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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Die siebenbürger Sachsen halten von vornherein das Octoberdiplom,
da es ihnen nicht die Gewähr der Bildung eines eigenen deutschen Kronlandes,
wenn auch nur in dem Nahmen der alten siebenbürgischen Verfassung von
vor 1818 lieferte, keineswegs mit Begeisterung aufgenommen. Dazu kam
nun später, daß das Februarpatent, soviel verheißend es auch, dem deutschen
Sinn der Sachsen entsprechend, eine deutsch-centrale Reichsregierung und ein
centrales Neichsparlament in Wien festsetzte, doch Jahre hindurch für sie wirkungs¬
los blieb, weil einerseits der Widerstand der ungarischen und andererseits die
Begehrlichkeit der walachischen oder rumänischen Bevölkerung Siebenbürgens,
unterstützt von dem wankenden Entschlüsse der Schmerling'sehen Negierung selbst,
es nicht einmal zur Einberufung eines siebenbürgischen Landtages gelangen
ließ. Als dieser dann endlich im Jahre 1863 zu Hermannstadt zusammen¬
trat, da erklärten die Ungarn sowohl seine Zusammensetzung, wie den Um¬
fang seiner Wirksamkeit für gesetzwidrig, und indem sie sich von den Berathungen
desselben ausschlossen, überließen sie es den Sachsen, sich mit der Gemeinschaft
der zum erstenmale landstandsbercchtigt in einem Landtage vertretenen Rumänen
abzufinden. Wider ungarisches Erwarten verständigten sich beide Theile leicht
genug, so daß sie auch in aller Einigkeit die Ncichstagswahlen vornehmen
und dem Wiener Reichstag von 1863/64 und 1864/6S beiwohnen konnten,
womit denn freilich die siebenbürger Sachsen für die Dahingabe ihrer
früheren freien republikanischen Verfassung, wenigstens anscheinend die Er¬
haltung ihrer Deutschen Nationalität in verfassungsmäßiger Form verbrinft
erhielten. Denn das deutsche Oesterreich, welches gleichzeitig in Frankfurt
am Main die Wiederherstellung des deutschen Kaiserthrvnes unter den Habs-
burgern anstrebte, mußte ihnen ja aller damaligen Berechnung zufolge die
Bruderhand zum Schutz und Schirm reichen.

Schlimme Täuschung! Es kam das Jahr 1865, welches die Entfernung
Schmerlings und die Einsetzung eines Ministeriums Belcredi-Majlath brachte;
es kam das Jahr 1866 mit seinen Kriegsschrecken und es kam endlich das
Jahr 1867 mit seinem Beust'schen Dualismus. Dieser ließ den siebenbürger
Sachsen keinen Zweifel darüber, daß sie nicht nur ihre Vertretung im Wiener
Reichstag eingebüßt und dieselbe nur noch in Pest zu suchen hätten, er machte
auch offenbar, daß ihnen zugleich mit der Bedrohung ihrer deutschen Natio¬
nalität alle Freiheit, ihr politisches Eigenleben nach eigenem Bedürfniß zu
gestalten, verloren gegangen sei. Doch war das noch nicht das ärgste Uebel,
das sie betroffen; das bitterste war der Meinungszwiespalt in ihrem eigenen
Lager darüber, ob das sächsische Volk seiner Devise "klug und umsichtig" treu
bleiben oder sich mit uneingeschränkten Vertrauen der ungarischen Führer¬
schaft überlassen solle. Eine politisch geweckte Minderheit jugendlicher Kräfte
aus juristischen Kreisen erklärte sich für das letztere, während die alten be-


Die siebenbürger Sachsen halten von vornherein das Octoberdiplom,
da es ihnen nicht die Gewähr der Bildung eines eigenen deutschen Kronlandes,
wenn auch nur in dem Nahmen der alten siebenbürgischen Verfassung von
vor 1818 lieferte, keineswegs mit Begeisterung aufgenommen. Dazu kam
nun später, daß das Februarpatent, soviel verheißend es auch, dem deutschen
Sinn der Sachsen entsprechend, eine deutsch-centrale Reichsregierung und ein
centrales Neichsparlament in Wien festsetzte, doch Jahre hindurch für sie wirkungs¬
los blieb, weil einerseits der Widerstand der ungarischen und andererseits die
Begehrlichkeit der walachischen oder rumänischen Bevölkerung Siebenbürgens,
unterstützt von dem wankenden Entschlüsse der Schmerling'sehen Negierung selbst,
es nicht einmal zur Einberufung eines siebenbürgischen Landtages gelangen
ließ. Als dieser dann endlich im Jahre 1863 zu Hermannstadt zusammen¬
trat, da erklärten die Ungarn sowohl seine Zusammensetzung, wie den Um¬
fang seiner Wirksamkeit für gesetzwidrig, und indem sie sich von den Berathungen
desselben ausschlossen, überließen sie es den Sachsen, sich mit der Gemeinschaft
der zum erstenmale landstandsbercchtigt in einem Landtage vertretenen Rumänen
abzufinden. Wider ungarisches Erwarten verständigten sich beide Theile leicht
genug, so daß sie auch in aller Einigkeit die Ncichstagswahlen vornehmen
und dem Wiener Reichstag von 1863/64 und 1864/6S beiwohnen konnten,
womit denn freilich die siebenbürger Sachsen für die Dahingabe ihrer
früheren freien republikanischen Verfassung, wenigstens anscheinend die Er¬
haltung ihrer Deutschen Nationalität in verfassungsmäßiger Form verbrinft
erhielten. Denn das deutsche Oesterreich, welches gleichzeitig in Frankfurt
am Main die Wiederherstellung des deutschen Kaiserthrvnes unter den Habs-
burgern anstrebte, mußte ihnen ja aller damaligen Berechnung zufolge die
Bruderhand zum Schutz und Schirm reichen.

Schlimme Täuschung! Es kam das Jahr 1865, welches die Entfernung
Schmerlings und die Einsetzung eines Ministeriums Belcredi-Majlath brachte;
es kam das Jahr 1866 mit seinen Kriegsschrecken und es kam endlich das
Jahr 1867 mit seinem Beust'schen Dualismus. Dieser ließ den siebenbürger
Sachsen keinen Zweifel darüber, daß sie nicht nur ihre Vertretung im Wiener
Reichstag eingebüßt und dieselbe nur noch in Pest zu suchen hätten, er machte
auch offenbar, daß ihnen zugleich mit der Bedrohung ihrer deutschen Natio¬
nalität alle Freiheit, ihr politisches Eigenleben nach eigenem Bedürfniß zu
gestalten, verloren gegangen sei. Doch war das noch nicht das ärgste Uebel,
das sie betroffen; das bitterste war der Meinungszwiespalt in ihrem eigenen
Lager darüber, ob das sächsische Volk seiner Devise „klug und umsichtig" treu
bleiben oder sich mit uneingeschränkten Vertrauen der ungarischen Führer¬
schaft überlassen solle. Eine politisch geweckte Minderheit jugendlicher Kräfte
aus juristischen Kreisen erklärte sich für das letztere, während die alten be-


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[0389] Die siebenbürger Sachsen halten von vornherein das Octoberdiplom, da es ihnen nicht die Gewähr der Bildung eines eigenen deutschen Kronlandes, wenn auch nur in dem Nahmen der alten siebenbürgischen Verfassung von vor 1818 lieferte, keineswegs mit Begeisterung aufgenommen. Dazu kam nun später, daß das Februarpatent, soviel verheißend es auch, dem deutschen Sinn der Sachsen entsprechend, eine deutsch-centrale Reichsregierung und ein centrales Neichsparlament in Wien festsetzte, doch Jahre hindurch für sie wirkungs¬ los blieb, weil einerseits der Widerstand der ungarischen und andererseits die Begehrlichkeit der walachischen oder rumänischen Bevölkerung Siebenbürgens, unterstützt von dem wankenden Entschlüsse der Schmerling'sehen Negierung selbst, es nicht einmal zur Einberufung eines siebenbürgischen Landtages gelangen ließ. Als dieser dann endlich im Jahre 1863 zu Hermannstadt zusammen¬ trat, da erklärten die Ungarn sowohl seine Zusammensetzung, wie den Um¬ fang seiner Wirksamkeit für gesetzwidrig, und indem sie sich von den Berathungen desselben ausschlossen, überließen sie es den Sachsen, sich mit der Gemeinschaft der zum erstenmale landstandsbercchtigt in einem Landtage vertretenen Rumänen abzufinden. Wider ungarisches Erwarten verständigten sich beide Theile leicht genug, so daß sie auch in aller Einigkeit die Ncichstagswahlen vornehmen und dem Wiener Reichstag von 1863/64 und 1864/6S beiwohnen konnten, womit denn freilich die siebenbürger Sachsen für die Dahingabe ihrer früheren freien republikanischen Verfassung, wenigstens anscheinend die Er¬ haltung ihrer Deutschen Nationalität in verfassungsmäßiger Form verbrinft erhielten. Denn das deutsche Oesterreich, welches gleichzeitig in Frankfurt am Main die Wiederherstellung des deutschen Kaiserthrvnes unter den Habs- burgern anstrebte, mußte ihnen ja aller damaligen Berechnung zufolge die Bruderhand zum Schutz und Schirm reichen. Schlimme Täuschung! Es kam das Jahr 1865, welches die Entfernung Schmerlings und die Einsetzung eines Ministeriums Belcredi-Majlath brachte; es kam das Jahr 1866 mit seinen Kriegsschrecken und es kam endlich das Jahr 1867 mit seinem Beust'schen Dualismus. Dieser ließ den siebenbürger Sachsen keinen Zweifel darüber, daß sie nicht nur ihre Vertretung im Wiener Reichstag eingebüßt und dieselbe nur noch in Pest zu suchen hätten, er machte auch offenbar, daß ihnen zugleich mit der Bedrohung ihrer deutschen Natio¬ nalität alle Freiheit, ihr politisches Eigenleben nach eigenem Bedürfniß zu gestalten, verloren gegangen sei. Doch war das noch nicht das ärgste Uebel, das sie betroffen; das bitterste war der Meinungszwiespalt in ihrem eigenen Lager darüber, ob das sächsische Volk seiner Devise „klug und umsichtig" treu bleiben oder sich mit uneingeschränkten Vertrauen der ungarischen Führer¬ schaft überlassen solle. Eine politisch geweckte Minderheit jugendlicher Kräfte aus juristischen Kreisen erklärte sich für das letztere, während die alten be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/389>, abgerufen am 24.08.2024.