschwert, der Midgardsdrache, der Leichenwolf, wie „die Zwerge stöhnen vor steinernen Thüren, Gluthwirbel umwühlen den all¬ nährenden Weltbaum, die heiße Lohe den Himmel beleckt," dieser alte Poet, der seine Bilder aus dem Krater des Hekla schöpfte, möchte der Aufgabe, den Todeskampf der Erde in der Umarmung von Plantamours Kometen zu schil¬ dern, eher gewachsen sein. Indeß versuchen wir prosaischeren Leute, wir Modernen, noch uns einigermaßen klar zu machen, was wir heute und in den nächsten Tagen empfinden würden, wenn der englische Unheilsprophet die Wahrheit geweissagt hätte. Also den zwölften August, nachdem die Glocken, falls sie der Komet nicht inzwischen geschmolzen hat, die Mittagsstunden ausgeschlagen haben, würde die Menschheit von dem Himmelsdrachen auf die eine oder die andere Weise gründlich vertilgt sein. Nicht ein Haarzopf bliebe unverzehrt von dem Grenzboten II. 1872. gz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/493>, abgerufen am 22.07.2024.