Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.durch eine Commission vom Reichstag in die zweite Berathung genommen Die Sitzung, welche am 23. Mai stattfinden sollte, zeigte wieder einmal Am 26. Mai gelangte das Gesetz über den Reichsrechnungshof zur weiteren Nach dem Vorschlag der Regierung sollte die für die preußische Ober¬ Die Reichsregierung hatte vorgeschlagen, daß der Rechnungshof zur Kennt¬ durch eine Commission vom Reichstag in die zweite Berathung genommen Die Sitzung, welche am 23. Mai stattfinden sollte, zeigte wieder einmal Am 26. Mai gelangte das Gesetz über den Reichsrechnungshof zur weiteren Nach dem Vorschlag der Regierung sollte die für die preußische Ober¬ Die Reichsregierung hatte vorgeschlagen, daß der Rechnungshof zur Kennt¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127795"/> <p xml:id="ID_1265" prev="#ID_1264"> durch eine Commission vom Reichstag in die zweite Berathung genommen<lb/> werden und. nach der Stimmung bei der ersten Berathung zu schließen, An¬<lb/> nahme finden. Er wurde nur von ultramontaner Seite bekämpft, wo man<lb/> Allem entgegen ist, was das Gefühl der nationalen Einheit innerhalb und<lb/> außerhalb des Reichstags fördert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1266"> Die Sitzung, welche am 23. Mai stattfinden sollte, zeigte wieder einmal<lb/> ein beschlußunfähiges Haus. 141 Mitglieder waren anwesend, und hätten<lb/> sehr gut Abschnitte des Reichshaushalts über Post- und Telegraphenver-<lb/> verwaltung erledigen können. Aber die unglückliche Verfassungsbestimmung<lb/> verlangt 192 anwesende Abgeordnete, und bei dünn besetzten Bänken fehlt es<lb/> nie an einem Mitgliede, welches die Aufzählung des Hauses und damit die<lb/> Aufhebung der Sitzung herbeiführt. Es ist eine Verbindung von Pedanterie<lb/> und radicaler Parteitaktik, welche uns jene hinderliche Vorschrift, daß mindestens<lb/> die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl zur Beschlußfähigkeit einer parlamen¬<lb/> tarischen Versammlung erforderlich, allen Erfahrungen von ihrer Schädlichkeit<lb/> zum Trotz aufrecht hält.</p><lb/> <p xml:id="ID_1267"> Am 26. Mai gelangte das Gesetz über den Reichsrechnungshof zur weiteren<lb/> Berathung. Wie früher erwähnt, war die Specialberathung bei dem § 19<lb/> unterbrochen und für die nächsten Paragraphen einer Commission zur Vorbe¬<lb/> reitung übertragen worden. Der Commissionsbericht über den letzten Theil<lb/> des Gesetzes lag nun vor. Die Commissionsanträge sind im Wesentlichen vom<lb/> Reichstag angenommen worden. Leider stehen diese Beschlüsse im schroffen<lb/> Gegensatz zu den Ansichten der Reichsregierung, so daß das Gesetz für vereitelt<lb/> gelten muß. Der Gegensatz der Ansichten bewegt sich hauptsächlich um folgende<lb/> Punkte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1268"> Nach dem Vorschlag der Regierung sollte die für die preußische Ober¬<lb/> rechnungskammer gültige Instruction vom 18. December 1824 für den Reichs¬<lb/> rechnungshof wie zeither als Verwaltungsvorschrift fortbestehen. Der Reichs¬<lb/> tag hat auf Vorschlag der Commission dieser Instruction Gesetzeskraft ver¬<lb/> liehen. Die Instruction überträgt aber dem Rechnungshof viel weiter gehende<lb/> Monituren zum Zwecke der Verwaltungsaufsicht, als das Recht des Reichs¬<lb/> tages zur Aufsicht über die Verwaltung auszudehnen zweckmäßig ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1269" next="#ID_1270"> Die Reichsregierung hatte vorgeschlagen, daß der Rechnungshof zur Kennt¬<lb/> niß des Reichstages nur die Abweichungen von den hinsichtlich der Verwendung<lb/> von Reichsgeldern erlassenen Gesetzen bringe. Der Reichstag hat nach dem<lb/> Vorschlag der Commission beschlossen, daß der Rechnungshof zur Kenntniß des<lb/> Reichstages auch die Abweichungen von den Vorschriften bringt, welche<lb/> die Verwaltung selbst erlassen. Damit wird der Reichstag zum Kritiker und<lb/> demnächst zum Richter über die Verwaltungsvorschriften gemacht, und jede<lb/> Selbständigkeit der Verwaltung, auch diejenige innerhalb der Gesetze, wird<lb/> untergraben. Es ist dies allerdings der englische Zustand, wo das Parlament<lb/> die höchste gesetzgebende und die höchste verwaltende Behörde zugleich ist. Es<lb/> fragt sich nur, ob wir diesen Zustand anstreben sollen, oder ob wir eine inner¬<lb/> halb der Gesetzgebung selbständige Verwaltung behalten wollen. Die parlamen¬<lb/> tarische Absorption der Verwaltung hat in England die zwei naturgemäßen<lb/> Folgen einer schlechten Centralverwaltung und einer immer bedenklicher her¬<lb/> vortretenden Schwäche des Staates gegenüber der Gesellschaft gehabt. Herr<lb/> Miquel meinte freilich, wenn der Reichstag die Verwaltungsvorschriften vor<lb/> seinen Richterstuhl ziehe, so mische er sich darum doch nicht in die Ver¬<lb/> waltung, weil er ja die Ausführung der Vorschriften nicht besorge. Das ist<lb/> die Umkehrung von dem Wort des Generals, welcher sagte: er habe den Ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0399]
durch eine Commission vom Reichstag in die zweite Berathung genommen
werden und. nach der Stimmung bei der ersten Berathung zu schließen, An¬
nahme finden. Er wurde nur von ultramontaner Seite bekämpft, wo man
Allem entgegen ist, was das Gefühl der nationalen Einheit innerhalb und
außerhalb des Reichstags fördert.
Die Sitzung, welche am 23. Mai stattfinden sollte, zeigte wieder einmal
ein beschlußunfähiges Haus. 141 Mitglieder waren anwesend, und hätten
sehr gut Abschnitte des Reichshaushalts über Post- und Telegraphenver-
verwaltung erledigen können. Aber die unglückliche Verfassungsbestimmung
verlangt 192 anwesende Abgeordnete, und bei dünn besetzten Bänken fehlt es
nie an einem Mitgliede, welches die Aufzählung des Hauses und damit die
Aufhebung der Sitzung herbeiführt. Es ist eine Verbindung von Pedanterie
und radicaler Parteitaktik, welche uns jene hinderliche Vorschrift, daß mindestens
die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl zur Beschlußfähigkeit einer parlamen¬
tarischen Versammlung erforderlich, allen Erfahrungen von ihrer Schädlichkeit
zum Trotz aufrecht hält.
Am 26. Mai gelangte das Gesetz über den Reichsrechnungshof zur weiteren
Berathung. Wie früher erwähnt, war die Specialberathung bei dem § 19
unterbrochen und für die nächsten Paragraphen einer Commission zur Vorbe¬
reitung übertragen worden. Der Commissionsbericht über den letzten Theil
des Gesetzes lag nun vor. Die Commissionsanträge sind im Wesentlichen vom
Reichstag angenommen worden. Leider stehen diese Beschlüsse im schroffen
Gegensatz zu den Ansichten der Reichsregierung, so daß das Gesetz für vereitelt
gelten muß. Der Gegensatz der Ansichten bewegt sich hauptsächlich um folgende
Punkte.
Nach dem Vorschlag der Regierung sollte die für die preußische Ober¬
rechnungskammer gültige Instruction vom 18. December 1824 für den Reichs¬
rechnungshof wie zeither als Verwaltungsvorschrift fortbestehen. Der Reichs¬
tag hat auf Vorschlag der Commission dieser Instruction Gesetzeskraft ver¬
liehen. Die Instruction überträgt aber dem Rechnungshof viel weiter gehende
Monituren zum Zwecke der Verwaltungsaufsicht, als das Recht des Reichs¬
tages zur Aufsicht über die Verwaltung auszudehnen zweckmäßig ist.
Die Reichsregierung hatte vorgeschlagen, daß der Rechnungshof zur Kennt¬
niß des Reichstages nur die Abweichungen von den hinsichtlich der Verwendung
von Reichsgeldern erlassenen Gesetzen bringe. Der Reichstag hat nach dem
Vorschlag der Commission beschlossen, daß der Rechnungshof zur Kenntniß des
Reichstages auch die Abweichungen von den Vorschriften bringt, welche
die Verwaltung selbst erlassen. Damit wird der Reichstag zum Kritiker und
demnächst zum Richter über die Verwaltungsvorschriften gemacht, und jede
Selbständigkeit der Verwaltung, auch diejenige innerhalb der Gesetze, wird
untergraben. Es ist dies allerdings der englische Zustand, wo das Parlament
die höchste gesetzgebende und die höchste verwaltende Behörde zugleich ist. Es
fragt sich nur, ob wir diesen Zustand anstreben sollen, oder ob wir eine inner¬
halb der Gesetzgebung selbständige Verwaltung behalten wollen. Die parlamen¬
tarische Absorption der Verwaltung hat in England die zwei naturgemäßen
Folgen einer schlechten Centralverwaltung und einer immer bedenklicher her¬
vortretenden Schwäche des Staates gegenüber der Gesellschaft gehabt. Herr
Miquel meinte freilich, wenn der Reichstag die Verwaltungsvorschriften vor
seinen Richterstuhl ziehe, so mische er sich darum doch nicht in die Ver¬
waltung, weil er ja die Ausführung der Vorschriften nicht besorge. Das ist
die Umkehrung von dem Wort des Generals, welcher sagte: er habe den Ver-
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