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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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lassen, erkennen auch Diejenigen an, die ihm sonst wenig Sympathie entgegen¬
brachten.

In den Landtag wollte Briegleb nicht wieder gewählt sein. So rege
auch sein Interesse an den communalen Angelegenheiten der Heimathstadt
war, sein Patriotismus galt dem großen Vaterlande. Darum
konnte er sich auch zu keiner Zeit für die Coburg-Gothaische Union
erwärmen, nach welcher seit zwanzig Jahren vergebens gestrebt wird. Der
preußisch-deutsche Einheitsstaat (mit oder ohne Durchgang durch einen
preußisch-deutschen Bundesstaat) war sein politisches Glaubensbekenntniß, selbst
in jenen trüben Zeiten, da die Besten der Nation an dem deutschen Berufe
Preußens zu verzweifeln begannen. In der Ueberzeugung, daß nur auf
Preußen Deutschlands Heil beruhe, hat Briegleb nie einen Augenblick ge¬
schwankt. War ihm doch auch die Versunkenheit der Zustände in dem con¬
currirenden Großstaate genugsam aus eigener Beobachtung bekannt! Bei
solcher politischer Gesinnung versteht es sich von selbst, daß er die Wendung,
welche die Geschicke Deutschlands seit dem Jahre 1866 nahmen, hochwill¬
komner hieß. Im Frühjahre 1871, als der bisherige Vertreter Coburgs im
norddeutschen Reichstage sich abgehalten sah, eine neue Wahl anzunehmen,
zog es den 62jährigen Kämpen mit Macht noch einmal in das große parla¬
mentarische Leben hinein, um mitzuwirken an dem Ausbau Deutschlands zu
einem Verfassungs- und Rechtsstaate. Seiner Bewerbung folgte eine nahezu
einstimmige Wahl. Im Reichstage führte ihn sein politischer Standpunkt
zu der nationalliberalen Fraction, ohne daß er sich gerade von einem
großen Theil ihrer Wortführer besonders angezogen fühlte. Er wußte die
eigentlich politischen Köpfe rasch herauszufinden. Als er im letzten Frühjahr
wieder der Einberufung nach Berlin folgte, ahnte er nicht, daß nur sein
Leichnam nach Coburg zurückkehren werde. Fern von den Seinen, doch ge¬
pflegt von treuer Freundeshand, erlag er einem Leiden, an dessen Heilung er
mit Sicherheit geglaubt hatte.

Die unerwartete Todeskunde wirkte in Coburg tief erschütternd; der
Eindruck, daß Stadt und Land einen der hervorragendsten Männer verloren
hat, war allgemein; auch die Widersacher verstummten. An solchen hatte es
dem Lebenden nicht gefehlt. Er selbst war sich darüber vollkommen klar,
daß man ihm mehr Achtung als Liebe zollte. Man fürchtete seine geistige
Ueberlegenheit, die Schärfe seiner Kritik, die Strenge seiner Grundsätze, seine
peinlich genaue Geschäftsbehandlung. Nur Wenige fühlten sich ihm gegen¬
über sicher und wohl. Wer ihm aber alles Herz und Gemüth abspricht, hat
ihn nickt gesehen als liebenden Vater, als frohsinnigen Hauswirth, als treuen
Freund, als Helfer in der Noth. Freilich war das eine seiner Eigenthüm¬
lichkeiten, daß er über Alles, was er Schönes und Gutes that, streng schwieg


lassen, erkennen auch Diejenigen an, die ihm sonst wenig Sympathie entgegen¬
brachten.

In den Landtag wollte Briegleb nicht wieder gewählt sein. So rege
auch sein Interesse an den communalen Angelegenheiten der Heimathstadt
war, sein Patriotismus galt dem großen Vaterlande. Darum
konnte er sich auch zu keiner Zeit für die Coburg-Gothaische Union
erwärmen, nach welcher seit zwanzig Jahren vergebens gestrebt wird. Der
preußisch-deutsche Einheitsstaat (mit oder ohne Durchgang durch einen
preußisch-deutschen Bundesstaat) war sein politisches Glaubensbekenntniß, selbst
in jenen trüben Zeiten, da die Besten der Nation an dem deutschen Berufe
Preußens zu verzweifeln begannen. In der Ueberzeugung, daß nur auf
Preußen Deutschlands Heil beruhe, hat Briegleb nie einen Augenblick ge¬
schwankt. War ihm doch auch die Versunkenheit der Zustände in dem con¬
currirenden Großstaate genugsam aus eigener Beobachtung bekannt! Bei
solcher politischer Gesinnung versteht es sich von selbst, daß er die Wendung,
welche die Geschicke Deutschlands seit dem Jahre 1866 nahmen, hochwill¬
komner hieß. Im Frühjahre 1871, als der bisherige Vertreter Coburgs im
norddeutschen Reichstage sich abgehalten sah, eine neue Wahl anzunehmen,
zog es den 62jährigen Kämpen mit Macht noch einmal in das große parla¬
mentarische Leben hinein, um mitzuwirken an dem Ausbau Deutschlands zu
einem Verfassungs- und Rechtsstaate. Seiner Bewerbung folgte eine nahezu
einstimmige Wahl. Im Reichstage führte ihn sein politischer Standpunkt
zu der nationalliberalen Fraction, ohne daß er sich gerade von einem
großen Theil ihrer Wortführer besonders angezogen fühlte. Er wußte die
eigentlich politischen Köpfe rasch herauszufinden. Als er im letzten Frühjahr
wieder der Einberufung nach Berlin folgte, ahnte er nicht, daß nur sein
Leichnam nach Coburg zurückkehren werde. Fern von den Seinen, doch ge¬
pflegt von treuer Freundeshand, erlag er einem Leiden, an dessen Heilung er
mit Sicherheit geglaubt hatte.

Die unerwartete Todeskunde wirkte in Coburg tief erschütternd; der
Eindruck, daß Stadt und Land einen der hervorragendsten Männer verloren
hat, war allgemein; auch die Widersacher verstummten. An solchen hatte es
dem Lebenden nicht gefehlt. Er selbst war sich darüber vollkommen klar,
daß man ihm mehr Achtung als Liebe zollte. Man fürchtete seine geistige
Ueberlegenheit, die Schärfe seiner Kritik, die Strenge seiner Grundsätze, seine
peinlich genaue Geschäftsbehandlung. Nur Wenige fühlten sich ihm gegen¬
über sicher und wohl. Wer ihm aber alles Herz und Gemüth abspricht, hat
ihn nickt gesehen als liebenden Vater, als frohsinnigen Hauswirth, als treuen
Freund, als Helfer in der Noth. Freilich war das eine seiner Eigenthüm¬
lichkeiten, daß er über Alles, was er Schönes und Gutes that, streng schwieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/418>, abgerufen am 02.10.2024.