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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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machten eigenthümliche Verhältnisse sie einerseits schwierig, andrerseits drückend.
Das zumeist Ungünstige beruhte in dem Umstände, daß seit Mitte des 17.
Jahrhunderts vom Hofe zu Dresden die italienische Oper ausschließlich ge¬
pflegt, die deutsche dagegen nur geduldet worden, von der eigentlichen großen
Hofbühne aber stets ausgeschlossen war. Als nun, nach des Königs Friedrich
August I. Absicht, eine deutsche königliche Oper in Dresden neu geschaffen
werden sollte, lag diese Aufgabe unserm Meister nicht etwa nur einfach vor,
sondern sie schloß einen offnen und geheimen Kampf ein mit der bald als
ihre Gegnerin auftretenden italienischen Schwester-Oper; und nicht nur diese
selbst, sondern Alles, was durch Neigung, Gewohnheit oder persönlichen Vor¬
theil mit ihr zusammenhing, erwies sich abgeneigt, ja feindlich. Vom Könige
an, der, weniger aus Liebe zu deutscher Musik als aus Gerechtigkeitssinn für
dieselbe, den Gedanken einer deutschen Oper zu Dresden verwirklichte, --von
ihm und dem Hofe an bis auf die geringfügigsten Bediensteten hinab
blickte die Dresdener Gesellschaft auf die Erscheinung der vaterländischen Oper,
im glücklichen Falle ohne Antheil und Erwartung, meist aber mit erklärter
Gegnerschaft, sei es aus Vorurtheil, sei es aus interessirter Parteinahme. --
So war denn der Boden, auf dem sich Weber bei Lösung seiner Aufgabe
zu bewegen hatte, kein ebener, ja ein um so rauherer, als ihm zwar die sehr
ausgezeichnete königliche Capelle überwiesen wurde, von dem ihm bewilligten
Sängerpersonale der italienischen Oper sich aber nur sehr wenig für die
deutsche verwendbar erwies, und ihm betreffs Erwerbung geeigneten neuen
Personals die äußerste Sparsamkeit zur Pflicht gemacht wurde. Dennoch ge¬
lang es Weber, schon am 30. Januar, also am 17ten Tage nach seiner Ankunft
in Dresden, als erste Oper unter seiner Leitung Mehül's "Joseph in Egyp-
ten" zu geben, und zwar zu hoher Befriedigung des Königs. Die Wirkung
auf das Publieum war eine große und um so bedeutungsvoller, als Weber
sich einige Tage vor der Aufführung mit einer öffentlichen Ansprache an das
Publicum gewendet hatte, um durch Darlegung der Geschichte, Eigenart und
des Werthes der Oper das Interesse für dieselbe zu wecken und zu vertiefen.
Dies bisher unerhörte Verfahren behielt Weber auch bis zum Jahre 1820
einschließlich bei allen neu einstudirten Werken bei. Ihn leitete der Wunsch,
die einseitige Disposition der Dresdener zu Gunsten freierer Auffassung und
tieferer Durchdringung der musikalischen Kunst zu heben; in der Hand seiner
Gegner aber wurde jenes Verfahren zu einer Waffe, indem sie es ihm als
Ueberhebung auslegten. An der Spitze dieser Gegner befand sich erklärlicher¬
weise der Capellmeister an der italienischen Oper, Francesco Morlacchi.
Seine Machinationen zeigten sich gleich Anfangs in formellen Dingen. Weber
war zwar als "königlicher Capellmeister" nach Dresden berufen worden; aber
dort angekommen, wurde ihm nur der Titel eines "königlichen Musikdirec-


machten eigenthümliche Verhältnisse sie einerseits schwierig, andrerseits drückend.
Das zumeist Ungünstige beruhte in dem Umstände, daß seit Mitte des 17.
Jahrhunderts vom Hofe zu Dresden die italienische Oper ausschließlich ge¬
pflegt, die deutsche dagegen nur geduldet worden, von der eigentlichen großen
Hofbühne aber stets ausgeschlossen war. Als nun, nach des Königs Friedrich
August I. Absicht, eine deutsche königliche Oper in Dresden neu geschaffen
werden sollte, lag diese Aufgabe unserm Meister nicht etwa nur einfach vor,
sondern sie schloß einen offnen und geheimen Kampf ein mit der bald als
ihre Gegnerin auftretenden italienischen Schwester-Oper; und nicht nur diese
selbst, sondern Alles, was durch Neigung, Gewohnheit oder persönlichen Vor¬
theil mit ihr zusammenhing, erwies sich abgeneigt, ja feindlich. Vom Könige
an, der, weniger aus Liebe zu deutscher Musik als aus Gerechtigkeitssinn für
dieselbe, den Gedanken einer deutschen Oper zu Dresden verwirklichte, —von
ihm und dem Hofe an bis auf die geringfügigsten Bediensteten hinab
blickte die Dresdener Gesellschaft auf die Erscheinung der vaterländischen Oper,
im glücklichen Falle ohne Antheil und Erwartung, meist aber mit erklärter
Gegnerschaft, sei es aus Vorurtheil, sei es aus interessirter Parteinahme. —
So war denn der Boden, auf dem sich Weber bei Lösung seiner Aufgabe
zu bewegen hatte, kein ebener, ja ein um so rauherer, als ihm zwar die sehr
ausgezeichnete königliche Capelle überwiesen wurde, von dem ihm bewilligten
Sängerpersonale der italienischen Oper sich aber nur sehr wenig für die
deutsche verwendbar erwies, und ihm betreffs Erwerbung geeigneten neuen
Personals die äußerste Sparsamkeit zur Pflicht gemacht wurde. Dennoch ge¬
lang es Weber, schon am 30. Januar, also am 17ten Tage nach seiner Ankunft
in Dresden, als erste Oper unter seiner Leitung Mehül's „Joseph in Egyp-
ten" zu geben, und zwar zu hoher Befriedigung des Königs. Die Wirkung
auf das Publieum war eine große und um so bedeutungsvoller, als Weber
sich einige Tage vor der Aufführung mit einer öffentlichen Ansprache an das
Publicum gewendet hatte, um durch Darlegung der Geschichte, Eigenart und
des Werthes der Oper das Interesse für dieselbe zu wecken und zu vertiefen.
Dies bisher unerhörte Verfahren behielt Weber auch bis zum Jahre 1820
einschließlich bei allen neu einstudirten Werken bei. Ihn leitete der Wunsch,
die einseitige Disposition der Dresdener zu Gunsten freierer Auffassung und
tieferer Durchdringung der musikalischen Kunst zu heben; in der Hand seiner
Gegner aber wurde jenes Verfahren zu einer Waffe, indem sie es ihm als
Ueberhebung auslegten. An der Spitze dieser Gegner befand sich erklärlicher¬
weise der Capellmeister an der italienischen Oper, Francesco Morlacchi.
Seine Machinationen zeigten sich gleich Anfangs in formellen Dingen. Weber
war zwar als „königlicher Capellmeister" nach Dresden berufen worden; aber
dort angekommen, wurde ihm nur der Titel eines „königlichen Musikdirec-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/447>, abgerufen am 22.07.2024.