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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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kann. Mögen sie noch so sehr ruinirt sein, wenn wir sie verlassen, sie werden
doch immer noch reicher sein als wir." --

Die alte Dame, in deren Haus der Herr Professor solche neidische Be¬
trachtungen anstellt, hält es indeß nur acht Tage mit ihrer deutschen Ein¬
quartierung aus; sie zieht es vor, derselben das Haus zu überlassen und mit
ihren Enkeln abzureisen. Hermann sieht dem fortrollenden Wagen mit einem
Gemisch von Wehmuth und Schamgefühl nach.

"Aber Freudengeschrei," schreibt er seiner Dorothea, "welches aus dem
Haus erscholl, riß mich aus meiner Träumerei; ich fand meine Kameraden
schon damit beschäftigt, die Möbel und das Linnenzeug unter sich zu theilen.
Büffels und Schubkästen, alles war geöffnet; jeder griff zu mit gieriger Hast.
Dies erinnerte mich daran, daß man uns nicht die Plünderung der bewohnten Häuser
erlaubt (also doch?), und ich sah, was für ein geriebener Bursche der Major ist.
Sein Antheil an der Beute war schon gesichert, und sorgsam in seinem Zimmer
aufgespeichert, zum Beweis, daß er schon längst seine Wahl getroffen und in
Gedanken sich alles angezeichnet hatte, was ihm passen konnte. Er ging jetzt,
die Hände in den Taschen, herum, wiegte sich hin und her und pfiff sich eins
wischen den Zähnen." -- In ähnlicher Weise versichern auch die Uebrigen sich
ihres Raubes, und der gute Professor kann natürlich, trotz einiger vorüber¬
gehender sentimentaler Anwandlungen, nicht hinter ihnen zurückbleiben. Man
denke sich Dorotheens Entzücken, wenn er ihr mittheilt: "Ich kann Dir hier
nicht alles nennen, was mir bei der Theilung zugefallen ist; doch glaube ich,
daß es Dir Freude machen wird, ein Service von Sevres zu erhalten, welches
ich Dir schicke. Ich glaube nicht, daß selbst Rudolf Sabrina seiner Familie
etwas Aehnliches geschenkt hat. Nun wirst Du hoffentlich nicht mehr eifer¬
süchtig sein, und Du wirst wissen, daß das Herz Deines Hermann ebensoviel
werth ist als das eines Rudolf Sabrina." --

Dorothea hat ein dankbares Gemüth. "O mein Hermann," schreibt sie,
"wie glücklich würden wir bei einander sein! Wie behaglich würden wir die
reichen Geschenke genießen, die Du mir geschickt hast! Ich habe die beiden
großen Kisten mit ihrem kostbaren Inhalt erhalten, ich habe diesen nach Deinem
Wunsch unter die Familienglieder vertheilt. Alle sind voll Entzücken und
schicken Dir die Fülle ihrer Segenswünsche." --

Nach dieser Sendung von zwei großen Kisten erhält Dorothea noch das
übliche Weihnachtsgeschenk in Gestalt eines Smaragdringes "von hohem Werth,
ebenfalls eine Frucht des Krieges."

Unter solchen Umständen begreift es sich vollkommen, daß Dorothea voll
patriotischen Feuers ist, und mit Entrüstung von einer Mainzer Freundin
spricht, die sich französischer Sympathien schuldig macht. "Ich habe gestern,
schreibt sie einmal, einen Brief von Virginie Flock erhalten; sie ist keineswegs.


kann. Mögen sie noch so sehr ruinirt sein, wenn wir sie verlassen, sie werden
doch immer noch reicher sein als wir." —

Die alte Dame, in deren Haus der Herr Professor solche neidische Be¬
trachtungen anstellt, hält es indeß nur acht Tage mit ihrer deutschen Ein¬
quartierung aus; sie zieht es vor, derselben das Haus zu überlassen und mit
ihren Enkeln abzureisen. Hermann sieht dem fortrollenden Wagen mit einem
Gemisch von Wehmuth und Schamgefühl nach.

„Aber Freudengeschrei," schreibt er seiner Dorothea, „welches aus dem
Haus erscholl, riß mich aus meiner Träumerei; ich fand meine Kameraden
schon damit beschäftigt, die Möbel und das Linnenzeug unter sich zu theilen.
Büffels und Schubkästen, alles war geöffnet; jeder griff zu mit gieriger Hast.
Dies erinnerte mich daran, daß man uns nicht die Plünderung der bewohnten Häuser
erlaubt (also doch?), und ich sah, was für ein geriebener Bursche der Major ist.
Sein Antheil an der Beute war schon gesichert, und sorgsam in seinem Zimmer
aufgespeichert, zum Beweis, daß er schon längst seine Wahl getroffen und in
Gedanken sich alles angezeichnet hatte, was ihm passen konnte. Er ging jetzt,
die Hände in den Taschen, herum, wiegte sich hin und her und pfiff sich eins
wischen den Zähnen." — In ähnlicher Weise versichern auch die Uebrigen sich
ihres Raubes, und der gute Professor kann natürlich, trotz einiger vorüber¬
gehender sentimentaler Anwandlungen, nicht hinter ihnen zurückbleiben. Man
denke sich Dorotheens Entzücken, wenn er ihr mittheilt: „Ich kann Dir hier
nicht alles nennen, was mir bei der Theilung zugefallen ist; doch glaube ich,
daß es Dir Freude machen wird, ein Service von Sevres zu erhalten, welches
ich Dir schicke. Ich glaube nicht, daß selbst Rudolf Sabrina seiner Familie
etwas Aehnliches geschenkt hat. Nun wirst Du hoffentlich nicht mehr eifer¬
süchtig sein, und Du wirst wissen, daß das Herz Deines Hermann ebensoviel
werth ist als das eines Rudolf Sabrina." —

Dorothea hat ein dankbares Gemüth. „O mein Hermann," schreibt sie,
„wie glücklich würden wir bei einander sein! Wie behaglich würden wir die
reichen Geschenke genießen, die Du mir geschickt hast! Ich habe die beiden
großen Kisten mit ihrem kostbaren Inhalt erhalten, ich habe diesen nach Deinem
Wunsch unter die Familienglieder vertheilt. Alle sind voll Entzücken und
schicken Dir die Fülle ihrer Segenswünsche." —

Nach dieser Sendung von zwei großen Kisten erhält Dorothea noch das
übliche Weihnachtsgeschenk in Gestalt eines Smaragdringes „von hohem Werth,
ebenfalls eine Frucht des Krieges."

Unter solchen Umständen begreift es sich vollkommen, daß Dorothea voll
patriotischen Feuers ist, und mit Entrüstung von einer Mainzer Freundin
spricht, die sich französischer Sympathien schuldig macht. „Ich habe gestern,
schreibt sie einmal, einen Brief von Virginie Flock erhalten; sie ist keineswegs.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/464>, abgerufen am 22.07.2024.